Das wissenschaftliche Team um Marius Grabow und Stephanie Kramer-Schadt aus der Abteilung für Ökologische Dynamik des Leibniz-IZW und der Technischen Universität Berlin stattete 29 Stare (Sturnus vulgaris) in zwei Kolonien in der Uckermark mit hochauflösenden Leichtgewicht-Sendern des Telemetrie-Systems ATLAS aus, vermaß ihre Körper und entnahm jeweils eine kleine Menge Blut. Zugleich kontrollierten sie systematisch die Nester der Kolonien während der Brutzeit im Frühjahr, erhoben Zeitpunkt und Anzahl der gelegten Eier, der geschlüpften Küken und der flügge gewordenen Jungvögel und nahmen deren Körpermaße im Alter von 15 Tagen auf. Durch die räumlich und zeitlich sehr hochauflösenden Daten des ATLAS-Systems konnten die Forschenden die Bewegungen der Elterntiere genau verfolgen, beispielsweise wie oft und wohin die Eltern in den 15 ersten Lebenstagen des Nachwuchses zur Nahrungssuche flogen. Damit konnte das Team die Auswirkungen des Bewegungsverhaltens auf den Fortpflanzungserfolg untersuchen.
Analysen des Bluts durch Prof. Ralph Tiedemann, Lehrstuhl für Evolutionsbiologie / Spezielle Zoologie der Universität Potsdam, zeigten, dass 11 der 29 erwachsenen Stare Infektionen mit Blutparasiten (Haemosporidia) aufwiesen, welche die sogenannte Vogelmalaria auslösen. Typischerweise vermindern diese Infektionen die Leistungsfähigkeit von Individuen, was die eingeschränkten Bewegungsmuster der infizierten Tiere erklären kann. Grabow, Kramer-Schadt und ihre Kolleg:innen konnten nun erstmals an Tieren im Freiland zeigen, welche Auswirkungen diese Leistungseinschränkung auf die Futtersuche während der Fortpflanzungszeit und damit auf den Nachwuchs hat.
Nachwuchs infizierter Vögel ist 12 Prozent leichter
Statistische Analysen zeigten einen klaren Zusammenhang zwischen dem Körperzustand der Jung-Stare und der Infektion der Eltern. Infizierte Vögel verbrachten weniger Zeit mit der Nahrungssuche und blieben im Schnitt näher beim Nest. Dadurch waren sie gezwungen, bei der Auswahl der Gebiete, in denen sie Nahrung finden, deutlich weniger wählerisch zu sein als nicht infizierte Artgenossen. Sie suchten häufiger in für Stare weniger ergiebigen Ackerflächen als in Wiesenflächen, wo Stare besser Nahrung wie zum Beispiel Engerlinge finden. Vermutlich konnten sie daher nur seltener und weniger lohnende Beute machen, was sich in einem schlechteren körperlichen Allgemeinzustand der infizierten erwachsenen Stare niederschlug. Dies hatte zwar keinen nachweisbaren Effekt auf die Anzahl der gelegten Eier und der geschlüpften Küken – aber einen deutlichen negativen Effekt auf den Körperzustand und damit die Überlebenswahrscheinlichkeit der jungen Stare. Der Nachwuchs infizierter Eltern war im Schnitt 12 Prozent leichter als der Nachwuchs gesunder Eltern.
Plausible Erklärung für geringeren Fortpflanzungserfolg und Überlebenschancen
Mit Blutparasiten infizierte Tiere zeigen häufig keine erkennbaren Symptome und Tierpopulationen erscheinen gesund, obgleich die Infektionen trotzdem negative Auswirkungen auf die Wirte haben. Typische Symptome dieser sogenannten sub-klinischen Infektionen sind Lethargie oder ein eingeschränkter Aktionsradius. Die Folgen sind häufig subtil, haben aber entscheidende Folgen für die Nahrungssuche einzelner Individuen und damit für ihre Fortpflanzung oder ihr Überleben. „Wir konnten hier erstmals eine logisch schlüssige Kette an Faktoren herstellen und statistisch klare Zusammenhänge und Wirkungsgefüge aufzeigen“, sagt Grabow, Erstautor des Aufsatzes und Doktorand am Leibniz-IZW in der von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten und von Prof. Florian Jeltsch an der Universität Potsdam geleiteten Graduiertenschule „BioMove“. „Die belastbaren Zusammenhänge zwischen Infektion, Aktionsradius, Habitatauswahl bei der Nahrungssuche und der schlechteren körperlichen Fitness von Eltern und Jungtieren liefern eine plausible Erklärung für Nachteile der Jung-Stare bei ihrem Start ins Leben und damit für geringere Überlebenschancen. Damit können wir zeigen, dass auch nicht unmittelbar sichtbare Infektionen gravierende Folgen haben können – über Generationen hinweg.“
Trackingsystem ATLAS ermöglicht genaue Einblicke in Bewegung und Verhalten
Das hochauflösende Telemetriesystem ATLAS wurde an der Hebrew University of Jerusalem und der Universität Tel Aviv entwickelt und zeichnet im Sekundentakt präzise Positionsdaten von Tieren mit ultraleichten Sendern auf. ATLAS steht für „Advanced Tracking and Localization of Animals in real-life Systems“ und ist ein sogenanntes „reverse GPS tracking system“. Das bedeutet, dass die Tiersender nur ein einfaches Signal senden und die Position durch lokale Antennen vor Ort erfasst und berechnet wird. Dadurch können die Sender kleiner und leichter sein. Auf der anderen Seite setzt dieses System eine Antenneninfrastruktur auf lokaler Ebene voraus. Diese wird bei aktuellen Studien innerhalb des Graduiertenkollegs durch eine Vielzahl lokaler Unterstützer:innen in der Uckermark getragen, die Antennenstandorte für das System sowie den Fang der Stare möglich gemacht haben.
Publikation
Grabow M, Landgraf C, Niedballa J, Scholz C, Pufelski J, Nathan R, Toledo S, Jeltsch F, Blaum N, Radchuk V, Tiedemann R, Kramer-Schadt S (2025): Pathogen-induced alterations in fine-scale movement behaviour predict impaired reproductive success. Proceedings of the Royal Society B: Biological Sciences. DOI:10.1098/rspb.2025.0238
Kontakt
Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (Leibniz-IZW)
im Forschungsverbund Berlin e.V.
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Marius Grabow
Wissenschaftler in der Abteilung für Ökologische Dynamik
Telefon: +49(0)30 5168725
E-Mail: grabowuizw-berlinpde
Prof. Dr. Stephanie Kramer-Schadt
Leiterin der Abteilung für Ökologische Dynamik
und Professorin an der Technischen Universität Berlin
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Universität Potsdam
Am Neuen Palais 10, 14469 Potsdam
Prof. Dr. Florian Jeltsch
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Prof. Dr. Ralph Tiedemann
Leiter des Labors für molekulare Evolutionsbiologie
Telefon: +49(0)331 977-5249
E-Mail: ralph.tiedemanuuni-potsdampde