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Kleine Worte, große Wirkung – Warum das Testament des Papstes für die Linguistik interessant ist

Papst Franziskus steht am Fenster und liest von einem Blatt ab
Foto : Wikimedia/Paris Orlando (CC BY-SA 4.0)
Papst Franziskus im Jahr 2018

Am 21. April 2025, dem Ostersonntag, hatte Papst Franziskus noch den US-Vizepräsidenten James David Vance empfangen und den feierlichen Segen Urbi et orbi vom Petersdom aus erteilt. Am 22. April verstarb der 88-Jährige nach einem Schlaganfall. Binnen kürzester Zeit veröffentlichte der Vatikan sein Testament, in dem das Oberhaupt der katholischen Kirche u.a. festgehalten hatte, wo und wie er beerdigt werden wollte. Die Potsdamer Romanistin Prof. Dr. Annette Gerstenberg hat sich den Text genauer angeschaut. Ihr sind dabei sprachliche Eigenheiten aufgefallen. Matthias Zimmermann sprach mit ihr über scheinbare Fehler und den besonderen Stellenwert gesprochener Sprache.

Sie haben sich nach dem Tod von Papst Franziskus dessen Testament angeschaut, das vom Vatikan online veröffentlicht wurde. Was ist Ihnen daran aufgefallen?

Zuerst sind mir zwei schwer verständliche Stellen aufgefallen, an denen z.B. ein „und“ fehlte. Inzwischen gibt es eine offizielle Version, in der dies ergänzt wurde. Wir haben darüber auch im italianistischen Kollegium gesprochen, der Kollege Carlo Mathieu hat den Text noch einmal ganz genau angeschaut. Der Text zeigt mehrere Spuren des ganz unmittelbaren Sprachgebrauchs. 

 

Was würde man üblicherweise für eine Sprache in Testamenten erwarten?

Mich hat es überrascht, dass dieser Text nicht so angepasst wurde, dass er hundertprozentig mit dem Standard konform ist. Das hat mich überrascht, und das hat mich vor allem beeindruckt. 

 

Was „verrät“ das Franziskus-Testament mglw. über seinen Verfasser?

Das Testament ist zuerst auf Italienisch geschrieben, in einer Sprache, die biografisch nicht als erste erworben wurde. Dann wurde es offiziell ins Spanische, Englische und Polnische übersetzt. In Italien erschien bereits eine Monografie über die Sprache des Papstes. Diese wendet sich an ein breiteres Publikum und wählt einen neuen, nicht puristischen Umgang mit der Mehrsprachigkeit des Papstes. Die Unmittelbarkeit und Kreativität seiner Sprache werden gewürdigt -- dahinter tritt die strenge Auslegung der Grammatik zurück.

 

Welchen besonderen Wert hat das Testament aus linguistischer Sicht?

Die offiziell veröffentlichte Fassung bewahrt die sprachliche Eigenheit der Persönlichkeit. Das ist ganz aktuell ein starkes Statement: Wir setzen uns in der Lehre gerade viel mit der Verfügbarkeit von KI-Instrumenten auseinander. Ich habe schon öfters gehört, dass sich Studierende selbst sprachlich nicht mehr über den Weg trauen. Jeder Satz muss zuerst von einem Chatbot gegengelesen werden. Angesichts dieser wachsenden Unsicherheit finde ich den Mut zur eigenen Ausdrucksweise, der sich in diesem Dokument spiegelt, inspirierend.

Wir haben ja seitens der Potsdamer Sprachwissenschaften am Brandenburger Mehrsprachigkeitskonzept mitgearbeitet. Dieses prominente Beispiel hat darum eine sehr aktuelle Bedeutung: jenseits von „richtig“ und „falsch“ tritt der Respekt für den sehr persönlichen und charaktervollen Ausdruck in den Mittelpunkt.

 

Weitere Informationen:

Zum Testament von Franziskus, das mittlerweile aus dem italienischen Original in sechs weitere Sprachen übersetzt wurde: https://press.vatican.va/content/salastampa/it/bollettino/pubblico/2025/04/21/0271/00496.html

Zum Buch über die Mehrsprachigkeit des Papstes: https://edizionidicrusca.it/catalogo/il-papa--infallibile-lo-dice-la-grammatica/8828

Zum Brandenburger Mehrsprachigkeitskonzept: https://mbjs.brandenburg.de/sixcms/media.php/140/mehrsprachigkeitskonzept.pdf

Zur Arbeit von Prof. Dr. Annette Gerstenberg: https://www.uni-potsdam.de/de/romanistik-gerstenberg/