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Zwischen Kontrolle und Beratung – Verwaltungswissenschaftlerin Sabine Kuhlmann über die Arbeit des Normenkontrollrats

Prof. Dr. Sabine Kuhlmann bei der Vorstellung und Diskussion des Jahresberichts 2024 des Nationalen Normenkontrollrats.
Foto : Photothek Media Lab
Prof. Dr. Sabine Kuhlmann bei der Vorstellung und Diskussion des Jahresberichts 2024 des Nationalen Normenkontrollrats.

Um die Herausforderungen unserer Zeit zu bewältigen, müssen Staat und Verwaltung nicht nur neue, passende Gesetze auf den Weg bringen, sondern gleichzeitig bürokratische Hürden abbauen und die Digitalisierung vorantreiben. Aber klappt das auch? Matthias Zimmermann sprach darüber mit Prof. Dr. Sabine Kuhlmann. Die Potsdamer Verwaltungswissenschaftlerin ist stellvertretende Vorsitzende des Nationalen Normenkontrollrats (NKR), der die Bundesregierung zu Bürokratieabbau, besserer Rechtsetzung und Verwaltungsdigitalisierung berät.

Was ist die Aufgabe des Nationalen Normenkontrollrats (NKR)?

Der Nationale Normenkontrollrat hat eine doppelte Rolle: Wir sind einerseits „Watchdog“, der die Bundesregierung in Sachen Bürokratieabbau und Besserer Rechtsetzung kontrolliert, und andererseits Berater, der Lösungen anbietet. Es ist ein Spagat: Kritik ist notwendig, um auf unnötige Bürokratie und bürokratieärmere Alternativen hinzuweisen, aber wenn man es übertreibt, riskiert man, dass die Zusammenarbeit mit den Ministerien leidet. Wir verstehen uns als „critical friend“ der Regierung.

Unsere Kernaufgabe ist es, die Folgekosten neuer Bundesgesetze zu prüfen – für die Wirtschaft, die Verwaltung und die Bürger. Dabei prüfen wir, ob diese Kosten im Gesetzgebungsprozess methodengerecht ermittelt und transparent gemacht wurden. Gleichzeitig befassen wir uns mit Fragen der Rechts- und Verwaltungsvereinfachung sowie der Digitalisierung. Unser Mandat hat sich im Laufe der Zeit erweitert, sodass wir auch Themen, wie praxistaugliches Recht und Verwaltungsmodernisierung, in den Blick nehmen.

Wie läuft die Arbeit des NKR in der Praxis ab?

Wir sind ehrenamtlich tätig, arbeiten aber eng mit einem professionellen Sekretariat zusammen, das im Bundesjustizministerium angesiedelt ist. Dieses Team bereitet Sitzungen vor, analysiert die rund 400 Referentenentwürfe, die wir jährlich erhalten, und filtert die relevanten Fälle mit erheblichem Erfüllungsaufwand heraus – das sind etwa 160 pro Jahr.

Der Rat selbst trifft sich alle zwei Wochen. Die Räte sind jeweils auf ein bis zwei Ministerien spezialisiert. Ich beispielsweise befasse mich vor allem mit Entwürfen des Innenministeriums und des Verteidigungsministeriums. Unser Fokus liegt auf der ex ante Prüfung: Wir schauen uns Gesetze an, bevor sie in Kraft treten, und geben frühzeitig Feedback. Ziel ist es, unnötige Bürokratiebelastungen zu verhindern, noch bevor sie entstehen.

Es kommen aber immer wieder neue Themen hinzu, seit einigen Jahren etwa die Bemühungen, Bürokratie durch die Digitalisierung der Verwaltung abzubauen. Denn wenn die Verwaltungen nicht gut aufgestellt sind, können neue Regeln noch so gut sein – ihr Vollzug funktioniert dann nicht oder nur mit höherem Aufwand.

Sie haben den Jahresbericht 2024 des NKR mit folgenden Worten zusammengefasst: „Der Weg zu einer effizienteren Verwaltung und besseren Rechtsetzung ist noch lang, aber die Richtung stimmt.“ Was bedeutet das konkret?

Wir sehen eine Nettoentlastung der Wirtschaft im Sinne einer statistisch messbaren Reduzierung von Erfüllungsaufwand für Unternehmen.  Allerdings sind diese Entlastungen für die Betroffenen – Unternehmen oder Bürger – oft nicht spürbar, da an anderer Stelle neue Belastungen entstehen und andere Belastungen, z.B. EU Verordnungen, gar nicht in die Messungen einfließen. Besonders stark gestiegen ist der Bürokratieaufwand für die Verwaltung. Insgesamt können wir also nicht von einem Bürokratieabbau oder einer echten Trendwende sprechen, sondern eher von einer, vielleicht auch nur vorübergehenden, Verlangsamung des Aufwuchses.

Deutschland gilt bei der Digitalisierung der Verwaltung als Nachzügler. Woran liegt das?

Dafür sind mehrere Faktoren verantwortlich. Zum einen erschwert unser föderales und dezentrales System eine schnelle und einheitliche Digitalisierung. In zentralistisch organisierten Staaten können Entscheidungen einfacher bis auf die lokale Ebene durchgesetzt werden. In Deutschland hingegen hat jede Kommune und jedes Land eigene Zuständigkeiten, was die Umsetzung verlangsamt.

Hinzu kommt unsere stark rechtlich geprägte Verwaltungskultur. Verfestigte Prinzipien, wie ausgeprägte Schriftformerfordernisse, Dokumentations- und Anwesenheitspflichten, machen den Übergang ins Digitale schwierig. Außerdem haben wir hohe Datenschutzstandards, die zwar wichtig sind, aber den Datenaustausch zwischen Behörden verkomplizieren und teils verunmöglichen.

Wie kann Deutschland hier aufholen?

Ich bin optimistisch, dass Deutschland aufholen wird. Vielleicht können wir aus den Fehlern anderer Länder lernen, die schon weiter sind. Aber es muss schneller gehen. Dazu gehört auch, dass wir liebgewonnene Standards überdenken. Wenn das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit des Staates nicht leiden soll, braucht es mehr Tempo und Entschlossenheit in der Frage der Verwaltungsdigitalisierung.

Werden Ihre Empfehlungen von der Bundesregierung gehört?

Der NKR hat sich seit seiner Gründung 2006 eine gute Reputation erarbeitet. Wir beobachten, dass in den Ministerien die Folgekosten von Gesetzesvorhaben heute ernsthafter berücksichtigt werden als früher. Trotzdem bleibt es eine Herausforderung, diese Perspektive nachhaltig zu verankern. Besonders bei einem Regierungswechsel ist es wichtig, von Anfang an den neuen Akteuren den Nutzen und die Bedeutung des Themas Bürokratieabbau und damit die Rolle des NKR  klarzumachen.

Wie bringen Sie Ihre wissenschaftliche Expertise darüber hinaus in die Praxis ein?

Gremien wie der Normenkontrollrat sind ideale Plattformen, um wissenschaftliche Erkenntnisse direkt in die politische Praxis einzubringen. Ich arbeite außerdem im wissenschaftlichen Beirat des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) beim Bundesinnenministerium mit, wo wir etwa Policy Papers erstellen, die zur richtigen Zeit – etwa bei Koalitionsverhandlungen – Gehör finden können. Aber auch internationale Kooperationen und Auftragsforschung bieten Möglichkeiten, den Transfer zwischen Wissenschaft und Politik zu fördern – ohne sich dabei instrumentalisieren zu lassen. Ich finde es wichtig, mit diesem Transfergedanken im Hinterkopf zu forschen!

 

Weitere Informationen zur Arbeit von Prof. Dr. Sabine Kuhlmann: https://www.uni-potsdam.de/de/ls-kuhlmann/lehrstuhl/index
Zum Jahresbericht 2024 des Normenkontrollrats: https://www.uni-potsdam.de/de/nachrichten/detail/2024-10-07-verregelt-und-verrammelt-normenkontrollrat-mit-prof-kuhlmann-uebergibt-jahresbericht