Skip to main content

Am kürzeren Hebel – Verwaltungswissenschaftler untersuchen Nationale Anti-Doping Agenturen

Gehört Doping zum Sport dazu? Foto: Fotolia/thanksforbuying.
Photo :
Gehört Doping zum Sport dazu? Foto: Fotolia/thanksforbuying.

Nahrungsergänzungsmittel sind möglicherweise der Einstieg. Wenn es schlimm kommt, folgen Anabolika und Downer, Blut- oder sogar Gendoping. In fast allen Disziplinen greifen inzwischen Athleten zu verbotenen Substanzen und Methoden, um Erfolge wahrscheinlicher zu machen. Besonders betroffen ist der Spitzensport – und das nicht nur in Russland. Doch die Gier nach Ruhm und Geld hat auch ihren Preis: Es gibt extreme Fälle von körperlichen Folgeschäden. Ein Fakt, der offensichtlich nur bedingt abschreckt. Und die nationalen Anti-Doping Agenturen schauen häufig scheinbar machtlos zu. Noch immer können sie der Entwicklung zu wenig entgegensetzen. Verwaltungswissenschaftler der Universität Potsdam untersuchen, warum. Sie wollen wissen, wie die Leistungsfähigkeit der Agenturen mit ihrer Organisationsstruktur und den Rahmenbedingungen zusammenhängt.  

Ein Team um Seniorprofessor Werner Jann hat die Organisation der Nationalen Anti-Doping Agenturen von Deutschland, Großbritannien, Norwegen, der Niederlande und Österreich genauer unter die Lupe genommen. Dass die Wahl gerade auf diese fünf fiel, war einer günstigen Gelegenheit geschuldet. Die „Koalition der Willigen“ entstand aus dem Wunsch einiger Agenturen heraus, die eigenen Strukturen zu überprüfen und zu verbessern – sowie durch persönliche Kontakte der Akteure.  

Die Agenturen haben ähnliche Probleme – Unterschiede gibt es bei den Präventionsstrategien

Bei dem Projekt handelt es sich um eine qualitativ vergleichend angelegte Fallstudie. Die Forscher haben insgesamt 15 sogenannte leitfadengestützte Interviews mit leitenden Mitarbeitern der Agenturen geführt und wichtige Informationen gesammelt. „Eine andere Methode kam nicht infrage“, erläutert Dr. Markus Seyfried, der zur Arbeitsgruppe gehört. „Leistungsvergleiche anhand bloßer Zahlen hätten das Bild verzerrt. Die Agenturen sind dafür mit ihren jeweiligen Philosophien und Rahmenbedingungen zu verschieden.“ Das Phänomen ist auch aus anderen Organisationsuntersuchungen bekannt. Nicht alles lässt sich so durch Zahlen „zurechtzimmern“, dass es am Ende vergleichbar ist.

Die Studie nahm insbesondere fünf Schlüsselfaktoren in den Blick: die Ressourcen, Regulierungsmechanismen, Organisationsstrukturen, das Management und das Umfeld. Im Ergebnis wird deutlich: Die Agenturen besitzen durchaus zahlreiche gemeinsame Probleme, die ihr Wirken beeinflussen. So ist die finanzielle Unsicherheit groß, es fehlen langfristige Budgetzusagen. Zudem ist die Personalfluktuation aufgrund befristeter Arbeitsverträge hoch. Schwierigkeiten bereitet allen die Tatsache, dass sie ein sehr unterschiedliches Testergebnis-Management besitzen. Zum Teil ist dies sogar nicht bei den Agenturen selbst angesiedelt, sondern bei den Verbänden, die bei positiven Doping-Tests die Sportler sanktionieren müssen. Für Fachleute ein Unding. „Damit macht man den Bock zum Gärtner“, so Seyfried.

„Wir hoffen sehr, dass wir mit unseren Ergebnissen dazu beitragen können, hier etwas geradezurücken. Die National Anti-Doping Organizations NADOs benötigen mehr Kompetenzen und klare Strukturen.“ Ihre geringe personelle Ausstattung setzt ihnen enge Grenzen. Schranken, die es beispielsweise weitgehend verhindern, erfolgreich in den Breitensport hineinzuwirken. Die Institutionen stellen auch in diesem Bereich eine zunehmende Neigung zum Doping fest. Insbesondere die Konsumkurve bei Schmerzmitteln und leistungssteigernden Mitteln steigt. „Den NADOs gelingt es kaum, hier gezielt einzugreifen“, berichtet Seyfried. Die Mitarbeiter versuchten deshalb, den Trend über eine vielfältige Projektarbeit einzudämmen.

Die begrenzten Ressourcen wirken sich aber auch auf das Tagesgeschäft aus. Weil Urintests weniger kosten als Bluttests, werden Letztere seltener durchgeführt. Mit der Konsequenz, dass bestimmte Substanzen, die Aktive in einigen Sportarten einnehmen, eher unentdeckt bleiben. Man kann das Problem auf die einfache Formel bringen: Die Art der Kontrollen in den jeweiligen Disziplinen hat wesentlichen Einfluss auf die Anzahl aufgeklärter Doping-Fälle. Und das ist durchaus heikel, wie nicht nur die Potsdamer Wissenschaftler finden. „Die Jahresberichte der NADOs zeigen uns, dass nur ein sehr geringer Anteil der durchgeführten Tests positiv ausfällt“, stellt Seyfried fest. Seine Gespräche mit den Vertretern der Agenturen haben verdeutlicht: Würde anders getestet – sowohl verfahrenstechnisch als auch hinsichtlich der Auswahl der Disziplinen –, gäbe es vermutlich höhere „Trefferquoten“.

Natürlich haben die Wissenschaftler auch Unterschiede zwischen den Agenturen ausgemacht. So verfolgen zum Beispiel die Niederlande und Großbritannien zwei voneinander abweichende Präventionsstrategien. Erstere bevorzugen einen Ansatz, der die Sportler vor „schlimmen Dingen“ bewahren will. Bei dieser sogenannten „Verweigerungskultur“ werden die Athleten – bildlich gesprochen – umarmt. Man versucht, über das Doping und dessen Folgen intensiv aufzuklären, in die Verbände hineinzuwirken und auch die Beziehung Trainer-Eltern-Sportler bestmöglich zu stärken. Ein Vorgehen also, in dessen Mittelpunkt Behutsamkeit steht. „Das war schon beeindruckend“, so Seyfried, „wie stark sich diese NADO für die Athleten macht.“ Ganz anders zeigt sich die Situation bei den Briten: Sie setzen auf Prävention durch Abschreckung. Gedopte Sportler landen „am Pranger“ – ihre Namen werden auf der entsprechenden Webseite und in weiteren Medien veröffentlicht. Welcher dieser Ansätze der bessere ist, lässt sich kaum sagen. Hier Vorgaben entwickeln zu wollen, wäre töricht, wissen Kenner der Materie. Was in einem Land klappt, muss im anderen nicht unbedingt funktionieren. 

NADOs setzen ihre Mittel sinnvoll ein

Wer in den NADOs arbeitet, betont Seyfried, ist „Überzeugungstäter“. „Es gibt keinen Dienst nach Vorschrift, so unser Eindruck.“ In den Teams befinden sich teilweise bekehrte Athleten. Oft sind sie wegen ihrer Nähe zum Thema bewusst rekrutiert worden – und engagieren sich in der Regel stärker, als sie es von Berufs wegen müssten. Aber das eigentliche Problem können auch sie nicht lösen: Die Schwarzen Schafe im Business Sport sind den Testern stets ein Stück weit voraus. Es braucht viel Zeit und Geld, um Nachweise für immer neue Stoffe und Betrugsmaschen zu entwickeln. Sind diese endlich praxistauglich, hat sich die Doping-Szene längst einen neuen Trick einfallen lassen, um die Kontrolleure zu täuschen. Es wirkt wie der sprichwörtliche Wettlauf zwischen Hase und Igel. Leidtragende sind diejenigen Sportlerinnen und Sportler, die auf ehrliche Weise ihre Kräfte messen wollen. Sie haben das Nachsehen im Wettkampf und stehen irgendwann vor der Wahl, ebenfalls unzulässige Wege zu beschreiten, um mithalten zu können, oder nicht. Ein Teufelskreis. Das Uni-Team um Werner Jann sieht trotzdem Anlass zu Optimismus: „Die Mittel, über die die Anti-Doping Agenturen verfügen, setzen sie durchaus sinnvoll für ihre Zwecke ein“, bilanziert Seyfried. „Sie gehen sehr geschickt vor, wissend, dass sie am kürzeren Hebel sitzen und nur über gesundheitliche Aufklärung und gezielte Informationen die Athleten erreichen.“ Auch wenn die NADOs einen schweren Stand hätten, gebe es dennoch strukturelle Elemente, die deren unterschiedliche Leistungsfähigkeit erklären könnten. Dazu zählten mehr oder weniger flache Hierarchien, das Ausmaß der Nutzung von umfangreichen Netzwerken und informeller Kontakte, wie etwa zu „Whistleblowern“.

Werner Jann und seine Kollegen wollen im Frühjahr einen Workshop durchführen, zu dem sie Vertreter der involvierten Agenturen einladen, um ihre Forschungsergebnisse zu diskutieren. Ziel ist es, die Befunde zu validieren und gegebenenfalls konkrete Handlungsempfehlungen zu geben. Das Uni-Team schmiedet nebenher jedoch schon neue Pläne: „Es wäre schön, wenn wir – ähnlich dem Korruptionsindex von Transparency International – einen Dopingindex hätten. Dies wollen wir mit unseren Befunden befördern“, verrät Seyfried. Eine bei der WADA beantragte Projektverlängerung würde gute Voraussetzungen bieten, diesen Index und auch andere Initiativen zu entwickeln.

Die Nationale Anti-Doping Agentur Deutschland (NADA) ist als Stiftung konstruiert. Kritiker werfen ihr vor, dass sie nicht unabhängig ist. Anders als in anderen Ländern wird sie nicht ausschließlich vom Staat finanziert, sondern bekommt Gelder vom Bund, vom organisierten Sport und von der Wirtschaft. Die Agentur selbst kann bei Verdachtsfällen keine Ermittlungen durchführen und hat kaum Möglichkeiten, Informationen von der Polizei zu bekommen. 2015 hat sie sich einen neuen Code gegeben. Mit ihm wurden alle Wettkampfkontrollen der im Deutschen Olympischen Sportbund organisierten Fachverbände übernommen. Allein 2015 hat die NADA 12.425 Doping-Kontrollen durchgeführt: 4.590 nach Wettkämpfen, 7.835 während des Trainings. Seit 2011 führt die Stiftung auch Medikationskontrollen bei Pferden durch.  

Das Dach aller Nationalen Anti-Doping-Agenturen ist die Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) mit Sitz in Montreal. Sie organisiert weltweit Maßnahmen gegen das Doping im Leistungssport. Grundlagen aller Bestrebungen sind der WADA-Code, der 2015 neu verfasst wurde, sowie die jeweils aktualisierte Verbotsliste. Nach dem Regelwerk der WADA ist bei schweren Verstößen gegen die geltenden Bestimmungen eine Standardsperre von vier Jahren vorgesehen.  

Die Wissenschaftler

Prof. Dr. Werner Jann studierte Politikwissenschaft, Mathematik und Ökonomie in Berlin und Edinburgh, Schottland. 1982 promovierte er an der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer. Werner Jann war von 1993 bis 2015 Professor für Politikwissenschaft, Verwaltung und Organisation an der Universität Potsdam. Seit November 2015 ist er hier Seniorprofessor. Arbeitsschwerpunkte sind u.a. Modernisierung des öffentlichen Sektors, Regierungsorganisation, Ministerialverwaltung sowie die politische Steuerung der Verwaltung.

Universität Potsdam
Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät
August-Bebel-Str. 89
14482 Potsdam
jannuni-potsdamde   

Dr. Markus Seyfried studierte Politikwissenschaft in Potsdam und promovierte 2010 an der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Seniorprofessur Politikwissenschaft, Verwaltung und Organisation. Seine Forschungsinteressen gelten der Statistischen Datenanalyse, Vergleichenden Verwaltungswissenschaft, Finanzkontrolle, Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und der Hochschulforschung.
seyfrieduni-potsdamde   

Das Projekt

Organizational structures and performance measurement of National Anti-Doping Organizations – an international comparison
Leitung: Prof. Dr. Werner Jann
Laufzeit: 2013–2016
Finanzierung: World Anti-Doping Agency (WADA)

Text: Petra Görlich 
Online gestellt: Daniela Großmann
Kontakt zur Onlineredaktion: onlineredaktionuni-potsdamde 

 

Diesen und weitere Beiträge zur Forschung an der Universität Potsdam finden Sie im Forschungsmagazin „Portal Wissen“. http://www.uni-potsdam.de/up-entdecken/aktuelle-themen/universitaetsmagazine.html