Die Artenvielfalt ist ungleichmäßig auf dem Planeten verteilt. Warum beherbergen einige Inseln wie die Galapagosinseln und Hawaii so viele einzigartige Vogelarten? Die Wissenschaftler Robert H. MacArthur und Edward O. Wilson veröffentlichten 1967 die Hypothese, dass für die Kolonisierung einer Insel ihre Größe sowie ihre Entfernung zum Festland von entscheidender Bedeutung sind. Die Vielfalt ließe sich demnach als Funktion der beiden Faktoren bestimmen. Sie vermuteten, dass sich im Laufe der Zeit ein Gleichgewicht zwischen Einwanderung einerseits und Aussterben von Arten andererseits einstellt. Eingewanderte Arten können sich zudem evolutiv verändern und in neue Arten aufspalten. Obwohl den Autoren die Bedeutung dieser Evolutionsvorgänge bewusst war, konnten sie diese nicht in ihr Modell integrieren, sodass dessen Dynamik allein von den Kolonisations- und Aussterberaten bestimmt wurde.
Einem Team von Ornithologen, Evolutionsbiologen und Mathematikern unter der Leitung von Dr. Luis Valente, dem auch Prof. Dr. Ralph Tiedemann und Katja Havenstein von der Universität Potsdam angehören, ist es nun erstmals gelungen zu zeigen, wie die Größe von Inseln und ihre Entfernung zum Festland sich auf die Vielfalt der auf ihnen lebenden Vogelarten auswirken. Auf der Basis eines globalen Datensatzes von Inselvögeln von ozeanischen Inseln überall auf der Welt konnten sie drei grundlegende Korrelationen belegen: So nimmt die Kolonisierungsrate ab, je isolierter die Inseln sind, während die Aussterberate mit der Inselgröße sinkt. Gleichzeitig entstehen auf großen und isolierten Inseln mehr neue Arten als auf kleinen und festlandnahen.
„Diese Ergebnisse entsprechen der intuitiven Erwartung. Allerdings fehlten den Wissenschaftlern bis heute die notwendigen Beobachtungsdaten und statistischen Methoden, um diese Theorie auf globaler Ebene zu überprüfen“, sagt der Potsdamer Evolutionsbiologe Ralph Tiedemann, bei dem Valente 2016 bis 2018 als Humboldt-Stipendiat und Träger des Brandenburgischen Nachwuchswissenschaftlerpreises an der Studie arbeitete. Im Potsdamer evolutionsbiologischen Labor wurden molekulare Daten von Hunderten von Inselvogelarten erhoben, die im Laufe der Jahre auf Feldexpeditionen zu Dutzenden abgelegener ozeanischer Inseln gesammelt wurden. Ein neues Modell nutzt diese Daten zur Vorhersage der Artenvielfalt. Es ermittelt Einwanderungs-, Aussterbe- und Artbildungsraten auf der Basis real vorkommender Singvögel und ihrer genetischen Verwandtschaft auf nahezu allen ozeanischen Inseln weltweit, einschließlich bekannter Inselgruppen wie Galapagos, Hawaii, Azoren, Kanaren und Mauritius.
Die Studie konnte ein weiteres faszinierendes Ergebnis präsentieren: Bislang waren Inseln vor allem für ihre spektakulären evolutionären Artaufspaltungen bekannt – wie im Fall der Darwin-Finken von Galapagos, wo sich aus einer einzelnen Art im Laufe der Zeit 15 verschiedene Arten entwickelten. Das Forschungsteam um Luis Valente hat festgestellt, dass die Artaufspaltung auf einer entlegenen Insel eher die Ausnahme ist. Auf den meisten Inseln sind die Vogelarten nicht direkt verwandt, sondern Nachfahren eingewanderter Vögel mit nächsten Verwandten auf dem Festland.
Insgesamt liefert die Studie einen wichtigen Beitrag zum Verständnis von Entstehung und Verlust von Biodiversität unter natürlichen Bedingungen, d.h. ohne zusätzlichen Einfluss des Menschen.
Zur Originalveröffentlichung:
Valente, L., Phillimore, A.B., Melo, M. et al. A simple dynamic model explains the diversity of island birds worldwide. Nature (2020). https://doi.org/10.1038/s41586-020-2022-5
Kontakt:
Dr. Luis Valente, Museum für Naturkunde Berlin / Biodiversitätszentrum Naturalis / Universität Groningen
Tel: +31 613285222, E-Mail: luis.valente@naturalis.nl
Prof. Dr. Ralph Tiedemann, Institut für Biochemie und Biologie
Tel.: 0331/977-5249, E-Mail: tiedeman@uni-potsdam.de
Fotos:
Maskarenen-Paradiesschnäpper. Foto: Christophe Thebaud.
Kardinalhonigfresser. Foto: Sonya Clegg.
Medieninformation 20-02-2020 / Nr. 028