Sie gehört zu den am häufigsten angebauten Getreidearten in Europa: Allein die deutschen Bauern produzieren jährlich etwa zehn Millionen Tonnen Gerste. Das Stroh galt bisher als Nebenprodukt mit geringem Wert. Mehr Korn, weniger Stroh – nach dieser Maxime wurde jahrzehntelang gezüchtet. Doch der Wert der Biomasse steigt. Was früher hauptsächlich als Tiereinstreu oder Dämmstoff genutzt wurde, wird heute in Energie umgewandelt. Von neuen Gerstensorten, die mehr Biomasse produzieren, könnten auch Landwirte profitieren. An der Idee arbeitet ein internationales Konsortium, zu dem auch Potsdamer Genetiker gehören.
Die Gerstenpflanzen sehen schon etwas mitgenommen aus. In hohen, schmalen Töpfen stehen sie seit drei Monaten im Golmer Gewächshaus, haben bereits üppige Horste gebildet. Braune Blätter hängen zwischen den grünen herab. Die typischen Gerstenähren mit den langen Grannen sind bei den meisten Pflanzen bereits voll ausgebildet. Über einige sind kleine weiße Tüten gestülpt – hier haben Kreuzungsversuche stattgefunden. Die daraus entstehenden Samen werden für weitere Versuche benötigt. Der Biologe Michael Lenhard, Professor für Genetik, betrachtet prüfend ein Blatt und nimmt es zwischen die Finger. In jedem der etwa 30 Töpfe ist eine andere Gerste, deren Erbgut sich von den übrigen unterscheidet und zu unterschiedlichen Merkmalen führt. Bei einigen sind die Stiele besonders lang oder kurz, andere haben viele oder nur wenige Ähren. Auch die Breite der Blätter unterscheidet sich – und darauf hat es der Genetiker besonders abgesehen.
Gerste als Energiepflanze
Michael Lenhard und sein Team sind Teil eines groß angelegten Forschungsprojekts, das das Potenzial der Gerste als Energiepflanze untersucht. „Es geht darum, die Biomasse der Pflanzen zu erhöhen“, erklärt der Forscher. Während die Potsdamer Wissenschaftler bei der Blattbreite ansetzen, suchen andere Forschergruppen aus Italien, Spanien und Polen innerhalb des Verbundprojekts „BarPlus“ nach Möglichkeiten, die Photosynthese, die Stickstoffnutzung und die Anzahl der Seitentriebe zu erhöhen, um die Biomasse der Gerstenpflanzen zu steigern.
Die Pflanzen, die vor Michael Lenhard auf dem Gewächshaustisch stehen, wurden bereits vor Jahrzehnten gezüchtet. Sie gingen aus Mutationen des Erbmaterials der Ursprungssorten hervor. Deshalb bezeichnet der Forscher sie als „Mutanten“. Nun soll ihr Erbgut Ausgangspunkt neuer Züchtungen sein. Das Ziel: eine neue Gerstensorte, die viele Körner, gleichzeitig aber auch mehr Blattmasse produziert. Denn Biomasse ist längst zu einem wertvollen Gut auf dem Acker geworden – als Ausgangsmaterial für Biokraftstoffe oder Biogas. Der große Bedarf nach dem Rohstoff ließ bisher vor allem den Raps- und Maisanbau in die Höhe schnellen. Der Nachteil: Statt Kartoffeln, Weizen oder Rüben werden eben zunehmend Energiepflanzen angebaut. Energiegewinnung und Nahrungsmittelproduktion konkurrieren miteinander.
Mit Gerste könnte sich das ändern. Bisher hatte das Getreide kaum den Ruf, eine geeignete Energiepflanze zu sein. Zu Unrecht? „Die Zusammensetzung des Strohs ist bei Gerste besonders vorteilhaft, weil es besonders viele Kohlenhydrate enthält“, erklärt Michael Lenhard. Tatsächlich ist der Kohlenhydratanteil höher als bei fast allen anderen Getreidearten. Für die Energieausbeute ist das günstig. Um eine neue Sorte zu züchten, die möglichst viel Biomasse bei gleichbleibendem Kornertrag produziert, sucht der Forscher nach jenen Abschnitten auf der DNA, auf denen die Information für das Blätterwachstum gespeichert ist. Konkret geht es um das Breitenwachstum: Breitere Blätter stehen für mehr Biomasse.
Genetische Analyse ebnet den Weg für gezielte Züchtungen
„Die Genome der einzelnen Gerstenmutanten unterscheiden sich in Millionen von Positionen“, betont Michael Lenhard. Das Gerstengenom ist umfangreich und komplex – mit gut fünf Milliarden Basenpaaren etwa eineinhalb Mal so groß wie das menschliche Genom. Die Suche nach jenem Genomabschnitt, der für die breiten Blätter verantwortlich ist, gleicht der berühmten Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Dafür kreuzen die Forscher die breitblättrigen Mutanten mit einer schmalblättrigen Sorte und deren Nachkommen wiederum untereinander. Das Ergebnis sind schmalblättrige und breitblättrige Pflanzen. In einem aufwendigen Prozess ermitteln die Biologen zunächst, auf welchem elterlichen Chromosom die gewünschte Erbinformation liegen könnte, indem sie nach genetischen Unterschieden zwischen den ursprünglichen Gerstensorten und den neuen Kreuzungen, die breitere Blätter ausbilden, schauen. „Im nächsten Schritt versuchen wir dann, den Kreis noch enger zu ziehen, um die verantwortliche Stelle im Genom zu finden“, erklärt der Wissenschaftler. Der Forscher rechnet mit zwei Jahren Arbeit und etwa 2.000 bis 3.000 beprobten Pflanzen pro Gerstenmutante, bevor es soweit ist. „Wenn alles gut geht.“
Haben die Wissenschaftler Erfolg und gelingt es ihnen zu bestimmen, welcher Genabschnitt für die breiten Blätter verantwortlich ist, können gezielte Züchtungen stattfinden, um eben diese Eigenschaft auf andere Sorten zu übertragen. „Man würde versuchen, diese Mutation in aktuelle Hochleistungssorten einzukreuzen“, erklärt Michael Lenhard. Je nachdem, wo genau der gewünschte Abschnitt im Genom liegt, erfordert dies mehr oder weniger zahlreiche Kreuzungsversuche. Hoher Kornertrag, aber mehr Biomasse – das sei das langfristige Ziel. Die Kenntnis darüber, welcher DNA-Abschnitt für die breiten Blätter verantwortlich ist, erleichtert den Züchtungsprozess enorm und spart Zeit und Geld.
Neben der molekularbiologischen und genetischen Analyse der Gerstenpflanzen werden die Kooperationspartner des Projekts weitere Eigenschaften der Pflanzen untersuchen. Was geschieht, wenn die verschiedenen Mutanten und Kreuzungen im Freiland kultiviert werden? Bewähren sie sich auf dem Acker und sind sie überhaupt dazu in der Lage, unter Freilandbedingungen gute Erträge zu liefern? Eine Mutante hat etwa besonders breite Blätter, deren Scheiden die Ähren aber zu eng umschließen – dadurch ist die Befruchtung eingeschränkt und der Ertrag sehr gering. Um zu neuen Sorten zu gelangen, die den Landwirten tatsächlich Vorteile bieten, müssen zahlreiche Eigenschaften einer Pflanze auf den Prüfstand. Fünf bis zehn Prozent mehr Biomasse – so schätzen die Forscher des Konsortiums das Potenzial neuer Gerstenkreuzungen ein. Bis es soweit ist und tatsächlich eine neue Sorte Gerste auf den Feldern steht, werden etwa zehn Jahre vergehen, schätzt Michael Lenhard. Bis dahin sind Geduld und Ausdauer gefragt. „Und ein bisschen Glück.“
Der Wissenschaftler
Prof. Dr. Michael Lenhard studierte Biologie in München und Oxford. Seit 2010 ist er Professor für Genetik an der Universität Potsdam und erforscht die genetische Kontrolle der Blatt- und Blütengröße bei Pflanzen sowie deren evolutionäre Veränderung.
Universität Potsdam
Institut für Biochemie und Biologie
Karl-Liebknecht-Str. 24–25, 14476 Potsdam
Email:michael.lenharduuni-potsdampde
https://lenhardlab.wordpress.com/
Das Projekt
„BarPlus“ (Modifying canopy architecture and photosynthesis to maximize barley biomass and yield for different end-uses) erforscht Methoden für eine gesteigerte Biomasseproduktion bei Gerste. Das Potsdamer Teilprojekt untersucht genetische Regulatoren der Blattbreite. Beteiligt: Universität Potsdam, Consiglio per la ricerca in agricoltura e l’analisi dell’economia agraria (Italien), University of Lleida (Spanien), University of Silesia (Polen) Förderung: Europäische Union, Horizon 2020 Rahmenprogramm, FACCE-SURPLUS Laufzeit: 2016–2019 faccesurplus.org/research-projects/barplus/barplus.wordpress.com
Text: Heike Kampe
Online gestellt: Daniela Großmann
Kontakt zur Online-Redaktion: onlineredaktionuuni-potsdampde