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Tausend Jahre – einen halben Meter tief

Ulrike Herzschuh schaut weit zurück, um in die Zukunft sehen zu können

Foto: Prof. Dr. Ulrike Herzschuh
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Foto: Prof. Dr. Ulrike Herzschuh

Sie vermisst Bäume am Nordrand sibirischer Waldgebiete, bohrt in Seesedimente auf dem Tibet-Plateau und fliegt auch mal mit dem Helikopter, um sich einen Überblick zu verschaffen. Die Paläoklimatologin Ulrike Herzschuh ist keine Abenteurerin, sondern bodenständige Biologin, zweifache Mutter, erste brandenburgische „Nachwuchswissenschaftlerin des Jahres“ und Trägerin des Albert-Maucher-Preises der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Ihr Thema ist das Klima der Vorzeit. Sie schaut weit in die Vergangenheit zurück, um Voraussagen für künftige Entwicklungen treffen zu können.
Seit 2005 ist die Wissenschaftlerin des Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung eng mit der Universität Potsdam verbunden, anfangs als Juniorprofessorin und seit einem Jahr als Professorin für Paläoökologie und Paläoklimatologie am Institut für Erd- und Umweltwissenschaften. Sie schätzt die Nähe zu den Studierenden, die sie für ihre Projekte zu begeistern weiß und nicht selten als Mitstreiter gewinnt. Zwei Studentinnen, die Ulrike Herzschuh mit dem Maucher-Preisgeld als wissenschaftliche Hilfskräfte beschäftigte, gehören inzwischen zum Kreis ihrer Doktoranden, die sie auf Expeditionen in die alpinen und arktischen Regionen Asiens begleiten. Auf dem Tibet-Plateau am Qinghai-See, einem der größten Salzseen der Erde, untersucht die Paläoklimatologin, wie sich die globale Erwärmung auf das Monsunsystem auswirkt. Die halbtrockene Landschaft gilt als sensibles Gebiet. Schon geringe Feuchtigkeitsänderungen können gravierende Konsequenzen haben, etwa stärkere Regenfälle in Indien oder aber riesige Staubstürme über China.
Prof. Ulrike Herzschuh erforscht, unter welchen klimatischen Bedingungen sich in der Vergangenheit bestimmte Vegetationstypen entwickelt haben, und sucht Vergleiche dafür in der heutigen Vegetation. Fossile Funde wie Pollen oder Zuckmücken in Seesedimenten geben ihr darüber Auskunft. Mitunter reicht ein Bohrkern von einem halben Meter, um 1.000 Jahre in die Klimageschichte zurückschauen zu können. So auch im nördlichen Sibirien, wo sie den Zusammenhang von Waldentwicklung und der chemischen Zusammensetzung von Seen untersucht. Wenn sie und ihre Kollegen im Sommer in der Wildnis ihr Zeltlager aufschlagen, um Bäume zu vermessen und die Vegetation zu erkunden, sind immer auch Forscher der Universität Jakutsk dabei. Diese langjährige Kooperation will Ulrike Herzschuh nicht missen: Eine russischen Biologin untersucht zum Beispiel die gut erhaltenen Kieselalgen in den Seesedimenten, die als typische Indikatoren Aufschluss über die Umweltbedingungen in verschiedenen Zeiten geben.
Ulrike Herzschuh will herausfinden, wie sich im Zuge der Klimaerwärmung die sibirische Waldgrenze nach Norden verschiebt. Wenn dort Bäume wachsen, wird mehr Sonnenlicht absorbiert, wodurch sich die Erwärmung noch verstärkt. Da der Wald aber sehr langsam „wandert“, tritt dieser Effekt erst in 100 und mehr Jahren ein. Eine Wirkung mit Zeitverzug, die sich in aktuellen Klimamodellen schwer berechnen lässt. Solche langfristigen Prozesse, deren Folgen nicht einfach vorauszusagen sind, reizen die Wissenschaftlerin besonders und fordern sie auch theoretisch heraus. Schließlich gelten die Permafrostgebiete Sibiriens als eine Schlüsselregion für den globalen Klimawandel.
Für ihre Arbeit hat Ulrike Herzschuh im Potsdamer Forschungsnetzwerk wichtige Partner gefunden. An der Universität kooperiert sie nicht nur mit den Geowissenschaften, sondern auch mit Biologen wie dem Vegetationsökologen Prof. Florian Jeltsch und dem Evolutionsforscher Prof. Ralph Tiedemann, mit dem sie ein paläogenetisches Labor aufgebaut hat. Ein zweites entsteht gerade am Alfred-Wegener-Institut und wird künftig auch den Wissenschaftlern der Universität offenstehen.

Perlen der Wissenschaft

Jede einzelne hat ihr unverwechselbares Profil, gemeinsam wollen sie ihr Potenzial besser ausschöpfen: 18 führende Wissenschaftseinrichtungen Brandenburgs haben sich 2009 auf Initiative der Universität Potsdam zum „pearls • Potsdam research network“ zusammengeschlossen. im Netzwerk wollen sie Synergien nutzen, um die Forschung und Ausbildung enger zu verzahnen, gemeinsam noch erfolgreicher Drittmittel-Projekte einzuwerben und innovative, zukunftsweisende Forschungsbereiche zu entwickeln.

Internet:www.pearlsofscience.de

Die hier vorgestellte Forschung ist verbunden mit der Forschungsinitiative NEXUS: Earth Surface Dynamics, die unterschiedlichste wissenschaftliche Aktivitäten der Region Berlin-Brandenburg aus dem Themenfeld Dynamik der Erdoberfläche bündelt. Die Universität Potsdam (UP), gemeinsam mit ihren Partnern des Helmholtz-Zentrums Potsdam – Deutsches GeoForschungsZentrum (GFZ), des Alfred-Wegener-Instituts für Polar und Meeresforschung (AWI) sowie mit Partnern des Potsdam Instituts für Klimafolgenforschung (PIK), des Naturkundemuseums Berlin (MfN) und der Technischen Universität Berlin (TUB) verbindet hierzu die herausragende Expertise in den Geo-, Bio, Klima- und Datenwissenschaften.

Text: Antje Horn-Conrad, Bearbeitung: Silvana Seppä