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Grassfielder’s Guide to the English Language – Von der Arbeit an einem Wörterbuch des Westafrikanischen Englisch

Foto: Karla Fritze
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Foto: Karla Fritze

Englisch ist Weltsprache, mit „World English“ wird man in den meisten Ländern verstanden. In vielen Regionen ist Englisch aber mittlerweile nicht nur internationale Verkehrssprache, sondern ist als Zweit- oder Drittsprache Teil der jeweiligen Kultur geworden. Und fast überall spricht man Englisch etwas anders. Als „World Englishes“ werden die Varietäten der englischen Sprache bezeichnet, von denen rund um den Globus inzwischen mehr als 70 bekannt und beschrieben sind. Und um diese zu verstehen, braucht man häufig ein eigenes Wörterbuch. An einem solchen Nachschlagewerk – für Westafrikanisches Englisch – arbeitet Prof. Dr. Hans-Georg Wolf vom Institut für Anglistik und Amerikanistik der Universität Potsdam. Die Besonderheit: Es fasst gleich sechs verschiedene regionale Varietäten zusammen – aus Gambia, Ghana, Kamerun, Liberia, Nigeria und Sierra Leone.

Die Zeit der einst bedeutendsten Kolonialmacht der Welt, dem britischen Empire, mag der Vergangenheit angehören, aber sein Erbe ist überaus lebendig – nicht zuletzt in der Vielfalt der „World Englishes“. Die Karibik, Australien, Südafrika oder Neuseeland waren nur die ersten Regionen, in denen mit Kolonialbeamten und Siedlern auch die englische Sprache ein neues Leben begann. Neue grammatische Eigenheiten, neue Aussprache, vor allem aber neue Wörter. Von Südasien über die Pazifik-Region bis nach Afrika finden sich mittlerweile eigene Varietäten, die sich inzwischen so sehr vom Standard-Englisch unterscheiden, dass eigene Wörterbücher nötig sind, um sie zu verstehen.

Outbacker, Outporter, Grassfielder – drei englische Wörter, die zwei Dinge gemeinsam haben: Zum einen stammt keines von ihnen aus Großbritannien, dem Mutterland, oder den USA, dem zweiten Taktgeber der englischen Sprache. Teilweise sind sie dort sogar nur wenigen bekannt. Zum anderen bezeichnet jedes der drei einen Menschen, der in einer überaus charakteristischen Region lebt, nämlich dort, wo auch das Wort selbst beheimatet ist: dem australischen Hinterland (Outback), den fernab der Zivilisation gelegenen Fischerhäfen Kanadas (Outport) und den weiten Graslandschaften Westkameruns (Grassfield). Diese Wörter wären andernorts nicht entstanden, weil sie schlicht nicht gebraucht werden. Beispiele wie diese zeigen, dass die englische Sprache überall in der Welt den Bedürfnissen und den regionalen Besonderheiten angepasst wurde – und sich so zu zahlreichen eigenen Varietäten ausdifferenzierte. Für die Sprachwissenschaft sind diese aus mehreren Gründen interessant, wie Prof. Wolf erklärt: „An den regionalen Englisch-Varianten lassen sich viele verschiedene Prozesse des Sprachwandels beobachten. Englisch ist in den meisten dieser Länder enorm wichtig, aber keineswegs die einzige Sprache. Dadurch gibt es einen regen sprachlichen Austausch zwischen den oft mehreren Muttersprachen und dem dort gesprochenen Englisch. Für die Forschung ist das ein spannendes Feld.“

Während etwa die asiatischen Englisch-Varietäten schon seit einigen Jahrzehnten untersucht werden, standen afrikanische World Englishes wissenschaftlich bis vor wenigen Jahren noch weitgehend „im Schatten“. „Auch wenn es erste Untersuchungen und Wörterbücher zum Englischen in Süd- und Ostafrika gab, war Afrikanisches Englisch damals relatives Neuland“ so Prof. Wolf. „Lange wurde bezweifelt, ob es sich wirklich um eigene Varietäten handelt. Doch inzwischen sind sie längst institutionalisiert, auch sprachpolitisch, und erfüllen wichtige Funktionen. Manchmal bilden sie sogar die neutrale Lingua Franca, auf die sich verschiedene Bevölkerungsgruppen am ehesten einigen konnten, wie in Nigeria.“

Als 1999 an der Humboldt-Universität zu Berlin eines der ersten umfassenden Projekte begonnen wurde, sechs verschiedene Englisch-Varietäten in Westafrika vergleichend in den Blick zu nehmen, war Hans-Georg Wolf dabei. Seit einem ersten Praktikum 1993 beim Goethe-Institut in Kamerun, noch während seiner Promotionsphase, hat ihn das Thema nicht mehr losgelassen. In dem anfangs vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (damals noch Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge) geförderten Projekt ging es lange vor allem darum, so viel Sprachmaterial zu sammeln wie möglich, erinnert sich Wolf: „Anfangs haben wir alles zusammengetragen und in eine Datenbank aufgenommen: Sprachproben auf Band, erste Aufsätze, Bücher, Zeitungen, alles schriftliche Material, das wir in die Hände bekommen konnten. Nicht immer war das leicht. Wir reisten mehrfach in etliche der Länder, um vor Ort an Material zu gelangen und Sprecher zu interviewen. Inzwischen ist zudem das Internet eine der wichtigsten Quellen.“ Viel Material verdanken die Forscher aber auch den einheimischen Wissenschaftlern, mit denen sie im Laufe der Jahre ein stabiles Netzwerk aufgebaut haben. Diese liefern nach wie vor zuverlässig Nachschub.

Anschließend wurde und wird – das Sammeln hört gewiss nie ganz auf – das Sprachmaterial auf Wörter und Ausdrücke durchforstet, die im Kern (dem „Common Core“) der englischen Sprache nicht oder nur mit einer anderen Bedeutung vorkommen. Denn das Wörterbuch enthält nur Einträge, die es ausschließlich im Westafrikanischen Englisch gibt. Die Ausbeute fällt für die einzelnen Länder sehr unterschiedlich aus. Insgesamt umfasst die Datenbank gegenwärtig rund 9.000 Einträge. Davon stammen derzeit etwa 2.500 aus dem Nigerianischen Englisch, die für diese Varietät exklusiv sind, aus dem Kamerunischen sind es etwa 1.300 und aus dem Ghanaischen knapp 900. Die Varietäten aus Liberia (etwa 500), Sierra Leone (etwa 350) und Gambia (etwa 260) sind noch seltener vertreten. Der Rest der Einträge kommt in mehreren Varietäten des Westafrikanischen Englisch vor. Die Unterschiede liegen zum einen in der Größe der Länder beziehungsweise der Einwohner- und damit auch Sprecherzahl begründet: So werden von den mehr als 150 Millionen Nigerianern insgesamt über 500 verschiedene Sprachen gesprochen, von denen etliche ihre Spuren im nationalen Englisch hinterlassen haben. In Gambia, wo rund 1,7 Millionen Menschen leben, gibt es (nur) 20 Sprachen. Zudem erschwerte etwa die Geschichte der von Bürgerkriegen gebeutelten Länder Sierra Leone und Liberia den Aufbau eines geeigneten Sprachkorpus.

Hat sich ein Wort als nicht dem „Common Core“ zugehörig erwiesen und kann in das Wörterbuch aufgenommen werden, geht es an seine Analyse: Welche Bedeutung hat es? Woher stammt es? Aus welcher Sprache und welchen kulturellen Zusammenhängen wurde es entlehnt? Welche ganz eigenen kulturellen Konzeptionen und Modelle spiegelt es, die scheinbar mit keinem bestehenden englischen Wort transportiert werden können? Bislang zeigt sich, dass ein Großteil der Wörter aus einigen zentralen kultur- und landesspezifischen Bereichen stammt. So finden viele Termini für einheimische Pflanzen und Tiere, aber auch Lebensmittel Eingang ins hiesige Englisch. Dazu kommen Ausdrücke für traditionelle soziale Hierarchien oder administrative Systeme sowie aus der Kultur und der Jugendsprache. Bemerkenswert ist: Zwar gibt es zwischen einzelnen Varietäten, beispielsweise zwischen dem Kamerunischen und dem Nigerianischen Englisch eine Reihe von Lexemen, die sich diese beiden Varietäten teilen, doch Wörter, die allen Varietäten des Westafrikanischen Englisch gemeinsam sind, gibt es kaum, wie Hans-Georg Wolf feststellt: „Unter den rund 9.000 Einträgen gibt es nur sechs, die für alle Länder belegt sind: chief (traditioneller Herrscher, gewählter Anführer einer Gemeinschaft), dash (Bestechung, kleines Geschenk), brown envelope (Bestechung), petty trader (kleiner (Straßen)Händler), fufu (eine Getreidespeise) und pepe (scharfe Paprika). Dass zwei von ihnen Korruption beschreiben, ist für den Sprachwissenschaftler Wolf indes weniger ein Beweis dafür, dass die dortigen Gesellschaften korrupter sind, als vielmehr ein Indiz dafür, dass sie Bestechung als drängendes Problem wahrnehmen und sprachlich verarbeiten.

Das Wörterbuch ist ein Mammutprojekt, das indes von einem kleinen Team und – mittlerweile hauptsächlich – von dessen Begeisterung vorangebracht wird. Die beteiligten Forscher sitzen verstreut rund um die Welt. Sie arbeiten dank moderner Technologie parallel an der Datenbank, auf die alle Zugriff haben. „Wir schreiben derzeit für alle Begriffe die Einträge – mit Angaben zu Quellensprachen, Definitionen, Beispielen aus dem Sprachgebrauch und, wenn es sich um idiomatische Wendungen handelt, auch Ausführungen zu den kulturellen Konzeptualisierungen, die sich dahinter verstecken“, erklärt Hans-Georg Wolf.

15 Jahre schon dauert die Arbeit, doch Wolf ist sich sicher: Es werden nicht noch einmal 15. In drei bis fünf Jahren, so sein Plan, soll das Wörterbuch abgeschlossen sein. Die Suche nach einem Verlag läuft bereits. Wie das geht, hat Hans-Georg Wolf längst erprobt. Vor Kurzem hat er ein Wörterbuch des Hongkong-Englisch herausgebracht. 

Das Projekt

Wörterbuch des Westafrikanischen Englisch Beteiligt: Prof. Dr. Hans-Georg Wolf (Universität Potsdam), Dr. Lothar Peter (Humboldt-Universität zu Berlin), Dr. Frank Polzenhagen (Universität Heidelberg) 

Laufzeit: Seit 1999

Der Wissenschaftler

Prof. Dr. Hans-Georg Wolf studierte Amerikanistik, Germanistik und Pädagogik an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Seit 2008 ist er Professor für Entwicklung und Variation der englischen Sprache an der Universität Potsdam.

Kontakt

Universität Potsdam
Institut für Anglistik und Amerikanistik
Am Neuen Palais 10, 14469 Potsdam
hgwolfuni-potsdamde

Text: Matthias Zimmermann, Online gestellt: Agnes Bressa