Sie laden Mitte Dezember zu einer Tagung mit dem Titel „Maimon, Cohen, Kassirer: Der Kantianismus in seinem Verhältnis zum Judentum“. Immanuel Kant, der vielleicht bekannteste deutschsprachige Philosoph, wird heute vor allem wegen Haltung gegenüber Juden kritisiert. War es also eine vor allem problematische Beziehung?
Die Beziehung zwischen Kant und dem Judentum ist in der Tat komplex und Kants direkte Beziehung zum Judentum und zu den Juden war nicht besonders positiv, sondern sogar feindselig. Aber in der Beziehung zwischen Kant und dem Judentum würde ich zwischen Kant als Philosoph und dem Kantianismus als philosophischer Tradition einerseits sowie den Juden als Volk und dem Judentum als Religion (obwohl dieser Begriff hier problematisch ist) andererseits unterscheiden. Kants eigenes Urteil über Juden ist problematisch (und scheint manchmal antisemitisch zu sein), während sein Urteil über das Judentum als ungerechtfertigt bezeichnet werden kann, wie Cohen ausdrücklich behauptet. Der Kantianismus hingegen ist als eine Bewegung, die auf der kopernikanischen Wende basiert, nicht an jede spezifische Meinung Kants gebunden, sondern zielt darauf ab, den von Kant geschaffenen konzeptuellen Rahmen fortzusetzen. Ich denke, dass alle drei Kantianer, mit denen sich unsere Konferenz befasst, nämlich Maimon, Cohen und Cassirer, darin übereinstimmen würden, dass Kants eigenen Kenntnisse des Judentums zumindest unzureichend waren und dass sein Urteil über die Juden, gelinde gesagt, nicht der stärkste Teil von Kants Philosophie ist. Um es ganz offen zu sagen: Für sie ist es kein Widerspruch, ein jüdischer Kantianer zu sein, wenn überhaupt, dann ist es ein Widerspruch, ein antijüdischer Kantianer zu sein.
Was wollen Sie auf der Tagung diskutieren?
Die Konferenz wird eine Reihe von Themen abdecken, wie z. B. die Religionsphilosophie und inwieweit Kant als Nachfolger jüdischer Philosophen wie Maimonides angesehen werden kann oder die Anerkennung Spinozas durch die Kantianer als jemand, der sowohl in der jüdischen als auch in der nichtjüdischen Philosophie spielt. Auch die Wechselbeziehung zwischen Maimon Cohen und Cassirer sowie ihre unterschiedlichen Interpretationen von Kant werden angesprochen. Darüber hinaus wird es spezifischere Beiträge geben, die sich mit einem der Autoren zu einem bestimmten Thema befassen, sei es in der theoretischen oder praktischen Philosophie. Ich denke, das Programm gibt einen ausgezeichneten Überblick über die Beziehung zwischen Kantianismus und Judentum.
Für wen lohnt sich vorbeizuschauen?
Einerseits Menschen, die sich für Kant und die nachkantische Philosophie sowie ihren Einfluss auf die Religionsphilosophie, insbesondere das Judentum, interessieren. Andererseits jene, die sich für die philosophischen Quellen des modernen Judentums interessieren, unter denen Kant sicherlich eine wichtige Rolle spielt.
Anlässlich des 300. Geburtstags von Immanuel Kant stellen viele die Frage, was uns Kant heute noch zu sagen hat. Wie fällt die Antwort mit Blick auf das Verhältnis von Kant zum Judentum (oder aus Sicht der jüdischen Philosophie) aus?
Ich denke, diese Konferenz zeigt, dass Kant immer noch eine unerschöpfliche Quelle der Inspiration und Ideen ist, insbesondere im Bereich der Religion. In Bezug auf das Judentum ist klar, dass bedeutende und einflussreiche Theologen und Rabbiner von Kant beeinflusst wurden. Ein prominentes Beispiel ist das Konzept von Gott. Während es in der jüdischen Philosophie Tradition ist, die negative Theologie und die Tatsache, dass wir uns Gott nicht positiv denken können, zu betonen, hat der Kantianismus der negativen Theologie eine neue Form gegeben, indem er ihre Attribute aus dem Bereich der Theorie in den der Praxis überführt hat. Diese neue Form zeigt, wie der Kantianismus in die jüdische Philosophie integriert werden, aber auch neue Ideen einbringen und sie weiterentwickeln kann.
Wie wird Kant in der jüdischen Philosophie heute gesehen?
So schwierig es auch ist, von der jüdischen Philosophie als Ganzes zu sprechen, würde ich sagen, dass Cohen hier die Schlüsselfigur ist. Als Philosoph, der sowohl für die Wiederbelebung des Kantianismus verantwortlich war, als auch eine Generation mit seinen Schriften über das Judentum und die Vereinbarkeit von Judentum und Kantianismus prägte, hat er eine Vielzahl von Bewegungen innerhalb des Judentums beeinflusst und sowohl reformistische als auch orthodoxe, sowohl zionistische als auch antizionistische Tendenzen geprägt.
Welche bislang offenen Fragen sollte Philosophie mit Blick auf Kant (und das Judentum) stellen?
Ich habe zuvor das Beispiel der Eigenschaften Gottes angeführt. Ein weiteres Beispiel könnte die kantische Idee der Autonomie der Vernunft sein, die für jeden jüdischen Denker eine große Herausforderung darstellt. Sie stellt sowohl die Form als auch den Inhalt der Offenbarung infrage: Warum brauchen wir überhaupt Offenbarung und warum brauchen wir insbesondere moralische Gebote, wenn Moral aus unserer Vernunft abgeleitet werden kann? Um solche Fragen zu untersuchen und um zu erfahren, wie der Kantianismus in das Judentum integriert wurde und welche Herausforderungen er für jüdische Denker darstellt, lade ich alle ein, an dieser spannenden Konferenz teilzunehmen.
Weitere Informationen zur Tagung: https://www.uni-potsdam.de/de/veranstaltungen/detail/2024-12-16-maimon-cohen-cassirer-der-kantianismus-in-seinem-verhaeltnis-zum-judentum