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Am Steilhang – Wie Landschaften auf den Klimawandel reagieren

Die Anden im Nordwesten Argentiniens. Foto: Taylor Schildgen
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Die Anden im Nordwesten Argentiniens. Foto: Taylor Schildgen

Landschaften verändern sich. Über Hunderttausende, ja Millionen von Jahren. Tektonische Verschiebungen und Erosion schaffen Gebirgsformationen und tragen sie wieder ab. Aber auch das Klima hinterlässt – über längere Zeiträume hinweg – Spuren in der Landschaft. Besonders dann, wenn es sich grundlegend ändert. Mancherorts aber gehen diese Prozesse schneller vonstatten als anderswo. In den argentinischen Anden zum Beispiel. Grund genug für Taylor Schildgen vom Institut für Erd- und Umweltwissenschaften, mit ihrem Team im Nordwesten Argentiniens der Frage nachzugehen, wie sich ein umfassender Klimawandel auf die Gestalt von Landschaften auswirkt – in der ferneren wie näheren Vergangenheit, möglicherweise aber auch in der Zukunft.

 Für Geo- und Umweltwissenschaftler sind große Bergketten mit steilen Hängen wie die Anden besonders reizvoll: „An solchen Orten können wir auf deutliche Ergebnisse hoffen“,  schwärmt Taylor Schildgen. Steile Hänge versprächen eine stärkere Erosion – schnellere Veränderung als anderswo – und die Landschaft sei selbst in nah beieinander liegenden Gegenden zum Teil sehr unterschiedlich. Sie muss es wissen. Mit den Anden verbindet die Geologin eine längere Geschichte. Bereits für ihre Doktorarbeit am renommierten Massachusetts Institute of Technology (MIT) beschäftigte sie sich mit der Entwicklung der längsten Gebirgskette der Erde, die sich durch den ganzen südamerikanischen Kontinent zieht. Schon damals traf die Amerikanerin bei Forschungsreisen in Peru deutsche Wissenschaftler, mit denen sie heute Tür an Tür arbeitet. Nach ihrer Promotion 2008 zog es sie nach Potsdam. Die Anden aber beschäftigten sie weiter. „Ich habe zwischendurch viel in anderen Regionen gearbeitet, vor allem auf dem Anatolischen Plateau“, sagt sie. „2009 war ich dann wieder einmal in den Anden, 2012 habe ich das Projekt beantragt, im Februar 2013 ging es los.“

Das „Projekt“ ist eine Emmy Noether-Nachwuchsgruppe, für die Taylor Schildgen als Gruppenleiterin drei Doktoranden- und eine Postdoc-Stelle zur Verfügung stehen, die sie den Anforderungen des Forschungsansatzes entsprechend besetzten kann. Für die junge Wissenschaftlerin ist dies selbst Neuland, wie sie zugibt. Doch sie betritt es bereitwillig, denn allein ist das Vorhaben nicht zu bewältigen. Vor der Gruppe liegt – im Wortsinn – ein Berg von Arbeit, der es in sich hat. Am Beispiel eines Abschnitts der Anden wollen sie untersuchen, wie eine Landschaftsformation auf Klimawandel reagiert. Die Schwierigkeit verbirgt sich dabei im Wörtchen „Wandel“. Landschaften verändern sich seit jeher, beeinflusst von verschiedensten Faktoren. Doch das Team um Schildgen interessieren die Auswirkungen von einschneidenden Klimaveränderungen. Dafür führt ihre „Reise“ in die Geschichte der Anden – anhand der Analyse von Sedimenten. „An der Isotopen-Zusammensetzung der Sedimente können wir die einstigen Erosionsraten ‚ablesen‘ und rekonstruieren, wie das System auf verschiedene – nasse und trockene – Perioden ‚reagiert‘“, erklärt Schildgen. Grundsätzlich gehen die Forscher davon aus, dass Landschaften unterschiedlich sensibel für Klimaveränderungen sind. Genaueres soll der Vergleich älterer und jüngerer Erosionsraten erbringen. Er könnte etwa zeigen, wie lange es dauert, ehe eine Landschaft auf Veränderungen des Klimas reagiert, wie stark diese Reaktionen ausfallen und wie lange es dauert, ehe neue stabile Bedingungen entstehen. Und natürlich hoffen die Geowissenschaftler, auch solche Prozesse konkreter beschreiben zu können, die Einfluss auf die Landschaftsveränderungen besitzen. „Damit wollen wir über die einfache Formel, dass mehr Niederschlag zu größeren Erosionsraten führt, hinauskommen“, sagt Taylor Schildgen durchaus selbstbewusst. „Unser großes Ziel ist es, spezifische Reaktionen von Landschaften auf einen Klimawandel vorhersagen zu können.“

Deshalb ist ein zentraler Bestandteil des Projekts auch die Erarbeitung von Modellen – die auf der Analyse der erhobenen Daten beruhen, aber über diese weit hinausgehen. Einer der Mitarbeiter wird sich allein der Modellierung widmen. Eine Projektphase, auf die sich Schildgen schon jetzt freut: „Es ist ein bisschen wie ein Spiel. Von dem wir uns viel versprechen.“ Im Idealfall sollen die Ergebnisse mithilfe der Modelle auf andere Landschaftsformen übertragen werden.

Doch zuerst gilt es, Unmengen von Sedimentproben zu sammeln und auszuwerten. 

Gemeinsam mit der Doktorandin Fabiana Castino war Schildgen im Juli 2014 vor Ort, nun lagern in den Regalen ihres Büros in Golm zahlreiche Tütchen. Ihr Inhalt wartet darauf, von der zweiten Doktorandin des Teams, Stefanie Tofelde, im Labor analysiert zu werden. Die junge Wissenschaftlerin ermittelt mit chemischen Analysen die Erosionsraten im untersuchten Gebiet zu verschiedenen Zeiten – und deren Zusammenhang mit klimatischen Veränderungen. „Dafür wenden wir zwei sehr unterschiedliche Methoden an“, erklärt sie. „Um die Erosionsraten zu ermitteln, werden aus den Sedimenten bestimmte Minerale isoliert, in unserem Fall Quarz, und die in ihnen enthaltene Konzentration eines bestimmten Isotopes (Beryllium-10) gemessen.“ Abgelagerte Sedimente verraten so etwas über die Erosion in der Vergangenheit, aktuelle Vergleichswerte liefern „junge“ Proben aus Flüssen. In einem zweiten Schritt sammelt Stefanie Tofelde Informationen über – abermals vergangene und gegenwärtige – Klimaverhältnisse und -veränderungen. Wieder werden dafür Isotope gemessen, allerdings in organischem Material, dessen Entstehung und Entwicklung naturgemäß den klimatischen Bedingungen und ihrem Wandel unterworfen ist. „Das Prinzip ist also das Gleiche“, sagt sie. „Material aus heutigen Flüssen spiegelt die aktuelle Klimasituation wider, vor langer Zeit abgelagertes Material gibt uns Auskunft über das Klima in der Vergangenheit.“

So einfach dieses Vorgehen klingt, so komplex und vor allem langwierig ist die eigentliche Arbeit. Die chemische Analyse im Labor zieht sich in der Regel über Monate hin. Manchmal kann es bis zu einem Jahr dauern, ehe Ergebnisse vorliegen. Da tut es fraglos gut, die „Objekte der Begierde“ hin und wieder selbst einmal in Augenschein zu nehmen. Auch Stefanie Tofelde war im März 2014 einige Wochen in Argentinien, um geeignete Ablagerungen zu suchen. Im März 2015 steht abermals Feldarbeit an. Der Rhythmus hat ganz einfache Gründe, erklärt sie: „Zum einen ist dann hier vorlesungsfreie Zeit und es bestehen keine Lehrverpflichtungen, zum anderen ist die Regenzeit in Argentinien vorbei.“ Für Stefanie Tofelde, die Biologie und Geologie studiert hat, ist das Projekt nicht nur fachlich ein Glücksgriff. Es ist gerade die Abwechslung zwischen der Arbeit im Gelände, im Labor und am Schreibtisch, die sie reizt. „Und dass man mit jedem Projekt ein bisschen besser versteht, warum die Landschaft so aussieht, wie sie aussieht und wie sie eventuell in der Zukunft aussehen wird.“

Zurück im Labor: Normalerweise ist das Material, das die Nachwuchswissenschaftlerin hier vor sich hat, zwischen wenigen Tausend und 100.000 Jahren alt. Doch einige der aktuellen Proben sind, anders als zumeist üblich, nur rund 60 Jahre alt. Die Landschaft von Humahuaca, welche die Wissenschaftler besonders interessiert, hat sich in den vergangenen Jahrzehnten drastisch verändert, wie Taylor Schildgen berichtet: „Es gibt Flüsse, die sich ‚rasend schnell‘ mit Sedimenten füllen. Teilweise 2,5 Meter in nur 20 Jahren. Dadurch wurden große Teile der Verkehrsinfrastruktur vernichtet und müssen komplett neu aufgebaut werden.“

Da die Klimaveränderungen, die diesen sprunghaften Erosionsraten vorausgingen, nur wenige Jahrzehnte zurückliegen, können die Wissenschaftler sogar auf die Daten der örtlichen Wetterstationen zurückgreifen. Noch im Sommer 2014 reiste Fabiana Castino durch die Region, um das Datenmaterial zu sichten. Auch das eine – zumindest für das Projekt glückliche – Ausnahme. Zugleich zeigt es, welche Möglichkeiten das Vorhaben bietet, sollte die Übertragung der Modelle und die Vorhersage von Landschaftsveränderungen infolge des Klimawandels gelingen. Das weiß auch Taylor Schildgen: „Es gibt bereits Interesse seitens der Politik an unserer Forschung. Immerhin wäre es ein großer Fortschritt, wenn sich planen ließe, was zu tun ist, damit es in Regionen wie Humahuaca wieder stabile Verhältnisse gibt.“ Aber bis dahin gilt es noch einen steinigen Weg zu bewältigen.

Die Wissenschaftlerinnen

Taylor Schildgen, Ph.D. studierte Geologie in Edinburgh und Williamstown. Nach ihrer Promotion am Massachusetts Institute of Technology kam sie 2008 an die Universität Potsdam. Seit Februar 2013 leitet sie die Emmy Noether-Nachwuchsgruppe „Geologic reconstructions of changes in erosion rates and hillslope processes in response to climate forcing“.

Kontakt

Universität Potsdam
Institut für Erd- und Umweltwissenschaften
Karl-Liebknecht-Str. 24–25
14476 Potsdam
E-Mail: tschilduni-potsdamde 

Stefanie Tofelde studierte Biologie in Konstanz und Geologie in Potsdam. Seit 2014 ist sie Doktorandin in der Emmy Noether-Nachwuchsgruppe „Geologic reconstructions of changes in erosion rates and hillslope processes in response to climate forcing“.

Kontakt

E-Mail: tofeldeuni-potsdamde

Die hier vorgestellte Forschung ist verbunden mit der Forschungsinitiative NEXUS: Earth Surface Dynamics, die unterschiedlichste wissenschaftliche Aktivitäten der Region Berlin-Brandenburg aus dem Themenfeld Dynamik der Erdoberfläche bündelt. Die Universität Potsdam (UP), gemeinsam mit ihren Partnern des Helmholtz-Zentrums Potsdam – Deutsches GeoForschungsZentrum (GFZ), des Alfred-Wegener-Instituts für Polar und Meeresforschung (AWI) sowie mit Partnern des Potsdam Instituts für Klimafolgenforschung (PIK), des Naturkundemuseums Berlin (MfN) und der Technischen Universität Berlin (TUB) verbindet hierzu die herausragende Expertise in den Geo-, Bio, Klima- und Datenwissenschaften.

Text: Matthias Zimmermann, Online gestellt: Agnes Bressa
Kontakt zur Online-Redaktion: onlineredaktionuni-potsdamde