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Nushin Yazdani

Porträt Nushin Yazdani

Nushin Yazdani

Transformationsdesignerin, Künstlerin und Bildungsreferentin


Welche Berufsbezeichnung geben Sie sich selber? Sehen Sie sich eher als Wissenschaftskommunikatorin oder als Designerin?

Das ist gar nicht so leicht zu beantworten, da ich an so vielen thematischen Schnittstellen arbeite. Gerade passt für mich Transformationsdesignerin, Künstlerin und Bildungsreferentin am besten. Thematisch beschäftige ich mich besonders mit sogenannter Künstlicher Intelligenz und den Auswirkungen dieser Technologien. Mit Transformationsdesign möchte ich betonen, dass ich systemisch arbeite und die jeder Gestaltungsleistung unterliegenden Strukturen betrachte – und überlege, wie ich sie durch Design, also mittels des Gestaltungsprozesses, ändern kann. Hier geht es also fundamental um die Frage: In welcher Welt wollen wir leben? Viele Designer*innen sehen sich schon lange nicht mehr als bloße Produzent*innen von bspw. Sofadesigns oder ästhetischen Screens. Es geht um Accessibility und darum, wer systematisch ausgeschlossen wird. Es geht um unsere Ressourcennutzung, wie zerstörend sie ist und wie ungleich verteilt. Es geht um grundlegende Fragen zu Rassismus, Sexismus, Klassismus und anderen Diskriminierungsformen. Denn alles, was wir gestalten hat Auswirkungen auf uns und unsere Umwelt.
 

Was war Ihre ursprüngliche Motivation diese Berufe/ Tätigkeiten zu wählen? Waren das politische Themen, die Ihnen den Antrieb gegeben haben oder war es eher eine künstlerische Schaffenskraft?

Ich habe Interfacedesign studiert und mich daher schon viel damit beschäftigt, welche Auswirkungen Design hat. Das habe ich dann mit meiner aktivistischen Arbeit verknüpft. Viele Themen habe ich damals im Studium vermisst, aber mittlerweile hat sich das an unseren Unis und Hochschulen durch viele freiberuflich und prekär beschäftigte Dozent*innen geändert, die mit Leidenschaft und Engagement diese Themen vorantreiben.

Es ist einfach zwingend notwendig, sich mit Technologien wie KI auseinanderzusetzen. Man könnte da in fast jedem Studienfach drüber sprechen, finde ich. KI hat so enorme Auswirkungen auf unser Leben. Immer häufiger werden menschliche Entscheidungen an vermeintlich intelligente Maschinen ausgelagert, um Arbeitsprozesse zu vereinfachen und effizienter zu gestalten. Diese Maschinen erkennen nicht nur Gesichter, sie sortieren auch Bewerbungen, beeinflussen Gerichtsprozesse, bestimmen, wer einen Kredit bekommen sollte, entscheiden über Polizeieinsätze und kontrollieren Grenzübergänge. Und da sie die Strukturen in unserer Gesellschaft einfach reproduzieren, treffen sie dabei rassistische, sexistische oder andere diskriminierende Entscheidungen. Dagegen müssen wir etwas tun. Aber gleichzeitig können wir nicht immer nur reagieren, wir müssen uns auch Gegenvorschläge überlegen, wie eine gerechtere Welt denn aussehen könnte. Das kann man mit vielen unterschiedlichen Mitteln tun, Kunst ist eines davon.

Toni Cade Bambara hat gesagt, „the role of the artist is to make the revolution irresistible,“ also, die Rolle des*der Künstler*in ist es, die Revolution unwiderstehlich zu machen. Dies finde ich eine gute Beschreibung dafür, was Kunst kann und wonach wir als Gestalter*innen streben sollten.

 

„Es geht um Accessibility und darum, wer systematisch ausgeschlossen wird.“

 

Wie strukturieren Sie Ihre Arbeit? Arbeiten Sie überwiegend in Projekten? Sind diese unabhängig voneinander oder aufeinander abgestimmt?

Ich teile mir meine Zeit auf und arbeite seit meinem Abschluss vor zwei Jahren in Teilzeit angestellt und freiberuflich. Das macht mir viel Spaß, denn ich kann einerseits angestellt in einem festen Team arbeiten und aber gleichzeitig auch eigene kürzere Projekte verfolgen, die ich spannend finde. Ich arbeite auch viel mit meinem Kollektiv dgtl fmnsm zu queerfeministischen Technologien. Außerdem gebe ich Workshops und halte Vorträge. Generell habe ich tendenziell immer eher zu viel zu tun, ich kann mich nicht beklagen ;) Wichtig ist mir daher in meinen Jobs und freien Projekten Flexibilität, gute Arbeitsstrukturen und dass gut und achtsam miteinander umgegangen wird. Ich habe gerade einen Artikel beim Gunda-Werner-Institutveröffentlicht, in dem ich darüber schreibe, wie häufig auch in non-profits ausbeuterische Arbeitsstrukturen vorherrschen. Mit meiner Arbeit versuche ich dies bewusst aufzubrechen und anders zu machen.
 

Wie sind Sie zum Thema KI gekommen und was fasziniert Sie da am meisten?

Den Einstieg ins Thema KI habe ich damals im Studium über Creative AI gefunden. Da ging es darum, wie mittels KI beispielsweise grafisch gestaltet werden kann. Und dann bin ich aber auch schnell auf Berichte gestoßen, in denen es darum ging, wie algorithmische Systeme in total einschneidenden Situationen, zum Beispiel vor Gericht, mitentscheiden. Und dabei aber Rassismus reproduzieren. Ich habe erfahren, wie sehr Gedankenspiele wie „Minority Report“ eigentlich schon der Wahrheit entsprechen, nur sieht das alles sehr viel unspektakulärer aus. Das hat mich total gepackt, denn ich habe gemerkt, wie diese Technologien selbst und auch die Berichterstattung darum verschleiern, was eigentlich vorgeht. Während in den Medien gleichzeitig eine ganz komische Binariät aufgemacht wird zwischen göttlicher Superintelligenz, die die Menschheit retten wird, und gruseligen Weltuntergangsvorstellungen. Das führt sehr stark an der Realität vorbei und macht es sehr schwer, die tatsächliche Diskriminierung anzufechten, die vom Einsatz algorithmischer Entscheidungssysteme ausgeht.

Vielleicht kann ich das mal anhand eines Beispiels skizzieren: In den USA und auch in der Schweiz wurden algorithmische Systeme verwendet, die das Risiko für Herzversagen berechnen oder die Funktionsfähigkeit der Lunge. Bei beidem wurde nun festgestellt, dass Schwarze Menschen durch diese Systeme rassistisch benachteiligt und erst später medizinisch behandelt werden als weiße Menschen (https://algorithmwatch.ch/de/racial-health-bias/). Woran liegt das? An jahrhundertelangen rassistischen Kontinuitäten, die auch und eben mit besonderer Wirkkraft in der Medizin eine Rolle spielen. Die Schätzformeln, die der Berechnung zu Grunde liegen, benutzen unterschiedliche Werte für weiße und Schwarze Menschen – weiße Menschen werden mit denselben Werten eher als Risikopatient*innen eingestuft und kommen bspw. eher auf eine Transplantationsliste. Worauf beruhen diese rassistischen Praktiken? Der transatlantische Versklavungshandel wurde ideologisch unter anderem damit „gerechtfertigt“, dass Schwarze Menschen physisch stärker seien als weiße Menschen, aber ihnen wurde das Menschsein abgesprochen, um sie auszubeuten und zu töten. Dieser Mythos von der körperlichen Andersartigkeit aufgrund von Race wird bis heute – auch in der „analogen“ Medizin – reproduziert.
 

Welche drei Sachen haben Sie auf Arbeit zuletzt erledigt?

In einem größeren freiberuflichen Projekt arbeite ich gerade an einer Plattform, die neue und andere Vorstellungen zu Technologieentwicklungen darstellen soll. Dafür recherchiere ich spannende Künstler*innen, Wissenschaftler*innen und Aktivist*innen, die wir für Beiträge auf der Plattform einladen könnten. Das macht mir sehr viel Spaß. Viel zu viel Raum nimmt leider noch das Beantworten von Mails und organisatorische Arbeit ein, das sollte nicht verschwiegen werden ;) Und meine Kollaborateurin Nakeema Stefflbauer und ich haben uns mit einem Videoprojekt für eine Ausstellung in Detroit beworben und wurden angenommen – dafür muss ich nochmal letzte Videobearbeitungen machen.
 

Wen wollen Sie mit Ihrer Arbeit erreichen?

Mit meiner Arbeit möchte ich unterschiedlichste Menschen erreichen. Meine Vorträge und Workshops sind besonders für Menschen konzipiert, die sich noch nicht so viel mit KI auseinandergesetzt haben. Es macht Spaß, da gemeinsam Mythen zu den Technologien zu besprechen und auszuräumen. Häufig haben sich viele der Teilnehmenden auch noch nicht mit strukturellen Diskriminierungsformen in der Gesellschaft auseinandergesetzt (oder mussten es nicht). Ich möchte den Raum für Austausch, gemeinsames Lernen, vielleicht auch für Konfrontation, Diskussion und miteinander Wachsen schaffen. Ich lerne auch immer sehr viel von den Teilnehmenden und ihren Erfahrungen.

Und andererseits möchte ich Räume schaffen und in Räumen sein, in denen ich mich wohl und sicher fühlen kann. In denen es keine ausbeuterischen Arbeitsverhältnisse gibt und keine Mackerhaftigkeit. In denen Menschen kreativ sein und ausprobieren können, ohne ge-mansplaint zu werden oder ständig Mikroaggressionen ausgesetzt zu werden.

 

„Ich brauche für meine Arbeit gerade nur einen Laptop.“

 

Für interessierte Studierende: Welches Equipment benötigt man, um anzufangen? Gibt es Fördermöglichkeiten?

Ich brauche für meine Arbeit gerade nur einen Laptop. Aus meiner Erfahrung kann ich sagen: Das Studium kann neben dem Erlernen von bestimmten Skills auch eben dazu dienen, herauszufinden, in welche Richtung man gehen will, welche Themen einen interessieren, und mit wem man vielleicht auch später noch zusammenarbeiten möchte. Schaut euch an, welche Wege die Personen gegangen sind, die das machen, was ihr selbst gern machen würdet. Vielleicht haben sie auch mal Zeit für ein Telefonat mit euch – aber falls ihr so etwas anfragt, bereitet euch ein bisschen vor und überlegt euch spezifische Fragen. Das macht für alle Beteiligten mehr Spaß und Sinn :)
 

Welche Rolle spielen Netzwerke in Ihrer Arbeit? Wie gestaltet sich das?

Netzwerken ist, wie in vielen anderen Berufen, auch im Design ein wichtiger Bestandteil der Arbeit. Gerade Menschen, die strukturell diskriminiert werden, können oft nicht von etablierten Netzwerken profitieren, da ihnen der Zugang erschwert wird. Viel zu viele Menschen in Entscheidungspositionen und angesehene Stiftungen für junge Erwachsene fördern immer wieder homogene Gruppen, zum Beispiel weiße Studierende oder Studierende aus Akademiker*innen-Haushalten. Rassismus im Bildungssystem ist sehr real, wie die wichtige Arbeit von Personen wie zum Beispiel Aylin Karabulut zeigt. Aber es gibt immer mehr Netzwerke von marginalisierten Menschen für marginalisierte Menschen, da steckt eine enorme Kraft dahinter und es ist großartig, wie so etablierte sexistische und/oder rassistische Strukturen aufgebrochen werden. Falls du dies liest und dabei denkst, dass du nie eine Chance hättest, in so eine Stiftung aufgenommen zu werden, probiere es! Organisationen wie ApplicAidkönnen dich dabei unterstützen.
 

Wenn Sie sich was für die Zukunft wünschen könnten, was den Umgang mit KI-Technologien betrifft, was wäre das?

Ich wünsche mir eine harte Regulierung von algorithmischen Entscheidungssystemen, besonders, wenn sie Menschen klassifizieren oder überwachen. Selbstverpflichtungen der Industrie bringen nichts. Und generell müssen wir uns andere gesellschaftliche Systeme überlegen und ausprobieren – der Neoliberalismus, in dem wir leben und der effizienzsteigernde KI-Systeme so pusht, macht nicht nur uns, sondern auch unseren Planeten kaputt. Inspirierend finde ich hier Initiativen wie Deutsche Wohnen enteignen oder Mein Grundeinkommen, die uns erahnen lassen, wie es auch anders gehen könnte. Und natürlich sind wir hier in Deutschland extrem privilegiert. Man darf nicht vergessen, dass der Reichtum in Deutschland auf der Ausbeutung von Ländern des Globalen Südens fußt, immer noch. Gerade für Technologien wie KI werden Rohstoffe aus dem Globalen Süden extrahiert, Menschen arbeiten zum Beispiel unter katastrophalen Bedingungen in Minen, um die Rohstoffe zu schürfen, und auch die prekär beschäftigten Clickworker*innen, die an den Datensätzen arbeiten, die die Grundlage für KI-Systeme bilden, sind größtenteils nicht-weiße und/oder in Armut gehaltene Menschen. Dafür muss in Deutschland ebenfalls ein breites gesellschaftliches Bewusstsein entstehen – und dann auch was dagegen getan werden.

 

Vielen Dank für die spannenden Einblicke in die Tätigkeit als Transformationsdesignerin, Künstlerin und Bildungsreferentin, Nushin Yazdani!

Das schriftliche Interview wurde im Juli 2021 geführt.

 

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