Das Bundesministerium für Bildung und Forschung hat das Jahr 2014 zum Wissenschaftsjahr „Die digitale Gesellschaft“ deklariert. Dies überrascht nicht, denn die Informationstechnologie durchdringt inzwischen nahezu alle Bereiche unseres Lebens.
Ob in der Wirtschaft, der öffentlichen Verwaltung, den Sozial- oder Naturwissenschaften und auch den schönen Künsten – die Informationstechnologie hat in den vergangenen Jahrzehnten zu fundamentalen und nachhaltigen Veränderungen geführt. Zwar bin ich als Informatiker befangen, aber ich wage auch zu sagen: nicht nur zu Veränderungen, sondern zu Verbesserungen – Verbesserungen unserer Lebensqualität. Gleichwohl sind uns auch die Risiken von IT schmerzhaft bewusst geworden.
Ich bin froh, dass ich diesen Wandel miterleben darf. Als ich Mitte der 80er-Jahre in den USA Informatik studierte, waren wir die Nerds, die hinten in der Ecke in C oder einer anderen obskuren Sprache vor sich hin programmierten und UNIX-Berechtigungsbits konfigurierten. Die coolen Typen machten währenddessen ihren MBA an der Business School. Aber mir war damals schon klar, dass diese Technologie das Zeug hat, unser aller Leben zu verändern. So ist es gekommen. Bis auf Beamen und Warp-Speed ist die Technologie des Raumschiffs Enterprise heute Realität – dank Informatik.
Zugegebenermaßen ist es allerdings nicht immer einfach, die im Internet drohenden Risiken zu erkennen und richtig einzuschätzen. Unsere Gene haben sich seit dem Leben in der Savanne nicht wesentlich verändert. Für ein Leben im Internet – oder allgemeiner: ein Leben in unserer modernen Zivilisation – sind sie nicht optimiert. Deswegen unterschätzen wir manche Risiken (wie das der Überwachung unserer persönlichen Kommunikation) und überschätzen andere (wie das, einem terroristischen Anschlag zum Opfer zu fallen). So landen wir in einem Dilemma, in dem unser Verhalten unsere Präferenzen nur unzureichend widerspiegelt.
Nach den Aufdeckungen von Snowden & Co. hat sich dieses Dilemma verschärft. Für eine offene Gesellschaft wie die unsrige waren diese Enthüllungen ausgesprochen wichtig. Zwar braucht auch eine offene Gesellschaft Geheimnisse. Aber eben auch die Möglichkeit, sie sicher zu verwahren. Dies ist im Internet nicht so einfach zu bewerkstelligen. Wir wissen inzwischen, dass ein Großteil unserer digitalen Kommunikation von ausländischen Geheimdiensten auch ohne Gerichtsbeschluss überwacht wird und dass gängige Verschlüsselungsprotokolle wie https bereits geknackt wurden. Mathematisch nachweisbar sichere Verfahren – die es nach wie vor gibt! – werden durch „Hintertüren“ kompromittiert. Zudem sind sie aufgrund ihrer Komplexität von Laien kaum sicher umzusetzen.
Letztlich zeigt sich hier einmal mehr, dass das Internet nicht für heutige Nutzungsmuster entworfen wurde. Als die Internetstandards in den 70er- und 80er-Jahren entwickelt wurden, waren Größenordnung und Vielfalt der heutigen Nutzung nicht abzusehen. Umso mehr sind wir Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in der Pflicht, korrigierend einzugreifen. Die Informationstechnologie muss sich an den Bedarfen der Gesellschaft und unseren kognitiven Fähigkeiten orientieren. Dies führt in unterschiedlichen Kulturkreisen zwangsweise auch zu unterschiedlichen Normen und Gesetzen. Bei der Formulierung und Umsetzung solcher Normen und Gesetze brauchen Politik und Gesellschaft wissenschaftlichen Rat. Und da stehen wir Wissenschaftler in der Verantwortung.
Die Universität Potsdam verfügt bereits über ein breites Expertisenspektrum. Seit Jahren kommen hier beispielsweise fachübergreifend Elemente des E-Learning zur Anwendung, Massive Open Online Courses verbinden Kontinente. Angehende Lehrkräfte werden in der Vermittlung von Medienkompetenz geschult. Dank Digitalisierung lassen sich mittelalterliche Texte nachhaltig zugänglich machen und Verwaltungsabläufe optimieren. Die Philosophen lassen uns bei der Beantwortung moralischer Fragen nicht allein und unsere Kognitionswissenschaftler erforschen die Grenzen geistiger Kapazitäten.
Als verantwortlich handelnde Wissenschaftler dürfen wir den digitalen Wandel unserer Gesellschaft nicht nur verfolgen. Lassen Sie uns ihn gemeinsam mitgestalten!
Text: Prof. Oliver Günther, Ph.D, Bearbeitung: Silvana Seppä