Studieren stresst?!
Emil ist zwar erfunden, aber es gibt viele, denen es so geht wie ihm. „Rund die Hälfte aller Studienanfänger leiden unter Stress“, sagt Dr. Andreas Heißel. „Dieser geht häufig einher mit psychosomatischen Beschwerden und weniger Lebensfreude. Und bei knapp einem Drittel wurde bereits eine psychische Erkrankung diagnostiziert.“ Heißel ist Senior Research Fellow an der Professur für Sozial- und Präventivmedizin am Institut für Sport- und Gesundheitswissenschaften der Universität Potsdam und forscht zu emotionaler Gesundheit. „Von da geht es nicht selten weiter abwärts: Studien zeigen, dass die psychische Gesundheit sich bei vielen im Laufe des Studiums verschlechtert. Das sollte nicht passieren.“ Deshalb untersucht Andreas Heißel gemeinsam mit Forschenden aus 30 Ländern die psychische Gesundheit von Studierenden – vom ersten Semester bis zum Abschluss. Die 2024 gestartete Studie UniLife-M soll Zusammenhänge aufzeigen zwischen Lebensgewohnheiten und dem psychischen Wohlbefinden.
Fakt ist: Ein Studium zu beginnen, krempelt das Leben um und bringt viele Veränderungen mit sich: neue Stadt, neue Menschen, neue Aufgaben. Dabei verkraften wir Menschen Veränderungen eher schlecht. Evolutionsbiologisch verbinden wir mit ihnen oftmals Unsicherheit und Gefahr, sie stressen uns. Und dann entwickeln wir Lebensgewohnheiten, die nicht selten ungesund sind: ernähren uns falsch, schlafen schlecht und konsumieren Dinge, die uns nicht guttun. „Wir wollen herausfinden, welche Faktoren dazu führen, dass manche krank werden – und wie sie zusammenhängen“, erklärt Andreas Heißel. „Wenn sich herausstellt, dass bestimmte Kombinationen von Faktoren die Gefahr für psychische Erkrankungen deutlicher steigern als andere, könnten wir daraus Empfehlungen und Maßnahmen ableiten, die Betroffenen helfen würden.“ Aber nicht nur denen, erklärt der Forscher. Im Umkehrschluss gelte auch: Positive Lebensgewohnheiten zu fördern, wirkt präventiv gegen psychische Erkrankungen.
Ein Aufwand, der sich lohnt. Denn obwohl psychische Erkrankungen längst nicht mehr derart stigmatisiert sind wie bis vor einigen Jahren, nehmen viele sie noch immer nicht vollends ernst. So nehmen rund zwei Drittel aller Menschen, die eine diagnostizierte psychische Erkrankung haben, keine Behandlung in Anspruch. „Für ein gebrochenes Bein gibt es einen klaren Heilungsplan“, erklärt Heißel. „Bei einer Depression ist das schwieriger.“
Herausfinden, was krank macht
Umso wichtiger sind Forschungen wie die UniLife-M Studie, die zeigen, wie es um unser seelisches Gleichgewicht steht – und welche Faktoren großen Einfluss darauf haben. Bei der Untersuchung, die von dem brasilianischen Wissenschaftler Prof. Felipe Schuch geleitet wird, werden Studierende im Laufe ihres Bachelorstudiums vier Mal befragt: zum Beginn, nach einem, zwei und dreieinhalb Jahren – nach dem Abschluss – ein letztes Mal. Mit standardisierten Fragebögen geben sie selbst Auskunft über ihre psychischen Belastungen und ihren Lebenswandel. Bis Anfang 2025 haben bereits mehr als 20.000 Studierende von über 80 Universitäten aus mehr als 30 Ländern teilgenommen. In Deutschland sind elf Universitäten dabei. „Dank der großen Zahl an Teilnehmenden hoffen wir mehr darüber zu erfahren, welche Kombination von Lebensstilfaktoren sich wie auswirkt“, erklärt Andreas Heißel. Gut möglich also, dass wenig Schlaf und Bewegung zusammen mit schlechterer Ernährung die Gefahr für psychische Erkrankungen stärker erhöht als ein anderer Mix von Angewohnheiten. Natürlich schauen die Forschenden auch auf die feinen Unterschiede: Gibt es kulturell bedingte Verhaltensweisen? Differenzen zwischen Männern und Frauen? Variationen, die sozial bedingt sind? Auch eine eigene Auswertung der Daten der Studierenden der Universität Potsdam ist vorgesehen. Im ersten Schritt interessieren sie sich aber dafür, was alle verbindet: „Wenn wir universelle Faktoren finden, die für alle gelten, lassen sich daraus wirksame Maßnahmen ableiten.“ Und die helfen dann nicht nur denen, die bereits betroffen sind, sondern vor allem auch dabei, neue Erkrankungen zu verhindern. Noch läuft die Erhebung der Daten, aber die Forschenden gehen davon aus, dass bestimmte Lebensstilfaktoren mit besserer psychischer Gesundheit in Verbindung stehen. Diese zu fördern, wirke auch präventiv gegen psychische Erkrankungen, erklärt Andreas Heißel: „Eine ausgewogene Ernährung, hohe Schlafqualität und regelmäßige körperliche Bewegung etwa.“ Dabei gehe es gar nicht darum, ein ganz bestimmtes Programm zu absolvieren. Egal ob Yoga, Ausdauer- oder Kraftsport – eigentlich sei jeder Sport, jede Form von Bewegung hilfreich. Außerdem brauche es das Bewusstsein, dass unser Lebenswandel aus Gewohnheiten besteht, die tief in unserem Alltag verwurzelt sind. Was wir uns angewöhnt haben, werden wir so schnell nicht wieder los: Einen Lebensstil, der uns krankmacht, zu ändern, ist eine große Herausforderung. „Wir schaffen es, wenn wir uns das immer wieder bewusstmachen – und jemanden haben, der uns bestärkt, sodass wir uns klare Ziele setzen können, um neue Gewohnheiten zu etablieren“, so Andreas Heißel. „Ein funktionierendes soziales Umfeld, das uns auch bei Rückschlägen unterstützt, ist überhaupt das Wichtigste!“ Wer das hat, hat Glück. Wie Emil.
Wer an der Befragung teilnehmen möchte, kann dies noch bis zum Beginn des Sommersemesters 2025 tun. Alle nötigen Informationen sind hier zu finden: https://www.uni-potsdam.de/fileadmin/projects/soz-praev-med/PDFs/UniLife_M-Studie_Infosite_web_Uni-Potsdam.pdf
Was können Studierende für ihre psychische Gesundheit tun?
Mit regelmäßiger körperlicher Bewegung, ausgewogener Ernährung und ausreichend Schlaf lässt sich die psychische Gesundheit fördern. Wichtig sei auch, aktiv gegen Stress vorzugehen: etwa mit Achtsamkeitsübungen oder Techniken zur Stressbewältigung. „Studierende sollten auf eine Balance zwischen Studium und Freizeit achten. Der Hochschulsport und der Feel Good Campus stellen ein vielseitiges Programm zusammen. Ein regelmäßiger Kurs ist ein guter Anfang“, sagt Dr. Andreas Heißel. „Außerdem hilft es, die eigenen Grenzen zu kennen, um Überlastungen zu vermeiden. Ganz wichtig: Man sollte sich trauen, Hilfe zu holen, wenn man sie braucht. An der Uni gibt es eine psychologische Beratung für Studierende.“ Wichtigster Faktor ist aber ein soziales Umfeld, das uns unterstützt, für Ausgleich sorgt – und vor Gefahren warnt, wenn nötig.
Psychologische Beratung an der Universität Potsdam:
https://www.uni-potsdam.de/de/feelgoodcampus/index
https://www.uni-potsdam.de/de/studium/beratung/psychologische-beratung
https://www.uni-potsdam.de/fileadmin/projects/soz-praev-med/PDFs/UniLife_M-Studie_Infosite_web_Uni-Potsdam_01.pdf
Vertrauenspersonen der Universität Potsdam:
https://www.uni-potsdam.de/de/diskriminierungsfreie-hochschule/vertrauenspersonen
Nightline Potsdam:
https://nightline-potsdam.de/
Psychosoziale Beratung des Studierendenwerks West:Brandenburg:
https://www.stwwb.de/beratung-soziales/psychosoziale-beratung
Dieser Text erschien im Universitätsmagazin Portal - Eins 2025 „Kinder“.