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Unter Stress – Ökologische Modelle sollen helfen, bedrohte Bienen zu schützen

In den Petzower Obstgärten am Schwielowsee finden die Bienen reichlich Nahrung. Foto: Karla Fritze
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In den Petzower Obstgärten am Schwielowsee finden die Bienen reichlich Nahrung. Foto: Karla Fritze

Ihr Fleiß ist sprichwörtlich. Ohne sie gäbe es kein Obst, keine Früchte. Mehr als 85 Prozent aller Pflanzen, die auf Insekten angewiesen sind, werden von Bienen bestäubt. Ihre volkswirtschaftliche Bedeutung übertrifft die aller anderen Nutztiere, was häufig unterschätzt wird. Erst jetzt, da sie immer häufiger auf scheinbar mysteriöse Weise sterben, wächst die Sorge um sie. Weltweit suchen Experten nach Lösungen. Computermodelle sollen helfen, Gefahren zu erkennen.

Geschäftiges Surren erfüllt die Luft. Das frühe Frühjahr hat die Bienen zeitig ausfliegen lassen. In den Petzower Obstgärten am Schwielowsee finden sie reichlich Nahrung. „Es geht ihnen gut“, sagt Richard Kowitz mit prüfendem Blick und deckt den nur kurz geöffneten Stock vorsichtig wieder ab. „Man darf sie nicht unnötig stören, sie brauchen uns Menschen nicht.“ Der junge Imker, der im ersten Beruf als Umweltingenieur arbeitet, begegnet den Tieren mit größtem Respekt. Über die Jahre, in denen er mit ihnen lebt, hat er das richtige Gespür für Distanz und Nähe entwickelt. Dieses Erfahrungswissen sei unverzichtbar. Trotz wirtschaftlicher Interessen am goldgelben Bienensaft überlegt er jeden Schritt, mit dem er in den „Superorganismus“ eines Volkes eingreift.

Es geht darum, jeglichen Stress zu vermeiden. Die aus Asien eingeschleppte Varroa-Milbe, Monokulturen und Pestizide in der Landwirtschaft, aber auch zu milde Winter infolge des Klimawandels und eine generell abnehmende Artenvielfalt setzen den Bienenvölkern weltweit zu. Besonders in Nordamerika, wo die Insekten zum Bestäuben oft Tausende Kilometer quer durchs Land zu den verschiedenen Anbaugebieten gefahren werden, sterben ganze Kolonien. Naturschützer und Ökologen schlagen Alarm. Beschwörend wird immer häufiger Albert Einstein zitiert, der dem Menschen noch vier Jahre Überlebenszeit voraussagte, falls die Bienen aussterben würden. Nicht nur die Ernte von Obst und Feldfrüchten bliebe dann aus, sondern auch die des Viehfutters. 

Angestrengt suchen Experten nach den Ursachen des Massensterbens, messen in aufwendigen Feldstudien den Einfluss einzelner Stressfaktoren, tauschen auf internationalen Kongressen ihre Daten aus. Inzwischen zeigt sich: Die eine Ursache gibt es wahrscheinlich nicht. Vielmehr ist es die unheilvolle Kombination verschiedener Faktoren. „Wir sprechen von multiplen Stressoren“, sagt Volker Grimm, Professor für Theoretische Ökologie an der Universität Potsdam sowie am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung-UFZ in Leipzig. Den Wissenschaftler interessiert, wie die einzelnen Faktoren zusammenwirken und welche Folgen das für ein ökologisches System hat. Nicht nur für die Bienen gelte, dass Stressoren im synergetischen Zusammenspiel ein System mehr schädigen können als die Summe aller Einzelbelastungen.

Wie der Imker Richard Kowitz, so sieht auch Volker Grimm nicht die einzelne Biene, sondern das gesamte Volk als einen Organismus, der wie alle komplexen Systeme bei zu viel Stress kollabieren kann. Er betrachtet dies jedoch nicht in der Natur, sondern im Computermodell. Mehr als einhundert Parameter repräsentieren unter anderem die Bedingungen der Nahrungsaufnahme, den Einfluss von Klimaveränderungen, und die Risiken durch Schädlingsbefall und Pestizide. Als theoretischer Ökologe hat Grimm den deutschen Biologen Matthias Becher von der University of Exeter bei der Entwicklung eines entsprechenden Modells unterstützt. Während in der äußerst zeit- und arbeitsaufwendigen Feldforschung meist nur die Wirkung eines Stressfaktors in einer Population in einem begrenzten Gebiet untersucht werden kann, lassen sich in das Computerprogramm konkrete Daten verschiedener Parameter eingeben und miteinander in Beziehung setzen. So etwa die Anzahl der Eier, Larven und Arbeitsbienen, Temperatur und Niederschlag, die Menge des Honigs und des Pollenvorrats oder auch der Zuckergehalt des Nektars. Selbst die Strecke, die die Bienen bis zur Nahrungsquelle fliegen müssen, wird berücksichtigt. Und dann natürlich der mögliche Befall mit jenen Milben, die die krankmachenden Viren übertragen und die Bienenvölker schwächen. Mithilfe dieser multifaktoriellen Betrachtung sollen drohende Gefahren besser beurteilt und gezielt vorgebeugt werden. „Auch wenn im Modell einzelne Dinge komplett ignoriert oder grob vereinfacht werden mussten, ist es doch sehr komplex und umfassend“, sagt Grimm, der jede einzelne der über 6.000 Zeilen des Computerprogramms geprüft hat, mit dem das Modell simuliert wird. Kleinste Fehler würden sich groß auswirken und die Prognosen verfälschen, erklärt der Biologe und berichtet von Sensitivitätsanalysen, die nötig waren, um das Modell robust zu machen. Neu gegenüber bisherigen Modellen ist, dass es nicht nur die Prozesse innerhalb des Bienenstocks, sondern auch die äußeren Bedingungen erfasst, vor allem die Verfügbarkeit von Pollen und Nektar. Sowohl für Ökologen als auch für Imker steht damit ein Instrument zur Verfügung, mit dessen Hilfe sie Risiken genauer einschätzen und dann präventiv handeln können. „Beehave“ – so der doppelsinnige Name des Programms – ist unter http://beehave-model.net/ offiziell verfügbar. Jeder kann es nutzen. Auch Umweltingenieur Richard Kowitz, der in seiner Arbeit mit den Bienen das reiche Erfahrungswissen vorangegangener Imkergenerationen ebenso schätzt wie neue Erkenntnisse aus der Forschung.

Für Volker Grimm liegt genau hier ein Motiv seiner Forschungsinteressen begründet: vorhersagende Modelle zu entwickeln, die transparent und realistisch genug sind, um Entscheidungen im Umweltmanagement zu unterstützen. In einem künftigen Projekt will er möglichst europaweit mit Imkern, aber auch mit Landwirten zusammenarbeiten. Ein reales Problem sei zum Beispiel der übermäßige Anbau von Raps, der zur Blütezeit die Bienenkolonien schnell anwachsen lasse. Nach dem Verblühen aber könnten die Völker ihren gestiegenen Nahrungsbedarf nicht mehr decken. „Zwei Wochen Hunger im Juni sind eine empfindliche Störung. Kommen dann noch Pestizide hinzu, kann es für die Bienen kritisch werden“, erklärt der Biologe, der die Modelle so weiterentwickeln will, dass man mit ihnen sinnvolle Szenarien in realistischen Landschaften testen kann. Etwa blütenreiche Strukturen, in denen Bienen gesichert Nahrung finden und ungestört ihrer Arbeit nachgehen können, vom ersten Ausflug im Frühling über die Schwarmzeit im Sommer bis zum Sammeln ihrer Wintervorräte.

In der Lehre an der Universität Potsdam versucht Volker Grimm, die Studierenden für das Modellieren solcher ökologischen Szenarien und Prozesse zu begeistern. Auch wenn diese Arbeit nicht dem klassischen Bild eines Biologen in der Natur oder im Labor entspricht, interessieren sich doch immer mehr junge Wissenschaftler dafür und entdecken die Möglichkeiten, komplexe Systeme wie das eines Bienenvolkes in ihrer Dynamik besser analysieren und verstehen zu können.

Der Wissneschaftler

Prof. Dr. Volker Grimm studierte Biologie und Physik in Marburg, wo er 1994 promovierte. 2003 habilitierte er an der Universität Potsdam. Seit 2012 ist er am Institut für Biologie und Biochemie Professor für Theoretische Ökologie, eine gemeinsame Berufung der Universität Potsdam und des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung-UFZ in Leipzig.

Kontakt

Institut für Biochemie und Biologie der Universität Potsdam und Department Ökologische Systemanalyse am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung-UFZ Leipzig

E-Mail: volker.grimmufzde 

Text: Antje Horn-Conrad, Online gestellt: Agnes Bressa
Kontakt zur Online-Redaktion: onlineredaktionuni-potsdamde