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Freude an Bewegung – Das EMOTIKON-Projekt gibt Einblick in die Fitness von Kindern

Projektleiterin Dr. Kathleen Golle (l.) und Seniorprofessor Reinhold Kliegl (r.).
Projektleiterin Paula Teich (l.) und Projektleiterin Dr. Kathleen Golle (r.) während des Interviews.
Hindernissparkour auf einem Spielplatz. Im Hintergrund sind Kinder zu sehen.
Foto : Thomas Roese
Projektleiterin Dr. Kathleen Golle (l.) und Seniorprofessor Reinhold Kliegl (r.).
Foto : Thomas Roese
„EMOTIKON ist als Frühwarnsystem zu verstehen, das im Bereich der motorischen Fitness anhand umfassender Daten sichtbar macht, wo es Handlungsbedarf gibt“, sagt Projektleiterin Paula Teich (l.).
Foto : AdobeStock/matimix
279.756 Schülerinnen und Schüler haben seit 2009 an der Studie teilgenommen, die ihre motorische Fitness erfasst.

Wie fit sind Kinder heutzutage eigentlich? Haben wir es mit Stubenhockern zu tun oder sprintet uns die Jugend im wahrsten Sinne des Wortes davon? „Die Trends sind sehr deutlich: Die Ausdauer der Kinder in Brandenburg hat in den letzten Jahren abgenommen. Acht- bis neunjährige Kinder waren bei einem Sechs-Minuten-Lauf im Jahr 2011 noch signifikant schneller als dieselbe Altersklasse im Jahr 2024“, weiß Reinhold Kliegl.

Als Seniorprofessor für Psychologie an der Universität Potsdam und Datenspezialist für das landesweite Grundschul-Vorzeigeprojekt „EMOTIKON“ hat er Einblick in einen wahren Datenschatz. 279.756 Schülerinnen und Schüler haben seit 2009 an einer Studie teilgenommen, die ihre motorische Fitness erfasst. Bereits 2006 empfahl die Sportministerkonferenz, die motorische Fitness der Kinder zu verbessern. 2010 schloss sich die Kultusministerkonferenz an mit der Maßgabe, politische Entscheidungen dazu auf Grundlage verlässlicher Daten treffen zu können. Genau hier setzt EMOTIKON an. Alle Kinder der dritten Klassen in Brandenburg durchlaufen dabei sechs Testaufgaben im Sportunterricht – ganz ohne Notendruck. Das erklärt vielleicht, warum viele Kinder in erster Linie Spaß daran haben, sich in diesem Rahmen einmal beim „Einbeinstand“ zu versuchen oder zu sehen, wie weit sich ein Medizinball stoßen lässt.

Jedes Kind erhält dafür spätestens mit den Halbjahreszeugnissen seinen „Fitnesspass“, bei sehr guten Leistungen auch einen „Talentpass“ und die Einladung, an einer der landesweiten Talentiaden teilzunehmen. „Eine solche Einladung zu erhalten, bedeutet für die Kinder manchmal das Größte. Wir bekommen immer wieder Rückmeldungen von Eltern, die uns davon berichten, wie stolz ihre Kinder darauf sind und dass es für sie das schönste Schulerlebnis überhaupt war“, erklärt Projektleiterin Dr. Kathleen Golle. Inzwischen werden jährlich 30 dieser Talentiaden vom Landessportbund und seinen Kreis- und Stadtsportbünden organisiert.

Die weniger Sportlichen fördern

„EMOTIKON hat seit seinem Start wichtige Erkenntnisse für Bewegungsförderungsprogramme geliefert“, erläutert Paula Teich, die das Projekt koordiniert. „Es ist als Frühwarnsystem zu verstehen, das im Bereich der motorischen Fitness anhand umfassender Daten sichtbar macht, wo es Handlungsbedarf gibt. Unterschiede zeigen sich beispielsweise hinsichtlich der Sozialstruktur der Schulen. An Schulen mit besonders vielen Kindern aus sozial schwachen Familien sind die Ausdauerleistungen geringer.“ Dabei bedeutet EMOTIKON zunächst einmal mehr Aufwand für die Sportlehrkräfte. Deswegen war die Skepsis an den Schulen gerade am Anfang groß: Was bringt es, Daten in die Software einzugeben? Das hat sich inzwischen geändert. Schließlich profitieren auch Lehrkräfte davon und können anhand der im Projekt entstandenen Statistiken erkennen, wo ein Kind im Vergleich zum Normbereich steht und wo es einen Ausreißer nach oben gibt: ein echtes Talent! Die Ergebnisse können aber auch auf einen Entwicklungsrückstand und Förderbedarf hinweisen, bei dem motivierende und niedrigschwellige Bewegungsangebote gefragt sind.

Das berichtet auch Christoph Schneegass, der als Sportlehrkraft an einer Grundschule unterrichtet. „Wenn wir die Tests für EMOTIKON durchführen, ist das für die meisten Kinder ein toller, besonderer Tag. Dann wird eigens die Turnhalle geblockt und der Unterricht mit viel Aufwand entsprechend umorganisiert. Sie können den Tag damit verbringen, sich bei den Übungen zu messen – ganz ohne Notendruck“, sagt der Lehrer. „Doch es gibt immer Kinder, die ich kaum in Bewegung bekomme. Die mit einfachen Übungen Probleme haben, auch in der dritten Klasse keine Rolle vorwärts schaffen. Hier bräuchte es ein umfassendes Sportförderkonzept“, so Schneegass. Er würde es begrüßen, die Talentiaden nicht nur für die „Talente“, also die motorisch Begabten, sondern für alle Kinder anzubieten – damit sie sich bei den vielfältigen Sportangeboten ausprobieren und etwas finden, das ihnen Spaß macht. Die Freude am Sport sollte aus Sicht des Lehrers ohnehin stärker mitgedacht werden. „Wenn es gelingt, zweigleisig zu fahren und gleichermaßen zu fordern und zu fördern, dann wäre schon viel erreicht“, so der Lehrer.  

Frühwarnsystem für eine „bewegte“ Zukunft

Auch in der Forschung steht der Aspekt der Motivation im Fokus. Viele Sportlehrkräfte berichten von der unglaublichen Bewegungslust der meisten Kinder im Unterricht und bei den Testaufgaben. Doch die Daten zeigen auch, dass es nicht gelingt, diese Motivation bis zur Pubertät und darüber hinaus zu halten. So aufschlussreich die Erkenntnisse sind, die durch das Projekt gewonnen werden – die berühmten Patentlösungen kann es nicht liefern. Dazu braucht es alle. „Für mich ist EMOTIKON ein gelungenes Beispiel für gesellschaftliche Kooperation, die es mehr denn je braucht“, sagt Reinhold Kliegl. „Wir leben in diesem Projekt eine konstruktive Zusammenarbeit von Schule, Politik, Zivilgesellschaft und Wissenschaft. Und wichtig ist ebenso ein anregendes und abwechslungsreiches motorisches Umfeld auch außerhalb der Schule.“ Das Frühwarnsystem EMOTIKON funktioniert und es ist laut. Doch die große Herausforderung wird es sein, alle Kinder mitzunehmen und in eine „bewegte“ Zukunft zu führen. Das können weder Eltern noch Lehrkräfte alleine schaffen. „Wir brauchen eine konzertierte Aktion von Eltern, Lehrkräften, Schulen, Ministerien, Landessportbund, Sportvereinen und der Wissenschaft“, sagt der Seniorprofessor. „Damit würden wir bestimmt auch international ein Zeichen setzen.“ Auf nationaler Ebene hat sich das brandenburgische „EMOTIKON-Konzept“ jedenfalls schon einem Namen gemacht.


EMOTIKON-Projekt: Erfassung der motorischen Leistungsfähigkeit in der Jahrgangsstufe (JST) 3 zur kontinuierlichen Evaluierung des Schulsports und einer diagnosebasierten Systematisierung der Sport- und Bewegungsförderung
https://www.uni-potsdam.de/de/emotikon/index

Reinhold Kliegl ist seit 2019 Seniorprofessor für Psychologie an der Universität Potsdam.
Dr. Kathleen Golle ist seit 2012 akademische Mitarbeiterin der Professur für Trainings- und Bewegungswissenschaft an der Universität Potsdam.
Paula Teich ist seit 2022 Koordinatorin des EMOTIKON-Projekts.

 

Dieser Text erschien im Universitätsmagazin Portal - Eins 2025 „Kinder“.