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Der Reiz des Unterschieds

Kovalevskaja-Preisträgerin Dr. Kerstin Kaufmann will pflanzliche Entwicklung und Evolution verstehen

Foto: Karla Fritze
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Foto: Karla Fritze

Wer träumt nicht vom großen Gewinn und wartet dennoch vergeblich darauf? Dr. Kerstin Kaufmann hatte das Glück der Tüchtigen. Die Biologin ist eine der 14 Sofja Kovalevskaja-Preisträger des Jahres 2012. Und damit hält sie 1,6 Millionen Euro in den Händen, für die sie allerdings hart gearbeitet hat. Mit dem Preisgeld baut sie an der Universität Potsdam eine eigene Arbeitsgruppe auf, die sich mit der Pflanzenentwicklung beschäftigt.

Kerstin Kaufmann interessierte sich schon als kleines Mädchen für das, was im Garten ihrer Eltern blühte, wuchs und krabbelte. In Mellin, einem 200 Einwohner zählenden Dorf in Sachsen-Anhalt, kam sie auf Schritt und Tritt mit der Natur in Berührung. Und der Biologieunterricht inspirierte die heute 36-Jährige, dieses Interesse weiterzuverfolgen. „Es reichte mir schon sehr früh nicht mehr aus, nur die Namen von Pflanzen und Tieren zu kennen.“ Sie wollte deren Unterschiedlichkeit verstehen. Deshalb entschloss sie sich zum Biologiestudium, zunächst in Braunschweig, und legte den Fokus bereits damals auf Pflanzen. Direkt nach dem Grundstudium studierte sie in Schweden weiter. Dort beschäftigte sie sich erstmals mit den sogenannten Transkriptionsfaktoren, die für die Entwicklung und Evolution der Pflanzen sehr wichtig sind. „Wissenschaftliche Neugier ist das, was mich immer angetrieben hat, deshalb ging ich auch nach Uppsala“, sagt Kerstin Kaufmann. Denn an der traditionsreichen schwedischen Universität konnte sie Kontakte zu Experten auf ihrem Fachgebiet aufbauen.

Ob in Schweden oder später in Jena und Köln: Immer hatte sie die Pflanzenforschung, insbesondere die evolutionäre Entwicklungsbiologie der Pflanzen, die Blütenentwicklung, im Blick. Bei den Forschungen für ihre Doktorarbeit wurde ihr klar, „dass für das Verständnis der Evolution die Analyse von Modellpflanzen hinsichtlich der Funktionsweise von sogenannten Transkriptionsfaktoren und ihrer Netzwerke bedeutungsvoll ist“, wie sie selbst sagt. Und wieder zog Kerstin Kaufmann weiter, um ihre Forschungsinteressen zu verfolgen. An der niederländischen Wageningen Universität bot man ihr eine Stelle an, die alle Möglichkeiten zur Weiterverfolgung ihres wissenschaftlichen Ansatzes bot. „Um molekulare Interaktionen zu studieren, gibt es sehr viele Methoden, aber nicht viele, die innerhalb der Pflanze in die Gewebe schauen“, so Kaufmann. Sie selbst hat Methoden etabliert und optimiert, um der Frage nachzugehen, welche DANN-Bindestellen und Interaktionspartner die Transkriptionsfaktoren in der Pflanzenentwicklung haben.

Daneben lässt sie bis heute das Themengebiet Evolution nicht los. Seit Ende 2012 leitet sie im Institut für Biochemie und Biologie die Nachwuchsgruppe Pflanzenentwicklung. Prof. Dr. Bernd Müller-Röber, mit dem sie schon länger Forschungskontakte verbinden, schlug ihr vor, sich für den Sofja Kovalevskaja-Preis zu bewerben, was sie auch tat. Im April 2012 war klar: Sie hat den Preis und damit 1,6 Millionen Euro gewonnen. Zum damaligen Zeitpunkt arbeitete sie noch in den Niederlanden als Gruppenleiterin und Assistant Professor. „Nach intensivem Überlegen habe ich mich für Potsdam und den Preis entschieden“, sagt Kerstin Kaufmann. Ihr Mann, Spanier und Bioinformatiker, arbeitet jetzt in Berlin, und beide sind nach Potsdam-Golm umgezogen.

Die Forschungsgruppe umfasst inzwischen neben ihr als Leiterin sechs Wissenschaftler, Doktoranden, Postdocs und einen Studierenden. Die Mitstreiter kommen aus Holland, China, Italien und Deutschland. Die internationale Zusammensetzung des Teams ist kein Zufall, sondern gewollt. Fünf Jahre haben die Forscher nun Zeit, wissenschaftliches Neuland zu betreten und ihre Ideen zu verwirklichen. Und sie haben sich viel vorgenommen: Sie wollen verstehen, wie Pflanzenvielfalt im Genom „kodiert“ und wie dieser Code gelesen und umgesetzt wird. Die Wissenschaftler befassen sich mit der Frage, wie Entwicklungsprozesse auf molekularer Ebene gesteuert werden, von der DNA-Sequenz bis zur fertigen Blüte. Sie untersuchen Modellpflanzen, vergleichen ebenso Pflanzen untereinander. In der Klimakammer ziehen die Forscher die Pflanzen heran, die Modellpflanze Arabidopsis thaliana und nah verwandte Arten, an denen sie Entwicklungsprozesse vergleichen und Gene untersuchen, die in diesen Prozessen wichtige Rollen haben. Denn für die Entwicklung der Pflanze sind nicht alle Gene von gleicher Bedeutung. Die Arbeitsgruppe konzentriert sich auf die Schlüsselregulatoren und deren Zielgene.

Die Arbeitstage der jungen Wissenschaftler bestehen im Wesentlichen aus einer Kombination von Laborexperimenten und Datenanalyse. Dabei arbeiten sie auf der Molekülebene, analysieren Gene mit molekular- oder biochemischen Methoden im Labor. „Um verwertbare Daten zu erhalten, ist es wichtig, die Experimente exakt durchzuführen“, sagt Kerstin Kaufmann. Denn nach der Arbeit im Labor folgt die Auswertung der Daten am Computer. Letztlich schauen die Wissenschaftler nach Bindestellen von Transkriptionsfaktoren im Genom und fragen, welches Gen warum, wann und wodurch reguliert wird und welche Bedeutung das für die Entwicklung der Pflanze hat. Da die Gruppe viel mit genomweiten Datensätzen arbeitet, ist bioinformatorische Expertise sehr wichtig. Hier bietet die Universität Potsdam mit ihrem Bioinformatik-Bereich optimale Voraussetzungen für Trainings und Kooperationen. Vorteilhaft für die Arbeit der Gruppe ist auch die Zusammenarbeit mit dem Max-Planck-Institut für Molekulare Pflanzenphysiologie in Golm, beispielsweise für proteomische Analysen. Auch innerhalb der Universität möchte Kerstin Kaufmann noch stärker Kooperationen mit Fachkollegen auf- und ausbauen.

Doktoranden zu betreuen, ist für die Preisträgerin eine interessante Herausforderung. „Man braucht ein ganz anderes Talent dafür, als wenn man selbst experimentiert“, sagt die junge Wissenschaftlerin. Man müsse die Leute individuell coachen und motivieren, ihnen auch Freiräume geben, damit sie sich entwickeln können. Es ist ihr wichtig zu vermitteln, dass das Schreiben einer Doktorarbeit kein Kinderspiel ist, fast jeder muss dabei Tiefpunkte überwinden. Letztlich sei der Doktortitel damit verbunden, ein unabhängiger Wissenschaftler zu sein. Man muss eigene Ideen entwickeln und bis zum Ende verfolgen, auch wenn nicht immer alles funktioniert. Trotz aller neuen spannenden Aufgaben vermisst sie bisweilen die Zeit für eigene experimentelle Arbeiten. Um alles unter einen Hut zu bringen, sei ein optimaler Zeitplan Voraussetzung. Und weil Kerstin Kaufmann auch im neuen privaten Umfeld einen kleinen Garten hat, kann sie dort der Natur nahe sein, was sie sehr mag.

SOFJA KOVALEVSKAJA-PREIS

Der Preis der Alexander von Humboldt-Stiftung ist mit einem Preisgeld von bis zu 1,65 Millionen Euro einer der höchst dotierten deutschen Wissenschaftspreise. Er ermöglicht den ausgezeichneten Forschern aus dem Ausland, fünf Jahre lang ein eigenes Forschungsprojekt an einem Institut ihrer Wahl in Deutschland durchzuführen und eine eigene Arbeitsgruppe aufzubauen. Die Preisträger erhalten die Auszeichnung für kreative Forschungsansätze und dürfen ihre Promotion nicht vor mehr als sechs Jahren abgeschlossen haben. Benannt wurde der Preis nach der 1850 geborenen russischen Mathematikerin Sofja Kovalevskaja. Sie hatte 1889 eine ordentliche Professur für Mathematik an der Universität in Stockholm erhalten. 

DIE WISSENSCHAFTLERIN

Dr. Kerstin Kaufmann studierte Biologie in Braunschweig, Uppsala (Schweden), Jena und Köln. 2012 erhielt sie den Sofja Kovalevskaja-Preis der Alexander von Humboldt-Stiftung. Seit Dezember 2012 leitet sie die Nachwuchsgruppe Pflanzenentwicklung am Institut für Biochemie und Biologie der Universität Potsdam.

Kontakt

Universität Potsdam
Institut für Biochemie und Biologie
Karl-Liebknecht-Str. 24–25
14476 Potsdam
kerstin.kaufmannuni-potsdamde

Text: Barbara Eckardt, Online gestellt: Julia Schwaibold