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Frischer Forschergeist

Nachwuchswissenschaftler und junge Professoren dominieren den Sonderforschungsbereich Informationsstruktur

Foto: Karla Fritze
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Foto: Karla Fritze

„Unser Laden läuft ganz gut“, findet Prof. Dr. Malte Zimmermann und lächelt zufrieden. Der „Laden“, das ist der Sonderforschungsbereich (SFB) Informationsstruktur, an dessen Spitze der Linguist derzeit als Sprecher steht. Bereits seit mehr als zehn Jahren nähern sich Wissenschaftler der Universität Potsdam, der Humboldt-Universität zu Berlin und der Freien Universität Berlin in einem Forschungsverbund dem namensgebenden Thema aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Die Kooperation greift damit die Grundidee der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) auf, wenn sie davon spricht, mit den derzeit über 200 Sonderforschungsbereichen innovative Forschungsvorhaben zu ermöglichen – und zwar über die Grenzen von einzelnen Instituten, Fachbereichen und Fakultäten hinweg.

Dass Malte Zimmermann 2009 Leiter dieses langfristig konzipierten Forschungsvorhabens werden würde, war zu Beginn keineswegs selbstverständlich. Denn als 2011 die dritte Förderperiode bei der DFG beantragt wurde, war er noch Juniorprofessor. Eine Tatsache, die selbst die Deutsche Forschungsgemeinschaft zunächst skeptisch, dann anerkennend bewertete. Ein bisschen mulmig sei ihm auch gewesen, als er seinen Posten antrat, so Zimmermann. „Wenn es Konflikte mit den gestandenen Kollegen gegeben hätte, wäre ich in keiner guten Position gewesen. Glücklicherweise herrscht in Potsdam ein ausgesprochen kollegialer Geist, sodass es da gar keine Probleme gab.“ Malte Zimmermann ist nicht der einzige junge Wissenschaftler, der im SFB früh Verantwortung übernimmt. „Viele der Teilprojekte werden von nicht habilitierten Leuten geführt“, betont Zimmermann. Und er weiß um die Bedeutung dieser Arbeit für seine eigene Karriere und die seiner jungen Kollegen: „Wenn man so eine Leitungsposition in seinem Lebenslauf hat, zählt das schon was.“

Zwar habe es auf den Chefposten keinen Ansturm gegeben, für die Unterstützung ist Prof. Zimmermann trotzdem sehr dankbar. Ein Grund für den Zuspruch könnte auch seine vorhergehende Tätigkeit an der Humboldt-Universität zu Berlin gewesen sein. So kannte er, als er nach Potsdam wechselte, bereits einige der Berliner Projekte und Ansprechpartner, was die enge Zusammenarbeit zwischen Berlin und Potsdam, die sich der SFB auf die Fahne geschrieben hat, erleichterte.

Die Universität Potsdam als Antragstellerin des SFB hält die Fäden des Verbundes zusammen. In Potsdam sind die Institute für Linguistik und Germanistik maßgeblich am SFB beteiligt. Geforscht wird an der Schnittstelle zwischen rein linguistischen Untersuchungsgegenständen und anderen kognitiven Domänen wie Aufmerksamkeitssteuerung und Gedächtnis. Gemeinsam ist den 53 Wissenschaftlern der insgesamt 19 Projekte das Interesse an den Möglichkeiten der Informationsstrukturierung.

Aber was verbirgt sich hinter dem doch recht sperrig anmutenden Begriff der Informationsstruktur? Ein simpel anmutender Satz soll den Grundgedanken verdeutlichen: Leon und Luise unterhalten sich. Leon sagt zu Luise: „Peter wird morgen nach Potsdam fahren.“ Je nachdem, welche Information für Luise neu ist, wird Leon entweder die Person, den Zeitpunkt oder den Ort betonen. Durch seine entsprechende Akzentuierung versucht er, die Informationen zu gliedern. Die Informationsstruktur beschäftigt sich also mit der Frage, wie man eine verbalisierte Information so aufbereitet, dass sie den Aufmerksamkeitszuständen und dem Hintergrundwissen der Diskursteilnehmer angemessen ist. Man nennt dies auch Informationsverpackung. Drei Aspekte sind bei der Untersuchung der Strukturierung von Informationen von besonderem theoretischen Interesse: das Zusammenspiel der relevanten formalen Ebenen (Phonetik, Phonologie, Morphologie, Syntax, Semantik, die Wahl der lexikalischen Mittel, der Aufbau von Texten), die allgemeine kognitive Verarbeitung der Informationsstruktur und eine sprachvergleichende Typologie der informationsstrukturellen Ausdrucksmittel. „Unsere Fragestellung ist einerseits linguistisch, weil wir nach den sprachlichen Mitteln fragen, um Informationen zu verpacken. Und andererseits allgemein kognitiv, da sich das Außersprachliche eher auf den Gegenstand des Diskurses, auf das Hintergrundwissen und den Kontext des Gesprächs bezieht“, konkretisiert Zimmermann.

Die Schnittstelle zwischen Verbalem und Nonverbalem verdeutlicht unter anderem das über vier Jahre angelegte – und damit eher kleinere – Projekt von Prof. Dr. Katharina Spalek von der HU Berlin und Prof. Dr. Isabell Wartenburger von der Universität Potsdam. „Es zeigt nicht nur den Brückenschlag zwischen Sprache und Kognition, sondern auch den zwischen Potsdam und Berlin“, stellt Isabell Wartenburger ihr Projekt vor. „Im Alltag gibt es einen regen Austausch zwischen den Mitarbeitern, doch letztlich bearbeitet jedes Team sein ei-genes Teilgebiet.“ Mit ihren Kolleginnen untersucht die Forscherin – auch sie war noch Juniorprofessorin, als sie die Projektleitung übernahm – die Frage, inwiefern sich Kontextinformationen auf die Verarbeitung von Sprache auswirken. Wartenburger und Spalek gehen von der Beobachtung aus, dass man den Kontext nicht nur sprachlich wiedergeben kann, zum Beispiel durch einen bestimmten Satz oder eine bestimmte Satzstruktur, sondern auch durch einen visuellen Kontext oder Reiz. Konkret geht es im Potsdamer Teilprojekt um die Verarbeitung von Objektsätzen, also von Sätzen, die mit einem Akkusativ eingeleitet werden. Ein Beispielsatz, der in ihrer Untersuchung Verwendung findet, lautet: „Den Uhu malt der Igel im Park“. Üblicherweise würde man eine einfache Aussage mit dem Subjekt einleiten, also sagen: „Der Igel malt den Uhu im Park“. Mithilfe eines Experiments wollen die Forscherherausfinden, welchen Einfluss der Kontext darauf hat, wie die untypische Satzstellung vom Zuhörer verarbeitet wird. In der Versuchsanordnung sitzen die Probanden vor einem Bildschirm. Aus einem Lautsprecher hören sie eine Reihe von objekt- und subjektinitialen Sätzen, während mittels Elektroenzephalografie (EEG) ihre Gehirnaktivitäten aufgezeichnet werden. Die Probanden werden durch dieuntypische Satzstellung irritiert; die Verarbeitung im Gehirn wird erschwert.

Durch einen einleitenden Satz bzw. einen visuellen Reiz im Kontext soll diese Verarbeitung erleichtert werden. Verglichen wird schließlich, ob der vorangestellte, kontextualisierende Satz: „Was ist mit dem Uhu?“ dabei den gleichen Effekt erzielt wie ein dargebotener visueller Reiz. Dieser Reiz könnte beispielsweise ein Bild sein, auf dem ein Igel und ein Uhu zu sehen sind. „Wir wollen herausfinden, ob man das Verständnis über die Informationsstruktur auch visuell durch eine Aufmerksamkeitssteuerung umsetzen kann“, so Wartenburger. Für sie sei es plausibel, dass die Kontexteinordnung auch visuell funktioniere, doch liege dazu noch keine Untersuchung vor. Die bisher durchgeführten Experimente würden zeigen, dass es schwieriger sei als erwartet, die verbale und die visuelle Bedingung so zu gestalten, dass man sie vergleichen kann.

Sollte es gelingen, die These zu belegen, dass ein visueller Kontext tatsächlich Verarbeitungsschwierigkeiten minimiert, ließen sich die Erkenntnisse möglicherweise später in die Praxis überführen. Das Wissen könne man beispielsweise bei der Therapie von Schlaganfall-Patienten mit einer Sprachstörung (Aphasie) einsetzen. „Man weiß, dass Aphasiepatienten eben genau mit diesen Objektsätzen Probleme haben. Häufig werden die objektinitialen Sätze falsch interpretiert“, erklärt die Potsdamer Forscherin. Ob die Erkenntnisse aus ihrem Projekt dann für die Therapie und letztlich für die Alltagskommunikation relevant seien, müsse zu gegebener Zeit überprüft werden. Doch erst einmal arbeiten Prof. Wartenburger und ihre Mitarbeiter in den fast zwei verbleibenden Jahren des Projektes daran, ihre Annahmen wissenschaftlich zu untermauern.

Erste wissenschaftliche Anerkennung erfahre der SFB aber schon jetzt, erklärt Malte Zimmermann. „Ich denke, die Arbeit des SFB ist insofern bereits erfolgreich, als dass es in der weltweiten Forschung „ Wir wollen herausfinden, ob man das Verständnis über die Informationsstruktur auch visuell umsetzen kann.“ zur Informationsstruktur bisher keine einheitliche Terminologie gab. Wenn jemand von Fokus oder Topik sprach, wusste man nie, ob dasselbe gemeint ist. Der SFB hat erheblich zu einem einheitlichen Gebrauch beigetragen. Jetzt heißt es: Wir machen das so wie die Potsdamer.“

Eine entscheidende, empirische Leistung sei zudem, dass im SFB sehr viele Sprachen im Hinblick auf informationsstrukturelle Phänomene zum ersten Mal untersucht wurden. So gab es in der ersten Förderphase ein groß angelegtes Projekt, in dem 16 Sprachen weltweit typisiert wurden, darunter australische, diverse afrikanische sowie mittelamerikanische Sprachen. Ziel sei es gewesen, ein vergleichbares sprachliches Korpus zu erstellen. Daraus, so die Hoffnung, ließen sich dann sprachübergreifende Trends erkennen. Dies sei zum Teil auch geglückt. „Die wenigsten Sprachen nutzen wie das Deutsche die Fokusakzentuierung, um Informationen zu strukturieren. Unsere Ausgangshypothese war, dass die Sprachen die Akzente auf eine andere Art und Weise realisieren“, sagt Zimmermann, der selbst an dem Projekt mitarbeitete. „Wir setzten also voraus, dass die Akzentuierung im Satz von fundamentaler Wichtigkeit für eine erfolgreiche Kommunikation ist. Dass einige Sprachen das gar nicht machen bzw. nur optional, war eine der Erkenntnisse, die wir nicht erwartet hatten.“

Im Juni 2015 läuft der SFB Informationsstruktur aus. Wehmütig macht das den derzeitigen Chef jedoch nicht: „Zwölf Jahre reichen aus, um einen Schwerpunkt zu beackern. Dann ist es Zeit, sich zu neuen Ufern aufzumachen.“ 

INTEGRIERTE GRADUIERTENKOLLEGS DER SONDERFORSCHUNGSBEREICHE

Ziel des Integrierten Graduiertenkollegs ist es, die wissenschaftliche Eigenständigkeit und Weiterqualifizierung der in einem Sonderforschungsbereich tätigen Promovierenden zu fördern. Damit können Sonderforschungsbereiche für den wissenschaftlichen Nachwuchs noch attraktiver werden.

Kontakt 

Bettina Zirpel
Deutsche Forschungsgemeinschaft
Kennedyallee 40,
53175 Bonn

Bettina.Zirpeldfgde

DIE WISSENSCHAFTLER

Prof. Dr. Isabell Wartenburger ist Professorin für Patholinguistik an der Universität Potsdam und Projektleiterin im Sonderforschungsbereich Informationsstruktur.

Kontakt

Universität Potsdam
Institut für Linguistik
Karl-Liebknecht-Straße 24 – 25,
14476 Potsdam OT Golm

isabell.wartenburgeruni-potsdamde

Prof. Dr. Malte Zimmermann ist Professor für Grammatiktheorie mit Schwerpunkt Semantik an der Universität Potsdam. Seit 2009 ist er Sprecher des SFB 632 „Informationsstruktur“.

Kontakt

mazimmeruni-potsdamde

Text: Sophie Jäger, Online gestellt: Julia Schwaibold