Die Weltbank tut es, die NATO tut es, die Welternährungsorganisation ebenso: Internationale Regierungsorganisationen geben konkrete Politikempfehlungen an ihre Mitgliedsstaaten ab. Wie diese Empfehlungen aufgenommen und umgesetzt werden, sagt viel darüber aus, wie die Organisationen wahrgenommen werden und ob sie einen Expertenstatus genießen. In einem aktuellen Projekt untersuchen Politikwissenschaftler, welche Auswirkungen dies auf die nationale und internationale Politik hat.
Es war ein Paukenschlag. Am 26. Oktober 2015 erklärte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) in einem Bericht verarbeitetes und rotes Fleisch als krebserregend. Die Organisation empfahl, den Verbrauch einzuschränken. „Als ich an diesem Tag nach Hause kam und meiner Frau davon erzählte, war ihre erste Reaktion: ‚Oh, wir müssen unseren Fleischkonsum verringern‘“, erzählt Per-Olof Busch, Wissenschaftler am Lehrstuhl für Internationale Organisationen und Politikfelder. Für den Politikwissenschaftler war diese erste, spontane Ankündigung das Sinnbild eines Phänomens, mit dem er sich als Forscher derzeit intensiv befasst und das sich auf die Weltpolitik übertragen lässt: Expertenautorität.
Doch was genau verbirgt sich hinter diesem Begriff? „Dies ist ein relativ kompliziertes Konzept“, gibt Per-Olof Busch zu. Im Projekt „Berücksichtigung von Expertenwissen – Internationale Verwaltungsstäbe als Politikexperten“ ergründet er gemeinsam mit Lehrstuhlinhaberin Andrea Liese, Doktorandin Jana Herold und Doktorand Hauke Feil, wie internationale Regierungsorganisationen wie Weltbank, OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) oder FAO (Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen) eben jene Expertenautorität nutzen, um Politik zu gestalten.
Ob Weltbank, Internationaler Währungsfonds oder FAO – alle diese Einrichtungen verfügen über einen großen Stab an Mitarbeitern. „Die Vereinten Nationen beschäftigen etwa 12.000 Leute“, erklärt Per-Olof Busch. Als „Verwaltungsstäbe“ bezeichnen die Wissenschaftler diesen Pool an Sachkundigen, die jeweils einem bestimmten Themenfeld zugeordnet sind. Sie sind die Quelle und Basis der sogenannten Expertenautorität. Sie tragen Wissen zusammen, werten es aus, analysieren es und verfassen schließlich konkrete Empfehlungen, die sie an ihre Mitgliedsstaaten weitertragen. Wie diese Empfehlungen aufgenommen werden, ob sie hinterfragt, überprüft, abgewogen oder eben ohne diesen kritischen Blick übernommen werden, darüber entscheidet die Expertenautorität.
Die herkömmliche Vorstellung von internationalen Regierungsorganisationen sehe häufig wie folgt aus: „Die Mitgliedsstaaten entscheiden, was dort wie gemacht wird“, erklärt Per-Olof Busch. „Wir gehen davon aus, dass das nicht immer zwingend so ist.“ Aufgrund ihrer Expertenautorität seien die Organisationen selbst politische Akteure – so die Hypothese der Forscher. Bisher sei dies kaum untersucht worden. „Es hat noch niemand Expertenautorität wirklich erfasst.“ Es ist also wenig darüber bekannt, wann, wie und warum die Expertenautorität für die nationale und internationale Politik von Bedeutung ist, wie hoch das Potenzial ist und wo die Grenzen liegen. Um das herauszufinden, wollen die Forscher die Rolle der Verwaltungsstäbe von Weltbank und anderen internationalen Einrichtungen nun genauer unter die Lupe nehmen – und zwar global.
Politikempfehlungen sind das Instrument der Organisationen
Für Hauke Feil und Jana Herold, die im Projekt promovieren, ist das Themenfeld ebenfalls Neuland, in das sie sich durch lange Recherche eingearbeitet haben. Welche Politikfelder sollen angesprochen werden? Welche Organisationen kommen dafür infrage? Wie nehme ich Kontakt zu den Verantwortlichen auf? Wie verfasse ich einen statistisch auswertbaren Fragebogen? Diese und zahlreiche weitere Fragen mussten die Nachwuchswissenschaftler beantworten, bevor sie mit der eigentlichen Forschungsarbeit beginnen konnten.
Die Politikfelder Landwirtschaft und Finanzpolitik erschienen für ihre Untersuchungen besonders geeignet. „Diese Themenfelder betreffen Industrie- und Entwicklungsländer gleichermaßen“, erklärt Jana Herold. „Die Themen und Tätigkeitsfelder der Organisationen sollten identisch sein, damit ein direkter Vergleich möglich ist.“ Wichtig sei auch, dass die ausgewählten Organisationen global aktiv sind und Politikempfehlungen kommunizieren. Denn um diese geht es schließlich im Projekt.
Am Ende entschied sich das Team für sechs Organisationen aus dem Politikfeld Landwirtschaft und für 15 Organisationen aus dem Politikfeld Finanzen, deren Einfluss die Forscher genauer unter die Lupe nehmen wollten, um repräsentative Aussagen treffen zu können.
Entscheidend für die Untersuchungen ist die Wahrnehmung der Politikempfehlungen, die die internationalen Regierungsorganisationen regelmäßig an ihre Mitgliedsstaaten abgeben. Diese betreffen die großen Probleme der Menschheit, gehen dabei jedoch durchaus ins Detail. So empfahl die FAO im Jahr 2011, Kleinbauern finanzielle Anreize zu geben, ihre Produktion nachhaltig zu intensivieren. Die OECD empfahl eine umfassende Steuerreform für Kolumbien, um die Wirtschaft des Landes anzukurbeln. Und der IWF sprach sich 2014 für eine Umweltsteuer auf Kohlendioxid aus. Die Empfehlungen werden auf der Grundlage von Studien gegeben. „Die Mitarbeiter untersuchen bestimmte Probleme, beobachten globale Entwicklungen und ziehen daraus ihre Schlussfolgerungen. Sie vergleichen etwa die Ansätze der Mitgliedsstaaten, mit verschiedenen Herausforderungen umzugehen: Welche waren erfolgreich, welche vielleicht besonders kostengünstig?“, erklärt Per-Olof Busch. Gerade die globale Perspektive befähige die Verwaltungsstäbe internationaler Organisationen zu einem Expertenwissen, das über jenes der nationalen Institutionen hinausgehe.
Politikempfehlungen werden dabei in Arbeitspapieren veröffentlicht, mitunter über die Medien verbreitet und somit auch einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Aber internationale Regierungsorganisationen laden auch explizit Mitarbeiter nationaler Ministerien ein, um in Workshops oder Meetings die Ergebnisse ihrer Untersuchungen und die daraus folgenden Schlussfolgerungen weiterzugeben. „Vieles läuft über informelle Kanäle“, so Busch.
Auf die richtigen Fragen kommt es an
Um herauszufinden, ob die Politikempfehlungen der Experten auf fruchtbaren Boden fallen, ist Fleißarbeit gefragt: In einem Losverfahren ermittelten die Potsdamer Politikwissenschaftler zunächst 120 Länder, in die der von ihnen entwickelte, etwa 20 Punkte umfassende und auf Deutsch, Englisch, Französisch und Spanisch verfügbare Fragebogen verschickt wird. Was folgte, waren unzählige Telefonate, stundenlange Internetrecherchen, hunderte E-Mails. In den zuständigen nationalen Behörden und Ministerien mussten die für das jeweilige Themenfeld verantwortlichen Mitarbeiter ermittelt werden. Und das erforderte mitunter Geduld: „Einige Staaten haben keine funktionierenden Webseiten oder die Infos sind veraltet“, beschreibt Jana Herold die Schwierigkeiten. Insgesamt 960 Fragebögen sollen letztlich per Post an die richtigen Adressaten in der ganzen Welt gelangen. Die ersten Briefe machten sich im Dezember 2015 auf den Weg.
„Die besondere Herausforderung bei den Fragebögen ist“, erklärt Per-Olof Busch, „dass wir ein bisschen um die Ecke fragen müssen.“ Denn natürlich könne man nicht fragen: „Übernehmen Sie Politikempfehlungen unreflektiert?“ Würde die Frage so formuliert, wäre die Antwort mit Sicherheit „Nein“, obwohl die Praxis vielleicht anders aussieht. „Wir umschiffen das Problem, indem wir einzelne Elemente abfragen, die uns die richtigen Hinweise liefern.“
So fragen die Wissenschaftler etwa, ob Politikempfehlungen überhaupt zur Kenntnis genommen werden. Im nächsten Schritt geht es darum zu ermitteln, inwieweit diese in politische Entscheidungsprozesse einfließen. Schließlich erfragen die Forscher, ob die internationalen Verwaltungsstäbe tatsächlich auch als Experten wahrgenommen werden. Gibt es am Ende einen statistischen Zusammenhang zwischen Expertenstatus und Annehmen der Politikempfehlungen, werten die Forscher dies als Expertenautorität. „Je stärker der Zusammenhang, desto höher ist auch die Expertenautorität“, so Busch.
Nun kommt es darauf an, wie viele der Fragebögen den Weg zurück nach Potsdam finden. Und dieser ist mitunter lang. „Teilweise werden die Briefe einen Monat für eine Strecke benötigen“, schätzt Hauke Feil. „Drei bis sechs Monate werden wir insgesamt sicherlich warten müssen.“ Um das Projekt statistisch auswerten zu können, benötigen die Forscher eine gewisse Mindestmenge an beantworteten Fragebögen. „Es wäre schön, wenn wir wenigstens 50 Prozent der verschickten Bögen auch zurückbekommen“, so Hauke Feil. „Da auch Krisenländer wie Syrien oder Libyen dabei sind, wird das nicht so leicht“, gibt Per-Olof Busch zu bedenken. „Es ist insofern ein Risikoprojekt, als möglicherweise nicht alle Ziele erreicht werden können.“
Die Wissenschaftler
Prof. Dr. Andrea Liese studierte Politikwissenschaft, Rechtswissenschaften, Soziologie und Germanistik in Frankfurt am Main. Seit 2010 ist sie Professorin für Internationale Organisation und Politikfelder an der Universität Potsdam.
Kontakt
Universität Potsdam
Fachgruppe Politik- & Verwaltungswissenschaft
August-Bebel-Straße 89, 14482 Potsdam
E-Mail: andrea.lieseuuni-potsdampde
Dr. Per-Olof Busch studierte Politikwissenschaften in Berlin. Zu seinen Forschungsschwerpunkten an der Universität Potsdam gehören die Rolle, der Einfluss und die Wirkung internationaler Institutionen, Organisationen und Verwaltungsstäbe.
Kontakt
E-Mail: per-olof.buschuuni-potsdampde
Hauke Feil studiert Politikwissenschaft in Bremen und Internationale Studien/Friedens- und Konfliktforschung in Frankfurt am Main und Darmstadt. In seinem Promotionsprojekt analysiert er die Determinanten für den Erfolg von Entwicklungsprojekten.
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E-Mail: hauke.feiluuni-potsdampde
Jana Herold studierte Betriebswirtschaftslehre in Mainz und Development Economics and International Studies in Erlangen und Nürnberg. In ihrem Promotionsprojekt analysiert sie die Arbeit und Politikempfehlungen von Internationalen Organisationen im Bereich Landwirtschaft.
Kontakt
E-Mail: jana.herolduuni-potsdampde
Das Projekt
Das Forschungsprojekt „Berücksichtigung von Expertenwissen – Internationale Verwaltungsstäbe als Politikexperten“ ist Teil der Forschergruppe „Internationale Verwaltung. Entstehung und Entwicklung von Verwaltungsmustern und ihr Einfluss auf die internationale Politikgestaltung“.
Beteiligt: Universität Potsdam, Universität Konstanz, Technische Universität Darmstadt, Freie Universität Berlin, Ludwig-Maximilians-Universität München, Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer.
Förderung: Deutsche Forschungsgemeinschaft
Laufzeit: 2014 bis 2017
Text: Heike Kampe
Online gestellt: Agnes Bressa
Kontakt zur Online-Redaktion: onlineredaktionuuni-potsdampde