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Tupaias Karte – Anglisten legen Lösung für 250 Jahre altes kulturwissenschaftliches Rätsel vor

Tupaias Karte der Inselwelt des Südpazifiks ist ein ebenso schillerndes wie rätselhaftestes Zeugnis der Begegnung westlicher und polynesischer Kulturen. Seit rund 250 Jahren diskutieren Forschende darüber, ob die Seekarte mit den 74 Inseln, die der polynesische Seefahrer Tupaia während seiner Zeit auf dem Schiff des britischen Entdeckers James Cook zeichnete, schlicht falsch oder nur unlesbar ist. Prof. Dr. Anja Schwarz und Prof. Dr. Lars Eckstein vom Institut für Anglistik und Amerikanistik der Universität Potsdam haben nun eine Neuinterpretation der Karte vorgelegt. Sie gehen davon aus, dass es Tupaia gelungen ist, die völlig verschiedenen Wissenssysteme der europäischen und der polynesischen Seefahrer in seiner Karte zusammenzuführen. Ihre Lesart rehabilitiert nicht nur Tupaia als Navigator, sondern löst auch ein jahrhundertealtes Rätsel.

„Tupaia hat ein neues kartografisches System erfunden“, sagt Lars Eckstein. „Und wir sind überzeugt: Es funktioniert.“ Seine Kollegin Anja Schwarz ergänzt: „Aus unserer Sicht ist die Karte keinesfalls falsch, sondern vielmehr eine erstaunliche Übersetzungsleistung zwischen zwei völlig verschiedenen Orientierungssystemen und ihren Repräsentationsformen.“ Gemeinsam haben die beiden Anglisten über mehrere Jahre hinweg Archive durchforstet, Karten studiert und Navigationsweisen rekonstruiert. Im Ergebnis haben sie eine neue Lesart der Seekarte vorgelegt, die zeigt, dass es mit ihr tatsächlich möglich war, zu navigieren und die verzeichneten Inseln anzusteuern.
Tupaia, der Urheber der rätselhaften Karte, entstammte einer Familie von Meisterseglern und Priestern aus Raiatea, einer der Gesellschaftsinseln im südlichen Pazifik. Er wurde um 1725 geboren und lernte als Mitglied der einflussreichen Geheimgesellschaft der Arioi auch das rituelle Wissen pazifischer Navigationskunst. Nachdem 1760 Krieger aus Bora Bora Raiatea erobert hatten, floh Tupaia mit Kultgegenständen der Arioi nach Tahiti, wo er zu einem wichtigen Vermittler wurde, als die britischen Entdecker Samuel Wallis (1767) und James Cook (1769) Tahiti erreichten. Über mehrere Monate reiste Tupaia auf Cooks Schiff „Endeavour“, wo er während der Erkundung der Gesellschaftsinseln sogar vier Wochen lang das Amt des Navigators übernehmen durfte, und leistete unverzichtbare Dienste als geschickter Mittler und Übersetzer. Während dieser Zeit fertigte Tupaia im Auftrag Cooks gemeinsam mit dem britischen Leutnant Pickersgill die legendäre Seekarte an, die ein Gebiet von der Größe des Nordatlantiks umfasst und 74 Inseln enthält. Das Original ist nicht erhalten, überliefert ist die Karte in drei sehr unterschiedlichen Versionen – zwei durch Besatzungsmitglieder der „Endeavour“ und eine entworfen von Johann Reinhold Forster, der gemeinsam mit seinem Sohn Georg 1772–75 Cook auf seiner zweiten Pazifikreise begleitete.
Forsters Urteil, Tupaias Karte sei falsch, schlossen sich Generationen von Wissenschaftlern an. Ihr Urheber wurde als Hochstapler abgetan. Erst Mitte des 20. Jahrhunderts wurde die Karte wiederentdeckt und Mittelpunkt eines Streits über die Frage, ob die Polynesier in der Lage gewesen waren, präzise genug zu navigieren, um den Pazifik geplant zu besegeln und die vielen kleinen Inseln strategisch zu besiedeln. Anja Schwarz und Lars Eckstein wollen mit ihren Forschungsergebnissen dazu beitragen, diese Frage zu beantworten. „Die Karte führt zwei Weisen, sich auf See zu orientieren, zusammen“, erklärt Anja Schwarz. „Die westliche, die mithilfe von Sextant, Kompass und Chronometer versucht, die aktuelle Position eines Schiffes möglichst exakt auf der Karte einer vorher vermessenen Welt zu bestimmen. Und die eher dynamische der polynesischen Seefahrer, die sich auf See immer wieder neu verorteten in einer Welt, die sich um sie herum bewegte.“ Tupaia sei es gelungen, diese beiden entgegengesetzten Wissenssysteme in seiner Karte zusammenzubringen, sagt Lars Eckstein: „Sie dokumentiert eine Vielzahl von Reiserouten, der Segler in festgelegten Sequenzen von Insel zu Insel folgen können. Mithilfe eines einzigartigen Systems ist es dabei sogar möglich, die genaue Peilung für die Navigation von Insel zu Insel von der Karte abzulesen. Tupaia platzierte hierfür den Norden im Zentrum der Karte, markiert als ‚avatea‘ (Mittag) – denn in der südlichen Hemisphäre verweist der Sonnenstand zu Mittag nach Norden.“

Kontakt:
Prof. Dr. Anja Schwarz, E-Mail: anja.schwarzuni-potsdamde, Tel.: 0331 977 1046
Prof. Dr. Lars Eckstein, E-Mail: lecksteiuni-potsdamde, Tel.: 0331 977 1106
Internet: https://www.uni-potsdam.de/en/iaa-alc/tupaias-map.html
https://www.bl.uk/collection-items/the-society-islands

Medieninformation 26-03-2019 / Nr. 037
Matthias Zimmermann

Universität Potsdam
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Online gestellt: Katharina Zimmer
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