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Überleben mit Gedächtnis

Wie Pflanzen lernen

Foto: Andreas Klaer
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Foto: Andreas Klaer

Trockenheit, Hitze, Raupen, Hagel - Pflanzen können vor bedrohlichen Situationen nicht davonlaufen. Mit Stress müssen sie anders fertigwerden. Biologen sind derzeit einem Phänomen auf der Spur, dass sie als "molekulares Pflanzengedächtnis" bezeichnen. Die Molekularbiologin Isabel Bäurle erforscht an der Universität Potsdam, welche Rolle die Verpackung des Genoms der Pflanze dabei spielt.

Zwei kleine grüne Keimblätter auf einem winzigen Stängel - die zarten Pflänzchen sind sechs Tage alt. Sie wachsen auf einem hellen, gelartigen Nährboden in einer verschlossenen Petrischale. In "ihrem" Kulturschrank im Institut für Biochemie und Biologie auf dem Campus Golm geht es ihnen hervorragend: 16 Stunden am Tag scheint das Licht, die Temperatur liegt bei 23 Grad Celsius. Ideale Wachstumsbedingungen. Doch was die jungen Keimlinge der Ackerschmalwand in wenigen Stunden erwartet, werden nicht alle von ihnen überleben. Eine Stunde lang werden sie im Labor bei einer Temperatur von 44 Grad Celsius zubringen - ein Hitzestress, den nur angepasste Pflänzchen ertragen werden.

Isabel Bäurle schaut prüfend auf die Petrischale in ihrer Hand. Mit schwarzen Linien ist der Boden der Schale in sechs verschiedene Sektoren aufgeteilt. In jedem Sektor wachsen Pflanzen, deren Erbgut sich durch Mutationen leicht voneinander unterscheidet. Die Molekularbiologin möchte herausfinden, warum einige der Pflanzen die Hitze überleben werden und andere sterben. "Wir interessieren uns für das Stressgedächtnis der Pflanzen", erklärt die Wissenschaftlerin, die im Jahr 2010 den renommierten Sofja Kovalevskaja-Preis gewonnen hat und nun für fünf Jahre als Gastwissenschaftlerin an der Uni Potsdam forschen wird. Mit dem von der Alexander von Humboldt-Stiftung vergebenem Preisgeld von 1,65 Millionen Euro baut sie eine eigene Forschungsgruppe auf. Zudem erhielt sie kürzlich einen Ruf auf die Juniorprofessur "Epigenetik der Pflanzen" an der Uni Potsdam.

Die Pflänzchen in der Petrischale werden an diesem Tag nicht zum ersten Mal in ihrem jungen Leben die Erfahrung von Hitze machen. Einmal haben sie bereits eine Temperatur von 37 Grad Celsius ohne Schwierigkeiten überlebt. Die Forscher wissen inzwischen: Durch dieses "Hitzetraining" können die Pflanzen ein zweites - potenziell tödliches - Hitzeereignis überstehen. Ohne diese Adaptation überleben sie jedoch nicht. Auch auf andere Stressoren wie Trockenheit oder Verletzungen durch fressende Tiere reagieren die Pflanzen mit Anpassungen. Wie diese aufrechterhalten und die Informationen einer durchgemachten Stressreaktion gespeichert werden, ist bisher jedoch wenig erforscht. Biologen vermuten, dass die Pflanzen eine Art molekulares Gedächtnis besitzen, das es ihnen ermöglicht, auf bereits einmal durchlebte Stress Ereignisse schneller und effizienter zu reagieren, wenn diese ein zweites Mal auftreten.

Der Schlüssel zum pflanzlichen Gedächtnis liegt in der DNA: "Wir vermuten, dass bestimmte Gene dafür verantwortlich sind, die durch Stress angeschaltet werden", erklärt Isabel Bäurle. Die so aktivierten Gene enthalten den Code für bestimmte Proteine, die die Pflanze schützen - etwa indem sie die Zellmembranen verändern. "Unsere zentrale Hypothese ist, dass die Gene, die einmal in Antwort auf einen Stress angeschaltet wurden, beim nächsten Stress schneller wieder aktiv werden können", so Bäurle. Erste Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Ursachen dafür in einer modifizierten Struktur der Proteine liegen, die die DNA verpacken. Im Labor arbeiten die Biologen mit Mutanten der Ackerschmalwand, die ein verändertes Stressgedächtnis haben. Mehr als 5.000 Mutationen haben die Wissenschaftler durch eine Behandlung der Pflanzensamen mit einem chemischen Mutagen erzeugt. Im gesamten Erbgut der Pflanzen entstanden so zufällig verteilte Veränderungen. Die Forscher testeten anschließend, welche dieser Pflanzen die Fähigkeit besitzen, ein Hitzestressgedächtnis auszubilden. Einige verloren ihr molekulares Stressgedächtnis und wurden "vergesslich". Andere besaßen dagegen ein länger anhaltendes "Erinnerungsvermögen" für Stresssituationen. Identifizieren die Forscher bei ihnen jene Gene, die durch die Mutationen verändert wurden, haben sie einen Hinweis darauf, welche Gene für das Hitzestressgedächtnis bei den Wildtypen verantwortlich sind.

"Unser Ziel ist es, unsere Erkenntnisse zur Verfügung zu stellen, um besser angepasste Nutzpflanzen zu züchten", erklärt Isabel Bäurle. Denn angesichts des Klimawandels mit den erwarteten zunehmenden Hitze- und Trockenperioden spielen stressresistente Nutzpflanzen eine immer größere Rolle in der Landwirtschaft. "Pflanzen können vor Stress nicht davonlaufen, sie müssen damit an ihrem Standort fertig werden", macht die Biologin deutlich. Bevor Isabel Bäurle nach Potsdam kam, forschte sie fünf Jahre lang am John Innes Centre in Norwich, England. Schon dort war das pflanzliche Gedächtnis Mittelpunkt ihrer Arbeit: Sie untersuchte die Vernalisation. So bezeichnen Biologen das Phänomen, dass bestimmte Pflanzen erst nach einer längeren durchlebten Kälteperiode fähig sind, Blüten zu bilden. Auf die in England erlernten Methoden zur Erforschung des molekularen Pflanzengedächtnisses kann sie auch in ihrer jetzigen Forschung zurückgreifen.

Als Gruppenleiterin betreut Isabel Bäurle derzeit neben fünf Doktoranden mehrere Mitarbeiter und Studierende. Der Aufbau einer neuen Arbeitsgruppe ist für sie eine spannende Herausforderung. Mit einem Team könne man mehr erreichen als allein. "Man muss immer auch ein wenig Manager sein", betont sie. Doch damit hat die 38-Jährige bereits privat Erfahrung gesammelt: Sie ist Mutter von zwei kleinen Kindern. Vor wenigen Monaten erst ist sie aus der Babypause zurückgekehrt. "Mit Organisation, Selbstdisziplin und familiärer Unterstützung" schaffe sie den Spagat zwischen Familie und wissenschaftlicher Karriere. "In England habe ich erlebt, dass es für viele Frauen in der Wissenschaft selbstverständlich ist, Kinder und Karriere unter einen Hut zu bringen", sagt Isabel Bäurle. In Deutschland sehe sie das weniger. "Ohne die Erfahrung in England hätte ich mich vielleicht auch nicht getraut", gibt sie zu.

Die Petrischale mit den Keimlingen der Ackerschmalwand stellt sie zurück in den beleuchteten Kulturschrank. Von einigen der Pflanzen werden am nächsten Tag nur vertrocknete, ausgebleichte Reste übrig sein. Die anderen werden weiterwachsen.

Text: Heike Kampe, Bearbeitung: Julia Schwaibold

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