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Körperlichkeit im Kontext der Digitalisierung – Neue Impulse für den Sportunterricht

Kinder sitzen in Meditationspose in einer Sporthalle
Foto : AdobeStock/Drazen
Schon in der Grundschule spielen in Sozialen Medien vermittelte Körperbilder eine wichtige Rolle - und sollten demnach auch im Unterricht reflektiert werden.

Wie verändert die Digitalisierung unser Verständnis von Körperlichkeit? Welche Implikationen ergeben sich daraus für die Sportpädagogik? Und wie können wir Lehrkräfte sowie deren Schülerinnen und Schüler auf einen bewussten Umgang mit sozialen Medien und deren Einfluss auf die Körperwahrnehmung vorbereiten? Mit diesen Fragen befasste sich eine Fachtagung, zu der Esther Pürgstaller, Juniorprofessorin für Fachdidaktik Sport unter Berücksichtigung der Primarstufe, an die Universität Potsdam eingeladen hatte.   

Frau Pürgstaller, was war das Ziel Ihrer Tagung?
Wir wollten nicht nur theoretische bzw. aktuelle Forschungsimpulse liefern, sondern auch in praxisnahen Workshops einen Austausch über Erfahrungen, beste Beispiele und Konzepte für die Praxis anregen. In den vergangenen drei Jahren hatte ich gemeinsam mit Prof. Dr. Stefan Meier von der Universität Wien/Augsburg und Prof. Dr. Sebastian Ruin von der Universität Graz ein länderübergreifendes Lehr-Projekt durchgeführt, in dem wir mit Studierenden untersuchten, wie die Digitalisierung unser Verständnis von Körperlichkeit im Kontext von Sport verändert. Wir haben die angehenden Sportlehrkräfte darauf vorbereitet, die Einflüsse der Digitalisierung kritisch zu hinterfragen und im Unterricht bewusster damit umzugehen. In einem anderen vom BMBF-geförderten Projekt zur „Digitalisierungsbezogenen und digital gestützten Professionalisierung von Sport-, Musik- und Kunstlehrkräften“ (DigiProSMK) entwickeln wir nun dazu auch Fortbildungen.

Viel diskutiert wird die Rolle der Sozialen Medien im Zusammenhang mit Körperwahrnehmung? Gibt es hierzu neue Forschungsperspektiven?   
Auf der Tagung hat Prof. Dr. Daniel Rode von der Universität Salzburg die bisherige sportpädagogische Forschung kritisch hinterfragt, die sich oft auf vermeintlich negative Auswirkungen sozialer Medien wie Instagram oder TikTok konzentriert, wenn es z.B. um Körperideale geht. Anstatt die Plattformen zu analysieren, richtete er in einer Studie den Blick auf Online-Foren, in denen Jugendliche über schambesetzte Themen wie Menstruation und Sexualität diskutieren. Diese Themen, die gerade im Sportunterricht Relevanz haben, wurden bislang in der sportpädagogischen Forschung kaum untersucht, obwohl sie für das Verständnis von Körperlichkeit zentral sein können. Eine andere Perspektive brachte Prof. Dr. Thomas Wendeborn von der Universität Leipzig ein und plädierte dafür, die Fähigkeit zur selbstbestimmten und kritischen Auseinandersetzung mit digitalen Texten in den Forschungsfokus zu rücken: Was steht im Quelltext eines Beitrages? Was wird auf der literalen, piktoralen, auditiven oder audiovisuellen Ebene dargestellt? Und was ist die Intention des Autors? Demgegenüber warf Jun.-Prof. Dr. David Wiesche von der Universität Duisburg-Essen einen Blick auf das Beziehungsgefüge zwischen digitaler Alltagswelt und Sportunterricht. Seine Studie „Körper.Bilder.Diskurse“ analysierte, wie Schülerinnen und Schüler über körperbezogene Inhalte im hybriden Raum, z.B. in Fitnesschallenges, sprechen. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass solche Diskurse und Inhalte in der Alltagswelt Jugendlicher zwar präsent sind, jedoch eher zurückhaltend reflektiert werden. Sie legen nahe, dass der Sportunterricht eine wichtige Rolle dabei spielen könnte, gezielte Diskussionen und Reflexionen über Körperbilder und digitale Einflüsse anzuregen, um das Bewusstsein und die Medienkompetenz der Schüler zu fördern.

Welche Erfahrungen steuerte die Schulpraxis bei? 

Sportlehrkräfte finden die Thematik relevant, sind jedoch unsicher in der praktischen Umsetzung. Dabei stehen v.a. didaktische Fragen im Raum: Welche Themen, Aufgaben und Methoden eignen sich? Wie kann die Vielfalt der Schülerinnen und Schüler berücksichtigt werden, etwa in Bezug auf unterschiedliche Vorerfahrungen mit sozialen Medien, Religion, Geschlecht oder kulturellen Hintergrund? Wie können geeignete Rahmenbedingungen, wie etwa ein „safe space“ für offene Gespräche, geschaffen werden? Auf der Tagung wurde zudem herausgestellt, dass die eigene Einstellung der Sportlehrkräfte zum Sportunterricht und zu ihrer Rolle einen wesentlichen Einfluss auf die Unterrichtsgestaltung hat. Die Diskussionen zeigten, dass viele Lehrkräfte sich fragen, inwiefern die Auseinandersetzung mit Körperbildern aus den sozialen Medien tatsächlich Teil des Bildungsauftrags im Sportunterricht sein sollte und wie sich die Thematisierung in Form von Reflexionen mit der Bewegungszeit im Unterricht vereinbaren lassen.

Welche Schlüsse ziehen Sie daraus als Fachdidaktikerin für Sport in der Primarstufe?

Es besteht ein erheblicher Bedarf an Materialien und Konzepten, die die Sportlehrkräfte gezielt unterstützen. Die Sportpädagogik hat vergleichsweise spät begonnen, sich mit den Auswirkungen der Digitalisierung auf Körperbilder und Körperwahrnehmung auseinanderzusetzen – und der Fokus lag bisher hauptsächlich auf der Sekundarstufe. Die Primarstufe hingegen wird noch kaum berücksichtigt. Interviews mit Sportlehrkräften und Gespräche mit Buchverlagen verdeutlichen, dass das Thema in der Primarstufe häufig noch als wenig relevant eingeschätzt wird. Doch Studien wie die deutsche KIM-Studie und die englische Ofcom-Studie zeigen, dass bereits 96 % der 8- bis 11-Jährigen regelmäßig Online-Videos konsumieren und 32 % soziale Medien wie TikTok nutzen. Auch Technologien wie Fitnesstracker finden bereits in jungen Jahren Anwendung. Diese digitalen Medien vermitteln Körperverständnisse, die die Wahrnehmung und den Umgang der Kinder mit ihren eigenen Körpern beeinflussen können. Ein zukünftiger Schwerpunkt sollte darauf liegen, Kindern grundlegende Medienkompetenzen zu vermitteln und sie in ihrer körperlichen Selbstwahrnehmung zu stärken, um mögliche digitale Einflüsse reflektiert und selbstbestimmt einordnen zu können.

Wie fließen die Ergebnisse aus der Forschung in die Lehrkräftebildung ein?
Wir verankern das Thema in theoretischen und praktischen Lehrveranstaltungen. So haben wir etwa das Forschungsseminar zur „Körperlichkeit im Kontext der Digitalisierung“ konzipiert, das Studierende für eine kritische Auseinandersetzung mit dem Einfluss digitaler Medien auf Körperwahrnehmung und Körpernormen sensibilisiert. Darüber hinaus entwickeln wir derzeit Module in Form von Lernvideos, die darauf abzielen, Lehrkräfte sowohl in der kritischen Analyse digitaler Einflüsse als auch in der didaktischen Umsetzung dieser Themen im Sportunterricht zu schulen. Wir wollen sie nicht nur mit theoretischem Wissen, sondern auch mit praxisnahen Materialien und konkretem Unterrichtswerkzeug ausstatten, sodass sie Themen wie Körperwahrnehmung, Körpernormen, die Rolle von Fitness-Influencern, sportbezogene Social-Media-Challenges sowie Trends wie Fitness, Achtsamkeit und Selbstoptimierung sach- und altersgerecht in ihren Unterricht einbinden können.

Die Fragen stellte Antje Horn-Conrad.

 

Mehr zur Arbeit von Prof. Dr. Esther Pürgstaller: https://www.uni-potsdam.de/de/fachdidaktiksport-primarstufe/index