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Vorbild Versailles - Mit dem Research Center Sanssouci beginnen die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten und die Universität Potsdam eine international ausgerichtete Zusammenarbeit

Dr. Jürgen Luh (SPSG) und Prof. Dr. Iwan-Michelangelo D‘Aprile. Foto: Karla Fritze.
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Dr. Jürgen Luh (SPSG) und Prof. Dr. Iwan-Michelangelo D‘Aprile. Foto: Karla Fritze.

2013 kehrte Sabine Kunst, damals Ministerin für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Brandenburg, aus Versailles zurück. Sie hatte dort das „Centre de Recherche“ besucht, das als Forschungsinstitut seit 2004 die Universitäten des Landes mit Versailles und der Geschichte seines Königs Ludwig XIV. verbindet. Das können wir hier auch, dürfte sie sich gedacht haben, und holte Dr. Jürgen Luh von der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten (SPSG) und Prof. Dr. Iwan-Michelangelo D’Aprile von der Universität Potsdam ins Boot. Und sie konnten: Am 24. Januar 2016 wurde die Zusammenarbeit von Stiftung und Universität im Research Center Sanssouci (RECS) feierlich verkündet. Bei einem Rundgang durch das Neue Palais erörtern die beiden Direktoren die Anliegen des RECS.

„Das Ziel der Zusammenarbeit von Stiftung und Universität ist es, unsere Forschungsergebnisse von einer breiteren Basis aus in die Welt zu tragen“, erklärt Jürgen Luh. Eine solche institutionelle Kooperation steht eigentlich schon seit der Gründung der Universität an. „Dass die größte Bildungseinrichtung mit der größten Kultureinrichtung der Region zusammenkommt, ist im Grunde nur natürlich“, so der Historiker D’Aprile. Das Institut füllt auch eine drohende Lücke. Denn an der Universität Potsdam wird im September 2016 die letzte Professur für preußische Geschichte in Deutschland eingestellt. „Da lohnt es sich, den Faden aufzugreifen und weiter an der brandenburgisch-preußischen Geschichte zu forschen“, sagt Luh. 

Ein Rundgang mit dem Historiker durch die Friedrichwohnung im Neuen Palais gerät ganz von selbsthinweisen zu müssen“, erläutert Luh. Denn das Porzellan ist eigentlich Beutekunst, die der Monarch am Ende des Zweiten Schlesischen Krieges aus Meißen mitnehmen ließ. 

Die Kooperation will auch die Stadtgesellschaft erreichen

Solches Wissen an die Öffentlichkeit zu bringen, ist ein wesentliches Anliegen des RECS. „Für Wissen und Gesellschaft“, ist das Projekt unterschrieben. „Als unsere Aufgabe sehen wir auch die Vermittlung unserer Erkenntnisse an die Stadtgesellschaft“, sagt D’Aprile. „Es sind schließlich diese zwei großen Einrichtungen, die die Stadt Potsdam prägen.“ Mit Vorträgen und Veranstaltungen richtet sich das neu gegründete Institut direkt an die Bürgerinnen und Bürger, und war beispielsweise auch bei den Musikfestspielen Potsdam 2016 vertreten. Die neuen Räumlichkeiten befinden sich im Zivilkabinetthaus, mitten in der Stadt. „Potsdam hat riesige Standortvorteile“, betont D’Aprile. Internationale Gastwissenschaftler schätzten die hohe Dichte an Archiven und Bibliotheken; das kulturelle Angebot ist vielfältig und der Park Sanssouci Anlaufpunkt für Besucher aus aller Welt. Das liegt auch an den Kooperationen von Uni und Stiftung, die es bereits vor der Gründung des RECS gab. „Waren es bisher einzelne Projekte, an denen Uni und Stiftung gemeinsam gearbeitet haben, gibt es nun zum ersten Mal auf institutioneller Basis eine Plattform, die diese Forschungen zusammenträgt“, so die Historiker. 

Die beiden Direktoren des neuen Forschungsinstituts kennen sich übrigens schon lange. Schließlich war Jürgen Luh ehemals Mitarbeiter der Professur für Landesgeschichte mit dem Schwerpunkt Brandenburg-Preußen. Vor vier Jahren kuratierte er die Ausstellung „Friederisiko“ im Neuen Palais. D’Aprile war damals an dem Themenbereich „Entwicklungspolitik“ beteiligt. Zur Seite stehen den Direktoren des RECS ein fünfköpfiges Kuratorium sowie ein wissenschaftlicher Beirat. Zunächst arbeitet das Institut, das aus Mitteln der SPSG und der Universität finanziert wird, drei Jahre auf Probe. 

Auf der Agenda des RECS steht die Materialitätsforschung zwischen Kultur- und Naturwissenschaft

„Friedrich mochte Obst und er wollte auch im Winter gerne Kirschen essen“, erläutert Jürgen Luh im Esszimmer der Friedrichwohnung mit Blick auf eine von Früchten übersäte, prächtige Kommode des Königs. Seine Leidenschaft ließ er sich durchaus etwas kosten. So belegen die sogenannten Schatullrechnungen Friedrichs, dass er pro Kirsche den außerordentlich hohen Preis von einem Taler und manchmal mehr bezahlte. Die in Stein gearbeiteten Früchte auf der Kommode spiegeln diese Leidenschaft und sie machen die Bedeutung der materiellen Kultur für die Geschichtswissenschaft deutlich. „Die Beschäftigung mit den Objekten gibt uns auch einen Einblick in den Charakter ihres Besitzers“, so Luh. Doch die Materialitätsforschung steht nicht nur in ihrer kulturwissenschaftlichen Dimension auf der Agenda des RECS. Der Name „Research Center Sanssouci“ ist bewusst offen gehalten, um auch die Naturwissenschaften ins Boot zu holen. Beispielsweise gilt es, die zahllosen Objekte aus den Sammlungen der Preußischen Schlösser und Gärten materialkundlich zu erforschen. Dafür arbeitet das Institut bereits mit dem Chemiker Prof. Dr. Hans-Gerd Löhmannsröben von der Mathematisch- Naturwissenschaftlichen Fakultät zusammen, der mit seinen Apparaturen aus der optischen Chemie die Materialgeschichte sichtbar macht. Das Alter oder die Herkunft von Gemälden, Möbeln oder Handschriften kann so festgestellt werden. Im Muschelsaal des Neuen Palais’ arbeitet Prof. Dr. Roland Oberhänsli schon länger daran, die Herkunft der 24.000 Muscheln, Glassteine, Korallen und Schneckenhäuser zu ermitteln. 

Potsdam gilt als ein Zentrum der europäischen Aufklärung 

Das brandenburgisch-preußische Kulturerbe mit der Geschichte der europäischen Aufklärung zu verzahnen, ist ein weiteres wichtiges Arbeitsfeld der Forschungseinrichtung. „Potsdam ist mit der Aufklärungsepoche eng verwachsen“, erklärt D’Aprile. „Die Stadt entwickelte sich bereits mit dem Toleranzedikt zu einem Zentrum der europäischen Aufklärung.“ Friedrich II. habe diese zu einer persönlichen Führung. Es scheint nichts zu geben, das Luh über Friedrich den Großen und sein Schloss nicht weiß: So gehören die kostbaren Meißner Schneeballvasen in der „Fleischfarbenen Kammer“ zur größten Schneeballvasen-Sammlung überhaupt. Selbst in Sachsen gebe es keine vergleichbare. „Sie zeigen die militärischen Erfolge des Königs – ohne darauf explizit Entwicklung intensiv befördert: So rezipierte der König nicht nur die französischen Philosophen, sondern nahm mit seinen philosophischen Schriften auch selbst an den Debatten der Aufklärung teil. Zudem lud er die großen französischen Aufklärer wie Voltaire oder Julien Offray de La Mettrie, der im eigenen Land nicht mehr publizieren konnte, zu längeren Aufenthalten an seinen Hof ein. 

Während sich heute Historiker wie Luh und D’Aprile ganz frei durch die Bibliothek bewegen können, war sie zu Lebzeiten Friedrichs dem König selbst vorbehalten. In den Bücherregalen finden sich Klassiker der Antike, französische Philosophen und militärgeschichtliche Werke. Die Bibliothek kann auch Aufschluss darüber geben, woher Friedrichs Wissen als Philosoph stammte – und welches Leseverhalten er pflegte. Einige Bücher zeigen Lesespuren, wie etwa Brandlöcher, wenn nachts eine Kerze umfiel, in anderen finden sich Einlegezettel mit Notizen. „Friedrich war sehr, sehr kurzsichtig, und ließ sich meist vorlesen. Er nutzte auch eine Brille, die ist jedoch nicht erhalten“, erklärt Jürgen Luh. Außerdem habe Friedrich eine Vorliebe für das Oktavformat gehabt, was an den handlichen Büchern in der Bibliothek unschwer erkennbar ist. 

Welche Werke Friedrich rezipierte, kann auch für eines der ersten Editionsprojekte des Forschungsinstituts von Bedeutung sein. Der Historiker Dr. Avi Lifschitz vom University College of London arbeitet derzeit mit dem RECS an der ersten englischsprachigen Studienausgabe der philosophischen Schriften Friedrichs. Erscheinen soll die Studienausgabe im Verlag Princeton University Press. Die beiden Direktoren des Instituts sind froh über diese internationalen Kooperationspartner. Schließlich ist es ein wesentliches Ziel, die Region und ihr kulturelles Erbe in der Welt sichtbarer zu machen. 

Mit seinen Forschungsprojekten baut das RECS ein internationales Netz auf

Obwohl Friedrich der wichtigste deutsche Protagonist der Aufklärung ist, gehen die Aktivitäten des RECS über die Forschungen zum bekanntesten preußischen König weit hinaus. Ein Editionsprojekt widmet sich den Briefen Wilhelmines von Bayreuth, der Schwester Friedrichs. Rashid Pegah und Yvonne Rehhahn bereiten die Online-Edition der über 100 zum Teil bislang unbekannten Briefe der Markgräfin, die diese auf ihrer Reise nach Frankreich und Italien verfasste, vor. Die Flugschriften von und über Friedrich II. sollen ebenfalls ediert und auf dem Online- Portal „perspektivia.net“ veröffentlicht werden. Zudem könnte 2017 erstmals die jährliche Sommerschule „Global 18th Century“ des RECS starten. Und im Rahmen des „RECS Voltaire Fellowships“ kommen künftig internationale Gastwissenschaftler für drei Monate nach Potsdam. 

Darüber hinaus widmet sich ein studentisches Projekt im Wintersemester 2016/17 der brandenburgischen Kolonialgeschichte. Truc Vu Minh, Leiterin der RECS-Geschäftsstelle und Absolventin des Potsdamer Studiengangs „Kulturelle Begegnungsräume der Frühen Neuzeit“, ist in das Seminarprojekt involviert. „In den Sammlungen der SPSG lassen sich viele Spuren der brandenburgischen Kolonialgeschichte finden, darunter Gemälde und Skulpturen“, weiß Vu Minh. Unter dem Suchraster dieser Kolonialgeschichte sollen die Studierenden im Rahmen des Seminars die Bestände der SPSG sichten. So sind auf einigen Porträts der königlichen Familie damals als „Mohren“ bezeichnete Höflinge zu sehen: „Diese hatten eine hervorgehobene Stellung am Hof, sind oft prachtvoll gekleidet und zu Pferde abgebildet.“ Sie wurden für ihre Dienste gut bezahlt, waren keinesfalls Sklaven. Zum Seminar gehört dann auch die kritische Auseinandersetzung mit den zeitgenössischen Bezeichnungen und der Stellung, die afrikanische Höflinge in Preußen innehatten. Am Ende könnte aus der Lehrveranstaltung eine digitale historische Parkführung auf dem Smartphone entstehen – für die Potsdamer und ihre Besucher aus aller Welt. 

Friedrich der Große schlief übrigens nicht nur mit Socken im Bett, das die Bediensteten nachts dicht vor den Kamin schoben – ewig war Friedrich besorgt zu frieren –, sondern auch mit einem über den Kopf gebundenen Kissen. Noch heute ist es im Winter und Frühjahr im Schloss ziemlich kühl, die Jacke behält man lieber an. Kein Wunder also, dass Friedrich es nur als Sommerresidenz, im Juli und August, bewohnte. Warm eingepackt und gut ausgeschlafen klärt es sich wohl besser auf.

Das Projekt

Im Januar 2016 wurde das Research Center Sanssouci als gemeinsame Forschungseinrichtung der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten und der Universität Potsdam offiziell eröffnet. Es thematisiert die historischen und naturwissenschaftlichen Grundlagen der heutigen globalen Wissensgesellschaft und gibt neue Impulse im Umgang mit dem brandenburgischpreußischen Kulturerbe und der Geschichte der europäischen Aufklärung. Das RECS soll die Internationalisierung dieser Forschungsfelder fördern und die internationale Ausrichtung des Wissenschaftsstandorts Brandenburg stärken.

Research Center Sanssouci. Für Wissen und Gesellschaft
Allee nach Sanssouci 6, 14471 Potsdam
Geschäftsstelle: Truc Vu Minh
Email: t.vuminhrecsacademy
www.recs.hypotheses.org

Forschungsschwerpunkte des Historikers Dr. Jürgen Luh sind die Geschichte des Heiligen Römischen Reiches, die Militär- sowie die brandenburgischpreußische Geschichte. Seit 2008 ist er in der SPSG für Wissenschaft und Forschung zuständig. Unter anderem kuratierte er 2012 die Jubiläumsausstellung „Friederisiko“ zum 300. Geburtstag Friedrichs II. 

Prof. Dr. Iwan-Michelangelo D’Aprile hatte 2009 bis 2015 die Juniorprofessur Europäische Aufklärung an der Universität Potsdam inne, seit 2015 ist er Inhaber der Professur „Kulturen der Aufklärung“. Sein Forschungsschwerpunkt ist die Kultur- und Ideengeschichte der Aufklärung. Auf diesem Gebiet hat er bereits internationale Forschungsprojekte wie „ENGLOBE“ oder „WORLDBRIDGES“ koordiniert.

Kontakt

Dr. Jürgen Luh
Research Center Sanssouci. 
Für Wissen und Gesellschaft
Allee nach Sanssouci 6, 14471 Potsdam
Email: j.luhrecsacademy

Prof. Dr. Iwan-Michelangelo D´Aprile
Universität Potsdam
Institut für Germanistik
Am Neuen Palais 10, 14469 Potsdam
Email: daprileuni-potsdamde  

Text: Jana Scholz
Online gestellt: Agnetha Lang
Kontakt zur Online-Redaktion:  onlineredaktionuni-potsdamde