Für den Klimawissenschaftler war es ein Highlight, wenn auch mit bitterem Beigeschmack: Im Mai 2015 erschien als Titelgeschichte im renommierten Fachmagazin Nature Climate Change eine Arbeit, die neue Erkenntnisse über den Einfluss des Klimawandels auf das Golfstromsystem lieferte. Die Grundaussage: Die Strömung im Atlantik hat an Kraft verloren, sogar schneller als früher vorhergesagt. Die Heizung Mitteleuropas schwächelt. Ursache ist wahrscheinlich die globale Erwärmung, u.a. durch die zunehmende Eisschmelze auf Grönland. Leitautor der Studie ist Stefan Rahmstorf, Wissenschaftler am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung und Professor für Physik der Ozeane an der Universität Potsdam.
Sogenannte Proxy-Daten – gewonnen aus Eisbohrkernen, Baumringen, Korallen, Sedimentablagerungen in Ozeanen und Seen – ermöglichten eine Rekonstruktion der Temperaturdaten über die vergangenen 1.000 Jahre und gaben damit neue Einblicke in das Klimasystem. Doch jenseits des wissenschaftlichen Erfolgs sieht der Vater zweier Kinder die Ergebnisse mit Sorge und auch mit einer großen Portion Abgeklärtheit: „Man freut sich darüber natürlich nicht, aber als Klimaforscher bin ich es seit 20 Jahren gewöhnt, dass die Erkenntnisse über die Klimaentwicklung nicht unbedingt erbaulich sind.“
Und dennoch: Die Klimaforschung betreibt der Wissenschaftler mit Herz und Seele. Bereits in seiner Kindheit sei der Grundstein für ein Leben als Naturwissenschaftler gelegt worden, erzählt Stefan Rahmstorf: Vom sechsten bis zum zwölften Lebensjahr lebte er an der holländischen Nordsee – sein Vater war beruflich dort tätig. Die Tage am Meer hinterließen Spuren. „Die ganze Familie hat sehr viel Zeit mit dem Bauen von Sandburgen und dergleichen verbracht“, erzählt der Forscher mit einem Schmunzeln. „Und in mir hat diese Zeit die Begeisterung fürs Meer geweckt.“
Nach der Schule schrieb sich Stefan Rahmstorf zunächst für ein Physikstudium ein, später spezialisierte er sich auf physikalische Ozeanografie. Der Weg vom Physiker und Ozeanografen zum Klimaforscher war nicht weit: „Klima ist letztlich Physik“, so Rahmstorf, „und der Ozean ist einer der wichtigsten Teile des Klimasystems.“ Die großen Wassermassen der Erde stehen in ständigem Stoff- und Energieaustausch mit der Atmosphäre. Aus den Klimamodellen, die der Forscher am PIK entwickelt, sind diese Wärme- und CO2-Puffer nicht wegzudenken.
Doch eigentlich hat ihn das Thema wegen seiner hohen gesellschaftlichen Relevanz in den Bann gezogen. „In meiner Diplomarbeit beschäftigte ich mich noch mit Relativitätstheorie und Kosmologie. Meine Arbeitskraft wollte ich dann aber doch einem Thema widmen, das nicht nur wissenschaftlich spannend, sondern auch von Nutzen für die Menschen ist.“ Und schließlich sei der Klimawandel für die Menschheit die größte Herausforderung des 21. Jahrhunderts.
An den Wänden seines ruhigen Büros, das auf dem Telegrafenberg etwas abseits der Geschäftigkeit der Stadt liegt, hängen Fotografien. Wolkenformationen, Eisbrocken im arktischen Meerwasser, Strände und Landschaften. Die Fotografie und auch das Salsatanzen, Kajaken und Schwimmen sind ein Ausgleich für den Wissenschaftsalltag, den er hauptsächlich am Schreibtisch verbringt. Daten analysieren, mathematische Modelle programmieren, E-Mails beantworten, Tagungsbeiträge und Fachpublikationen entwerfen – Klimaforschung geschieht zum großen Teil am Computer. Stefan Rahmstorf findet dennoch Zeit, neben seiner Arbeit als Wissenschaftler mit seinen Anliegen auch in die Öffentlichkeit zu gehen. Er ist Mitinitiator und Autor zweier Klima-Blogs – dem RealClimate-Blog und der KlimaLounge –, schreibt Kolumnen für ein Umweltmagazin und Artikel für die Tagespresse. Außerdem hat er mehrere Bücher zum Thema Klimawandel verfasst. 2011 erschien das Kinderbuch „Wolken, Wind & Wetter“ – eine „Herzensangelegenheit“ und seine Lieblingspublikation, wie der Wissenschaftler sagt. „Mich selbst haben als Kind populärwissenschaftliche Bücher für die Naturwissenschaften begeistert. Das möchte ich gerne weitergeben.“
In seinem Berufsleben ringt Stefan Rahmstorf nicht nur mit Daten, Analysen und Modellen. Mitunter muss er sich auch – vielleicht mehr als Wissenschaftler anderer Fachgebiete – mit seinen Mitmenschen auseinandersetzen. „Es gibt einen kleinen, aber sehr lautstarken Sektor der Gesellschaft, der die Erkenntnisse aus der Klimaforschung aggressiv ablehnt, bis hin zu persönlichen Angriffen und physischen Drohungen“, erklärt Stefan Rahmstorf. „Man muss sich einfach ein dickes Fell zulegen.“ Inzwischen bringt er die dafür notwendige Gelassenheit auf und relativiert diese Unannehmlichkeiten mit einem historischen Beispiel: „Das ist im Vergleich zu dem, was etwa Galileo Galilei wegen des Eintretens für seine Forschungsergebnisse an Problemen bekommen hat, vernachlässigbar.“
Dennoch: Verzweifelt er nicht manchmal, wenn die Brisanz des Themas von Politik, Wirtschaft und Öffentlichkeit nicht erkannt wird, wenn ein Klimagipfel nach dem anderen ohne nennenswerte Ergebnisse vergeht und wertvolle Zeit verrinnt? „Die Skeptikerbewegung hat es – mit großer finanzieller Unterstützung – geschafft, wichtige Klimaschutzmaßnahmen hinauszuzögern. Das trifft mich als Wissenschaftler weniger, hat aber für die Menschheit erhebliche Konsequenzen“, verdeutlicht Stefan Rahmstorf, der selbst ohne Auto, dafür mit Solaranlage auf dem Hausdach lebt. „Wir drohen, in eine Welt mit massiven Konflikten abzurutschen, wenn es durch Dürren und Ernteausfälle zu Hungerkrisen und großen Flüchtlingsbewegungen kommt, die das, was wir heute erleben, weit in den Schatten stellen werden.“
Dennoch blickt der Klimaforscher optimistisch in die Zukunft: „Umfragen zeigen, dass ein Großteil der Bevölkerung den Klimawandel als ernst zu nehmendes Problem ansieht. Zumindest in Europa.“ Allerdings seien das volle Ausmaß und die Dringlichkeit bisher nicht angekommen. Dabei hake es nicht an den Fakten, über die sich jeder informieren könne, sondern an anderen Gründen. Klimawandel geschieht schleichend, es gibt keinen klar eingrenzbaren Verursacher und das Problem erscheint vielen so groß, dass es ein Gefühl der Hilflosigkeit auslöst.
Lösungen für das Klimaproblem seien bereits heute vorhanden, würden jedoch durch Wirtschafts- und Machtinteressen behindert, betont der Wissenschaftler. Die kommende Klimakonferenz in diesem Dezember in Paris sieht er als möglichen entscheidenden Wendepunkt. „Es gibt viele positive Anzeichen, etwa dass sich die USA und China geeinigt und die Internationale Energieagentur, die Weltbank und aktuell der Papst klare Statements zum Ausstieg aus der Kohle abgegeben haben. Wir haben wesentlich bessere Voraussetzungen als 2009, einen erfolgreichen Klimavertrag abzuschließen. Doch es bleiben uns nur noch wenige Jahre, um umzusteuern und die Emissionswende zu schaffen.“
Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung
Am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) auf dem Potsdamer Telegrafenberg arbeiten Natur- und Sozialwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler aus aller Welt eng zusammen, um den globalen Klimawandel und seine ökologischen, ökonomischen und sozialen Folgen zu untersuchen. Sie erforschen die Belastbarkeit des Erdsystems und entwerfen auf dieser Grundlage Strategien und Optionen für eine zukunftsfähige Entwicklung von Mensch und Natur. Das Institut gliedert sich in vier Forschungsbereiche: Erdsystemanalyse, Klimawirkung und Vulnerabilität, Nachhaltige Lösungsstrategien sowie Transdisziplinäre Konzepte & Methoden. Das PIK ist Teil eines globalen Netzwerks von Forschungseinrichtungen und Hochschulen zu Fragen der globalen Umweltveränderungen und spielt eine aktive Rolle im Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) der Vereinten Nationen, der oft als Weltklimarat bezeichnet wird.
Text: Heike Kampe
Online gestellt: Agnes Bressa
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