Die Veröffentlichung im Fachjournal PNAS schlug Wellen: Ernährungsforschern der Universität Potsdam ist es gemeinsam mit Wissenschaftlern in den Niederlanden, Deutschland und der Schweiz gelungen, eine bisher unbekannte Ursache des Schwangerschaftsdiabetes aufzuklären. Der Mediziner Berthold Hocher, Professor für Experimentelle Ernährungsmedizin, erforschte mit seiner Arbeitsgruppe den Mechanismus einer durch Mutation in der Niere verursachten Insulinresistenz, die bei Magnesiummangel während der Schwangerschaft zum Diabetes mellitus führen kann.
„Bei einem Schwangerschaftsdiabetes sind die Gefahren für das Kind nicht unerheblich“, erklärt Berthold Hocher. „Wegen der erhöhten Kohlenhydratzufuhr über das Blut nimmt der Fötus an Gewicht zu, was Komplikationen bei der Geburt bereiten kann.“ Gleichzeitig kommt es zu Reifungsstörungen innerer Organe. Wenn nach der Geburt die mütterliche Zuckerzufuhr fehlt, tritt eine Unterzuckerung ein. Die Folgen sind möglicherweise erst viele Jahre später erkennbar, denn für das Kind besteht fortan ein erhöhtes Risiko, im Erwachsenenalter selbst an Diabetes zu erkranken.
Für Berthold Hocher sind solche frühen Prägungen des Ungeborenen während der Schwangerschaft zu einem wichtigen Forschungsthema geworden. Als Internist und Nephrologe an der Berliner Charité wurde er vielfach beratend hinzugezogen, wenn bei einer Frau während der Schwangerschaft gesundheitliche Probleme auftraten. Immer stand dabei die Frage im Raum, welchen Einfluss die Erkrankung der Mutter auf die Entwicklung des Kindes hat. Werden in diesem frühen Stadium beim Fötus möglicherweise schon Krankheiten begründet, die sich dann im Erwachsenenalter manifestieren?
„Fetale Programmierung“ heißt dieses noch junge Forschungsfeld, das gegenwärtig an Bedeutung gewinnt. „Vor 20 Jahren hat man begonnen zu verstehen, dass es einen Zusammenhang zwischen Schwangerschaft und späteren Krankheiten der Nachkommen gibt“, berichtet Hocher. Die erste Hypothese stellte der britische Epidemiologe David Barker auf. Er wertete Statistiken aus, nach denen in den benachteiligten Kohleregionen Englands um 1900 besonders viele Neugeborene starben. Etwa 60 Jahre später trat in denselben Regionen eine Häufung von Todes fällen nach Herz-Kreislauf-Erkrankungen auf. Barker vermutete, dass die schlechten Lebensbedingungen der schwangeren Frauen sowohl die hohe Säuglingssterblichkeit als auch die späteren Herzprobleme verursachten. Weitere Hinweise fand er in den Aufzeichnungen der Hebamme Ethel Margaret Burnside aus dem Jahr 1917. Das britische Verteidigungsministerium hatte sie in „Sorge“ um die „Landeskinder“ damit beauftragt, junge Mütter gesundheitlich zu beraten und zu betreuen. Akribisch notierten Geburtshelferinnen Gewicht, Ernährung und Wachstumsverlauf der Säuglinge. Mit dieser „Datenbank“ konnte David Barker dann mehr als 50 Jahre später den Zusammenhang von niedrigem Geburtsgewicht und späterem Risiko für fatale Herz-Kreislauferkrankungen zeigen. Eine andere Studie aus den Niederlanden zeigte, dass im Hungerwinter 1944 geborene Kinder später vermehrt an Diabetes Typ II litten. Ihre Mütter hatten während der Schwangerschaft pro Tag nur 400 bis 800 Kilokalorien zu sich genommen. Ernährungsphysiologen und Mediziner wie Berthold Hocher können die möglichen Auswirkungen solch kritischer Ereignisse in der frühen Lebensphase inzwischen auf molekularer Ebene nachweisen. Und dies nicht nur bei Unter-, sondern auch bei Überernährung der Mutter: Während die Söhne übergewichtiger Frauen häufiger Bluthochdruck haben, neigen die Töchter dazu, selbst viel Fett einzulagern.
In den neun Monaten, während der Fötus heranreift, gibt es kurze Abschnitte, in denen bestimmte Funktionen des Stoffwechsels eingestellt werden und dann lebenslang erhalten bleiben. Hocher fordert deshalb, in der Schwangerenbetreuung eine größere Sensibilität für solche Risiken zu entwickeln. „Es ist ja zum Beispiel auch bekannt, dass Nikotin das Ungeborene schädigt. Und dennoch rauchen 30 Prozent der Schwangeren“, merkt der Mediziner an und erklärt, dass solch negative Umwelteinflüsse zu strukturellen Veränderungen der Gene führen können. „In der frühen Phase des Lebens ist die Epigenese besonders empfindlich. Die Anpassung an die Umwelt passiert relativ rasch.“ Zu den kritischen Ereignissen, die zu einer fetalen Programmierung führen können, zählt Hocher auch übermäßigen Stress der Mutter. Normalerweise schützt die Plazenta den Fötus vor dem Stresshormon Cortisol. Bekommt das Ungeborene dennoch etwas ab, erhöht sich das Risiko, im Erwachsenenalter an Arteriosklerose zu erkranken. Ein hoher Cortisolspiegel bei schwangeren Frauen verringert zudem das Gehirnvolumen des Kindes. „Die damit verbundenen kognitiven Schwächen und Sprachschwierigkeiten fallen dann zumeist erst bei der Einschulung auf“, so Hocher.
Im Verhältnis zur Vererbung schätzt der Wissenschaftler den Anteil der fetalen Programmierung auf 30 Prozent. Sind die Prozesse der frühen Prägung im Mutterleib erst einmal genau verstanden, stellt sich die Frage, ob man sie dann nicht auch „reprogrammieren“ kann. „Erste Hinweise darauf gibt es, aber das ist noch ganz am Anfang“, sagt der Mediziner. „Es wäre allerdings schon ein Fortschritt, alle Schwangeren routinemäßig auf Diabetes zu testen, um sie gegebenenfalls rechtzeitig behandeln zu können.“ Je früher hier gegengesteuert wird, desto geringer ist die Gefahr, dass das Kind mit einer Insulinresistenz auf die Welt kommt und im Laufe seines Lebens selbst zum Diabetiker wird.
Neue Art des Schwangerschaftsdiabetes
Bislang galt Magnesiummangel in der Schwangerschaft als eine der Hauptursachen für Bluthochdruck. Erstmals konnte nun auch ein Zusammenhang zum Entstehen des Gestationsdiabetes nachgewiesen werden, bei dem schwangere Frauen ohne zuvor diagnostizierten Diabetes plötzlich einen hohen Blutzuckerspiegel aufweisen. Bei zwei bis drei Prozent aller Frauen findet man eine Mutation, die die Insulinregulation des Magnesiumtransports in der Niere verhindert. der in der Schwangerschaft ohnehin schon erhebliche Magnesiumverlust wird größer. Magnesium ist ein wichtiger Faktor, der zur Insulinresistenz beiträgt. das Risiko, an Diabetes zu erkranken, steigt.
Der Wissenschaftler
Prof. Dr. Berthold Hocher, Internist und Nephrologe am Universitätsklinikum Charité, ist Professor für Experimentelle Ernährungsmedizin (Solvay Stiftungsprofessur) im Institut für Ernährungswissenschaft der Mathematisch-naturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Potsdam.
Kontakt
Universität Potsdam
Institut für Ernährungswissenschaften
Arthur-Scheunert-Allee 114–116
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E-Mail: hocheruuni-potsdampde
Text: Antje Horn-Conrad, Bearbeitung: Julia Schwaibold