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Wer ist der Stärkste? – Biologen-Team sucht nach Gründen für den Invasionserfolg einer Blaualge

Dr. Guntram Weithoff mit den Algen im Labor.
Photo : Karla Fritze
Dr. Guntram Weithoff mit den Algen im Labor.

Das drüsige Springkraut hat es geschafft, die chinesische Wollhandkrabbe auch. Beide gehören zu jenen Pflanzen- bzw. Tierarten, die viele Tausend Kilometer überwunden und sich weltweit in neuen Regionen angesiedelt haben. An ihr Ziel gelangten sie – wenn nicht Menschen, Vögel oder Wind dafür sorgten – meist durch Zufall, als Mitbringsel von Schiffen, Zügen, Flugzeugen, Autos, die über Kontinente hinweg auf großen Handels- und Reiserouten verkehren. Wissenschaftler beobachten diese „Wanderungsbewegung“ seit Langem. Immerhin beeinflussen die als biologische Invasionen bekannten Phänomene die Umwelt – oft in großem Maße. Sie können nicht nur die lokalen Artengemeinschaften beeinträchtigen und die biologische Vielfalt nachhaltig stören, sondern auch die Funktion ganzer Ökosysteme entscheidend verändern. Während die Invasion von Pflanzen und Tieren in der Vergangenheit bereits vielfach untersucht wurde, standen Mikroorganismen bisher weniger im Fokus. Ein Team um PD. Dr. Guntram Weithoff von der Universität Potsdam will dazu beitragen, diese Lücke zu schließen.

Wissenschaftlich exakt heißt die Blaualge, der sich Guntram Weithoff in den nächsten Jahren vornehmlich widmen wird, Cylindrospermopsis raciborskii. Genau genommen ist sie ein Bakterium, ein winziges. Es bildet mikroskopisch kleine Zellfäden (Filamente), die eine Länge von etwa 0,3 und einen Durchmesser von 0,003 Millimeter erreichen. In Brandenburg hat man das Bakterium erstmals in den 1990er Jahren nachgewiesen. Es stammt eigentlich aus tropischen und subtropischen Regionen.

Guntram Weithoff und seine Mitarbeiter schauen sich an, wie sich Seen durch diese Mikroorganismen verändern. Zugvögel und Wind brachten sie vermutlich in ihre neuen Lebensräume. Mittlerweile ist die Blaualge in vielen brandenburgischen Gewässern zu Hause. „Das war auch der Grund dafür, sie als Modellorganismus auszuwählen“, sagt Guntram Weithoff. Die Blaualge ist – aufgrund ihres wachsenden Vorkommens – ökologisch wie ökonomisch relevant. Ökonomisch, weil einige Stämme auch Toxine bilden können, was nicht ohne Bedeutung für die Trinkwassergewinnung und den Erholungswert der Seen ist.

Biologische Invasionen gelten heute neben der fortschreitenden Umweltverschmutzung, den Klimawandel und einer veränderten Landnutzung als Hauptursache dafür, dass die Artenvielfalt in der Natur abnimmt. Ein Widerspruch? Durchaus nicht. Zwar kommen an den verschiedensten Orten der Welt neue Arten hinzu, sie verdrängen aber oftmals die ansässigen alten. Es ist ein Überlebenskampf. „Und der interessiert uns“, so Guntram Weithoff. „Experten schätzen, dass speziell biologische Invasionen in aquatische Systeme bis 2050 und darüber hinaus den größten Anteil am Rückgang biologischer Diversität besitzen werden.“ Damit setzt sich eine gefährliche Entwicklung fort: Schon die Zebramuschel, die Regenbogenforelle oder auch spezielle Wasserfloharten, um nur einige eingewanderte Tiere zu nennen, hatten ihre neuen Habitate nicht nur positiv beeinflusst.

Im Mittelpunkt des aktuellen Projekts steht die Frage, welche Rolle die genetische Diversität des Modellorganismus und der residenten, also vorhandenen, Arten beim Invasionserfolg spielt. Forschungen haben gezeigt, dass invasive Arten sich am besten durchsetzen, wenn möglichst viele ihrer Genotypen beteiligt sind. Im Gegenzug erschwert eine hohe genetische Diversität der ansässigen Konkurrenten den „Einwanderern“, sich im neuen Umfeld zu etablieren und auszubreiten. Die Arbeitsgruppe untersucht, ob das auch für die Blaualge zutrifft und welche Mechanismen hier greifen.

Dazu sollen viele Laborexperimente – mit Phytoplankton als residente Arten – stattfinden. Die ersten sind bereits erfolgt, weitere laufen aktuell. Zehn Genotypen werden eingesetzt, ein Bruchteil der weltweit vorhandenen Menge. Alle stammen aus der Region. „Unsere Projektpartnerin Dr. Claudia Wiedner von der BTU Cottbus-Senftenberg hat sie aus verschiedenen Seen isoliert“, berichtet Guntram Weithoff. Die Stämme ähneln sich morphologisch. Aktuell analysiert das Team gemeinsam mit der Potsdamer Mikrobiologin Prof. Dr. Elke Dittmann, wo sie sich auf genetischer Ebene unterscheiden. Das ist wichtig, um später ihr Verhalten erklären und bewerten zu können.

In den Klimaschränken des Labors werden die Algen, die die Wissenschaftler zum Experimentieren benötigen, in Dauerkulturen frisch gehalten. Dort schwimmen sie in einem speziellen Nährmedium, das ihr Überleben sichert: Neben Wasser enthält es vor allem Nährsalze wie Nitrat, Phosphat und Carbonat sowie verschiedene Spurenelemente.

Die Laborreihe sieht diverse Szenarien vor: Um Rückschlüsse darauf ziehen zu können, unter welchen Bedingungen sich die Alge am erfolgreichsten verbreitet, wird der Modellorganismus einzeln, in Kombination mehrerer Stämme oder auch aller Genotypen einer zuvor angesetzten Mischung beigefügt. Sie besteht aus Algen, die typischerweise in Brandenburg auftreten, und Rädertierchen als Konsumenten. Etwa 70 Ansätze soll es geben. Welcher Stamm ist in welcher Mischung erfolgreich oder nicht? Und gibt es Stämme, die allein eingehen würden, aber im „Fahrwasser“ anderer plötzlich doch überleben? Das sind nur zwei der Fragen, die die Forscher beantworten wollen. Nicht minder interessant dürfte ihre Suche nach Zeitfenstern werden, in denen eine Invasion erschwert oder begünstigt wird. Die Wissenschaft hat zudem auch noch nicht ausreichend geklärt, ob sich „Konsumenten“ in Gewässern, in denen die Alge seit Jahrzehnten existiert, an die neue Art als potenzielle Futterquelle angepasst haben.

Es ist reine Grundlagenforschung, die Guntram Weithoff und seine Mitarbeiter betreiben. „Die Bedingungen draußen kann man nicht 1:1 simulieren, deshalb brauchen wir zunächst diese standardisierten Laborexperimente, um die ablaufenden Mechanismen festzustellen“, erklärt er. „Parallel finden aber im Zuge einer Masterarbeit auch Freilandexperimente statt. Das bringen wir später zusammen und können hoffentlich wichtige Erkenntnisse ableiten.“

Die neuen Erkenntnisse zur Rolle bestimmter Genotypen beziehungsweise Genotypkombinationen sollen bis zum nächsten Frühjahr vorliegen. Eines aber zeichnet sich bereits jetzt ab: Der Invasionserfolg von Cylindrospermopsis raciborskii wird durch die Konkurrenz um Nährstoffe bestimmt – und nicht durch reduzierte Fraßverluste.

Das Projekt

Biologische Invasionen in Seen – genetische Diversität, Timing und lokale Adaption wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert. Involviert sind Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Instituts für Biochemie und Biologie der Universität Potsdam sowie des Lehrstuhls Gewässerschutz der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg.
Laufzeit: 2014–2017

Biodiversität

Unter Biodiversität versteht man primär die Vielfalt aller lebenden Organismen. Neben der Artenvielfalt zählen aber auch die Unterschiedlichkeit innerhalb einer Art (genetische Diversität) sowie die Vielfalt an Lebensräumen und an Wechselbeziehungen zwischen Organismen (funktionelle Diversität) dazu.
In den letzten 100 Jahren kam es zu einem stärkeren Verlust an Biodiversität als je zuvor. Experten machen dafür insbesondere die Umweltverschmutzung, die Intensivierung der Landwirtschaft und den Klimawandel verantwortlich. Die biologische Vielfalt wird jedoch auch durch biologische Invasionen bedroht, weil sie in der Regel negative Einflüsse auf die neuen Lebensräume mit sich bringen. Unter dem Begriff werden die Einschleppung, Etablierung und Ausbreitung neuer Arten in Regionen außerhalb ihrer ursprünglichen Heimat subsummiert.

Der Wissenschaftler

PD Dr. Guntram Weithoff studierte Biologie an der Freien Universität Berlin. Seit November 1999 arbeitet er als wissenschaftlicher Assistent in der Arbeitsgruppe Ökologie und Ökosystemmodellierung im Institut für Biochemie und Biologie der Universität Potsdam.

Kontakt

Universität Potsdam
Institut für Biochemie und Biologie
Maulbeerallee 2
14469 Potsdam
E-Mail: weithoffuni-potsdamde

Published

Online editorial

Silvana Seppä