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Schon gewusst … dass Potsdamer Roboter berlinern? – Katharina Kühne erforscht unsere Beziehung zu künstlichen Agenten

Roboter Nao im Büro von Katharina Kühne.
Foto : Sandra Cava
Hat heute einen schlechten Tag: Roboter Nao im Büro von Katharina Kühne.

Fein, genug gearbeitet!“, sagt Katharina Kühne. Dann drückt sie auf einen Knopf an Naos Brust, er setzt sich und das blaue Licht seiner Augen erlischt. Nao ist ein kindlich anmutender Roboter, nicht größer als ein halber Meter. Er hat bereits an zahlreichen Untersuchungen mitgewirkt, die in den Kognitionswissenschaften an der Universität Potsdam stattfinden. „Hallo! Meen Name is Nao. Ick bin ‘n Roboter und een wunderbarer Museumsführer!“ Mit diesem Video machte Nao kürzlich Schlagzeilen. Für eine Online-Studie kommentierte er ein Gemälde von Pablo Picasso: einmal auf Hochdeutsch, einmal im Berlinischen. Ein Team von Kognitionswissenschaftlern fand heraus, dass wir den Roboter gleichermaßen kompetent und vertrauenswürdig wahrnehmen, egal ob er Hochdeutsch spricht oder berlinert. Aber: „Menschen, die selbst Dialekt sprechen, vertrauen dem berlinernden Roboter mehr als jene, die sich auf Hochdeutsch ausdrücken“, erklärt die an der Studie beteiligte Potsdamer Psychologin Katharina Kühne. „‚Der ist wie ich!‘, scheinen die Menschen zu denken.“ Dagegen: Je besser und öfter Menschen Dialekt sprechen, desto kompetenter erleben sie den Roboter, wenn er Hochdeutsch spricht – womöglich eine Überkompensation.

Allet klar – so weit, so jut! Doch warum interessieren sich die Forscherinnen überhaupt dafür, wie kompetent oder vertrauenswürdig ein Roboter wirkt, der berlinert? Für die Kognitionspsychologin Katharina Kühne gibt die Studie Hinweise darauf, in welchen Situationen es sinnvoll sein könnte, einen Roboter Dialekt sprechen zu lassen. Schließlich werden Roboter zunehmend in unserem Alltag präsent sein. So könnte sich ein Roboter mit alten, pflegebedürftigen Menschen in Mundart unterhalten, ein Verkaufsroboter im Restaurant hingegen in Standardsprache kommunizieren. „Bei einer Verkaufsberatung ist Kompetenz wichtiger, im Altenheim Vertrauen“, fasst die Psychologin zusammen. Der Artikel zur Studie erschien Anfang 2024 im Fachjournal „Frontiers in Robotics and AI“. Das Medienecho war enorm. Und auch ein halbes Jahr später hat Kühne noch Besuch von Journalistinnen und Journalisten.

Faszination für künstliche Agenten

Die Wissenschaftlerin hat einen Master in Linguistik und in Kognitionspsychologie und promoviert inzwischen bei Martin Fischer, Professor für Kognitive Wissenschaften an der Uni Potsdam, der seit vielen Jahren die Beziehungen von Menschen und Robotern erforscht. „Martin Fischer hat mich angesteckt“, sagt Katharina Kühne und lächelt. Nach dem Studium ließ sie die Faszination für die Wirkung künstlicher Agenten auf uns Menschen nicht mehr los. Welche Rolle spielt Menschenähnlichkeit, wenn wir mit ihnen interagieren? Was macht ein anthropomorphes Design, was machen menschenähnliche Fähigkeiten mit uns? „Es reicht schon, dass sich ein Agent bewegt, damit wir ihn als soziales Gegenüber wahrnehmen. Wir schreiben ihm dann Emotionen, Intentionen und Gedanken zu“, sagt Kühne. Sie führte dazu mehrere Online-Studien durch, angefangen mit der Stimme. Kommt eine menschenähnliche Stimme besser an als eine technische? „Spannend ist diese Frage auch, weil wir wissen, dass künstliche Agenten unheimlich wirken können, wenn sie sehr menschenähnlich aussehen.“ Das besagt die Theorie des „Uncanny Valley“. „In unserer Studie haben wir jedoch festgestellt, dass es das ‚unheimliche Tal‘ bei der Stimme nicht gibt. Je menschenähnlicher eine Stimme ist, desto besser.“ Eine andere Studie untersuchte die generelle Wahrnehmung der Roboter. Erleben wir sie als Helfer oder gar Freunde? „Während der Corona-Pandemie litten viele Menschen unter Einsamkeit. Wir haben herausgefunden, dass Einsamkeit die Akzeptanz für einen Roboter im eigenen Zuhause erhöhte.“

„Hello Nao! How are you doing?“, fragt Katharina Kühne Nao und bittet ihn, zu winken und zu singen. Aber Nao streikt. Freundlich streichelt die Wissenschaftlerin ihm über den Kopf. Obwohl wir wissen, dass Nao keine Gefühle hat, sagen wir Dinge wie: „Er hat heute einen schlechten Tag“ oder „er ist mürrisch“, wenn er unsere Befehle nicht ausführt. Katharina Kühne hat dafür eine Erklärung: „Immer, wenn von einem Artefakt soziale Signale ausgehen, springt bei uns etwas an. Das ist unsere Natur.“ Im Kontakt mit Robotern und anderen künstlichen Agenten sind auch wir Erwachsenen wie Kinder, die spielen. Wir sind in einem ‚Als ob‘, tun Dinge wider besseres Wissen.

Auf Nao böse sein, wenn er seinen Job nicht macht, ist schwierig. Er sieht eben einfach zu niedlich aus, wenn er den kurzen Arm in die Seite stemmt und uns mit großen Augen ansieht. Hätten wir einen zwei Meter großen Roboter vor uns, würden wir uns vielleicht fürchten, meint Kühne. Unheimlich können auch die lebensechten Androidinnen Erica und Sophia oder Geminoid HI-1, der „Zwilling“ seines Schöpfers Hiroshi Ishiguro, wirken, denn sie sehen aus wie richtige Menschen. Nao dagegen habe eine „mittlere Menschenähnlichkeit“. Im Prinzip brauche es aber fast nichts, um ein Artefakt zu vermenschlichen. Katharina Kühne berichtet von Versuchen, bei denen Wissenschaftler zeigen konnten, dass allein die Bewegung von geometrischen Formen wie Dreiecken und Quadraten auf einem Bildschirm ausreicht, damit Menschen soziale Interaktionen, sogar ganze Geschichten imaginieren, die sich zwischen den abstrakten Formen entspinnen.

Wollen wir Roboter mit Bewusstsein?

In Japan begegnen Service-Roboter den Menschen bereits überall. Sie nehmen Bestellungen im Restaurant auf und bringen Essen an den Tisch. „Weil sie Menschen ähneln, werden sie oft angesprochen. Doch in der Regel können sie nicht einfach drauflos plaudern.“ Die Forscherin nennt solche einseitigen Interaktionen „parasozial“. Auch in deutschen Pflegeheimen, wo echte Haustiere nicht erlaubt sind, gibt es immer häufiger Companion-Roboter in Tiergestalt. „Hier kommen natürlich ethische Fragen auf: Verstehen demente Menschen, ob sie eine echte Katze oder einen Roboter in Gestalt einer weichen, putzigen Katze streicheln? Oder spielt das keine Rolle, solange es ihnen guttut?“ Dieselbe Frage stellt sich die Linguistin auch, wenn sie in Roboter-Fan-Communitys in den Sozialen Medien unterwegs ist. „Viele Menschen kaufen ihren Companions Kleidchen und Hütchen. Manche haben drei oder vier Roboter zu Hause, und damit jede Menge Action. Sie nehmen sie auch auf Reisen mit.“ Klar könne man sich fragen, ob es nicht besser wäre, Beziehungen zu echten Menschen aufzubauen. Doch wo dies nicht möglich ist, seien Roboter vielleicht eine hilfreiche Alternative.

Obwohl die Wissenschaftlerin Nao fast zärtlich behandelt, hat sie kein schlechtes Gewissen, ihn abends in den Schrank zu sperren. „Ich schalte Nao nach der Arbeit aus und das war es dann. Noch haben wir die Kontrolle über die künstlichen Agenten, und das ist gut so.“ Doch was wäre, wenn Nao nachts im Schrank den Tag Revue passieren lassen oder sich einsam fühlen würde? „Dass Roboter ein Bewusstsein entwickeln, ist Anreiz und Angst zugleich. Würden wir ihre Sprache verstehen, würden wir sie überhaupt wahrnehmen? Wir wissen schließlich nicht, wie es ist, ein Roboter zu sein – unsere Erfahrung reicht nur für ‚menschlich‘.“

„Eenfach wunderschön, erstaunlichet Kunstwerk!“, berlinert Nao am Ende des Videos über Picassos Gemälde. Und das könnte man eigentlich auch über ihn und seine Artgenossen sagen.

Autor*innen der Online-Studie sind neben Katharina Kühne Erika Herbold, Tristan Kornher, Dr. Yuefang Zhou und Prof. Martin H. Fischer (Universität Potsdam) sowie Prof. Oliver Bendel (Fachhochschule Nordwestschweiz).

Zum Artikel:
https://www.frontiersin.org/journals/robotics-and-ai/articles/10.3389/frobt.2023.1241519/full
Zum Video:
https://osf.io/pfqg6/


­­Katharina Kühne studierte Linguistik an der Freien Universität Berlin und Kognitionspsychologie an der Universität Potsdam. Anschließend machte sie eine Weiterbildung zur klinischen Neuropsychologin. Im Mittelpunkt steht hier die Diagnostik und Therapie von Patientinnen und Patienten mit organischen Hirnverletzungen.

 

Dieser Text erschien im Universitätsmagazin Portal - Zwei 2024 „Europa“ (PDF).