Sie forschen zum Themenfeld Arbeit und Geschlecht. Ein brisantes Feld, man denke nur an den Gender Care oder Pay Gap. Was genau möchten Sie herausfinden?
Ich interessiere mich einerseits für Arbeitsbedingungen in weiblich konnotierten Dienstleistungsbranchen wie Pflege, Reinigung oder Kinderbetreuung. Dabei geht es um Einkommen, Arbeitszeiten, Karrierechancen, Mitsprachemöglichkeiten und die Sicherheits- und Gesundheitsbedingungen am Arbeitsplatz. Der andere große Bereich, den ich untersuche, ist die unbezahlte Arbeit, zu der Kinderbetreuung, Hausarbeit und die Pflege von Angehörigen zählen. Und diese unbezahlte Arbeit ist geschlechtlich sehr ungleich verteilt. Ich möchte mit meiner Forschung dazu beitragen, das gesellschaftliche Verständnis von Arbeit zu erweitern, das immer noch häufig auf die Erwerbsarbeit beschränkt ist. Erst seit der zweiten Frauenbewegung in den 1970er-Jahren richtet die Forschung ihren Blick auch auf das, was in den Haushalten an Arbeit geleistet wird. Was Personen mit Betreuungsverantwortung leisten, wird aber auch heute noch wenig in politische Überlegungen einbezogen.
In Ihrem Forschungsprojekt SPLITWORK untersuchen Sie Arbeitszeiten in der Reinigungsbranche und der ambulanten Pflege in Österreich, Norwegen und Schweden. Was haben Sie über die sogenannten geteilten Dienste herausgefunden?
Bei geteilten Diensten handelt es sich um eine Arbeitszeitform, die insbesondere in Dienstleistungsbranchen wie der Reinigung und der ambulanten Pflege verbreitet ist. Sie findet sich aber auch in Verkehr, Handel und Gastronomie. Die Beschäftigten haben oft eine kurze Schicht am frühen Morgen, dann mehrere Stunden unbezahlte Unterbrechung und abends eine zweite Schicht. Ihre Arbeitszeit ist also fragmentiert. Sie haben vier Arbeitswege – damit sind manche Beschäftigte vier Stunden am Tag unterwegs.
Meine Kollegin Cornelia Reitner und ich haben Fallstudien zu fünf österreichischen Reinigungsunternehmen und Pflegeeinrichtungen durchgeführt und Beschäftigte, Betriebsräte, Führungskräfte und Expert*innen interviewt. Wir wollten herausfinden, was die geteilten Dienste mit dem Gesamtlebenszusammenhang machen, und haben festgestellt, dass die „Zwischenzeit“ im Erleben der Beschäftigten weder richtige Arbeitszeit noch Freizeit ist. Sie können dann nicht entspannt einschlafen, bei Erledigungen müssen sie auf die Uhr schauen. Alltägliche Dinge wie geruchsintensive Speisen zuzubereiten oder längere Unternehmungen zu beginnen ist nicht möglich. Auch auf das Familienleben wirken sich die geteilten Dienste aus.
In der Pflege dienen die geteilten Dienste in der Regel den Bedürfnissen der pflegebedürftigen Menschen. In der Reinigungsbranche geht es dagegen vielmehr um Kundenwünsche und die Vorstellung, dass Reinigungsarbeit unsichtbar passieren sollen. Das trägt nicht zur Erhöhung der Anerkennung bei. Im Projekt vergleichen wir die Situation in Österreich mit der in Norwegen, wo die ununterbrochene Tagarbeit von Reinigungskräften bereits etabliert ist, und in Schweden, wo geteilte Dienste in der Pflege in vielen Kommunen reduziert werden. Aus unseren Fallstudien in Norwegen schließen wir, dass die Umstellung auf Tagreinigung sehr gut vorbereitet werden muss, damit das Arbeiten während der Bürozeiten funktionieren kann.
Wenn es um Arbeit und Geschlecht geht, geht es immer auch um die Verteilung von freier Zeit. Wer hat mehr Freizeit?
Zeitverwendungsstudien zeigen, dass Männer und Frauen insgesamt ungefährgleich viel arbeiten. Aber: Frauen übernehmen mehr unbezahlte Arbeit als Männer, was bedeutet, dass Frauen ein geringeres Einkommen und später niedrigere Renten haben. Das Konzept Freizeit ist für viele Lebenszusammenhänge, in denen sich vor allem Frauen finden, kritisch zu betrachten. Frauen sind anders als Männer in ihrer Freizeit viel mit Kindern zusammen. Die Grenze ist schwer zu ziehen: Ist es Betreuungsarbeit, wenn sie mit ihren Kindern zu Abend essen? Außerdem betrifft der sogenannte Mental Load Frauen deutlich stärker als Männer. Dieser findet im Kopf statt und lässt sich in Zeit gar nicht messen: Hier wird überlegt und geplant, wann das Kind abgeholt wird, ob ein Arzttermin ausgemacht werden muss oder wann man zur Post geht. Dieser Workload ist geschlechtlich sehr ungleich verteilt.
Ein weiterer Forschungsschwerpunkt ist die nachhaltige Arbeit. Was ist das überhaupt?
Einerseits geht es um Fragen, inwiefern Arbeit nachhaltig für die Beschäftigten ist: Leiden sie körperlich unter ihrer Arbeit? Kann eine Arbeit bis zur Rente durchgeführt werden? Andererseits bezieht sich der Begriff auf den Klima- und Umweltschutz: Unter welchen Umständen wird in den sogenannten Green Jobs, also Tätigkeiten, die zur Bewältigung der Umwelt- und Klimakrisen beitragen sollen, gearbeitet? Frauen sind überproportional häufig in Green Jobs mit schlechteren Bedingungen zu finden. Einer der härtesten Jobs, die ich im Laufe meiner Forschung gesehen habe, war ein Green Job in einer Recyclinganlage. Hier wird der Abfall mit Maschinen getrennt, der letzte Schritt muss jedoch manuell durchgeführt werden. Ich kann mich gut erinnern, wie in einem kleinen, heißen Zimmer am Ende des Ganges Frauen an Fließbändern standen und den Müll sortiert haben.
Woran liegt es, dass Frauen häufiger in Jobs arbeiten, in denen die Arbeitsbedingungen ungünstig sind?
Eine Ursache sind die Haus- und Betreuungsarbeit sowie die Angehörigenpflege, die die Möglichkeiten einschränken, einer existenzsichernden Erwerbsarbeit nachzugehen oder auch Karriere zu machen. Ein anderer Grund ist, dass das Geschlechterverhältnis in ein Machtverhältnis eingebettet ist, das eine lange Tradition hat und nicht von heute auf morgen verschwindet. Auch die Geschlechterkonstruktion an sich ist ein Thema: Über Berufe und Tätigkeiten wird Geschlecht im Alltag konstruiert. Im zweigeschlechtlichen System, das derzeit gesellschaftlich dominant ist – auch wenn es tatsächlich mehr Geschlechter gibt –, kann man die Tätigkeit und das Geschlecht nicht voneinander trennen. In der Reinigungsbranche etwa werden Frauen benachteiligt, weil die körperlichen Anforderungen ihrer Tätigkeiten als geringer eingestuft werden, was sich wiederum im Tarifvertrag festschreibt. Wenn Männer schwere Wassereimer tragen, wird das anders bewertet, als wenn Frauen große Flächen im Büro reinigen. Diese Zuschreibungen schlagen sich in handfesten Unterschieden nieder, was Arbeitsbedingungen und Einkommen betrifft.
Eine Studie der Soziologin Lena Schürmann zu Männern in der Reinigungsbranche hat gezeigt, dass sie „privilegiert prekär“ arbeiten: Sie haben niedrige Löhne, schwierige Arbeitszeiten und -bedingungen, aber im Vergleich zu Frauen privilegierte Positionen. Ähnliches zeigt sich in Bezug auf Personen ohne Migrationsgeschichte im Vergleich zu Migrant*innen.
Was müsste geschehen, damit Ungleichbehandlungen enden?
Teilnahme an oder Erfolg in der Erwerbsarbeit ist für Personen mit Verantwortung für Haus- und Betreuungsarbeit derzeit nur unter einem hohen Preis zu schaffen: nämlich alles gleichzeitig zu machen. Um Chancengleichheit herzustellen, muss die unbezahlte Arbeit umverteilt werden. Das muss mit einer erhöhten Anerkennung der unbezahlten Arbeit einhergehen, denn diese ist keine Selbstverständlichkeit. Eine Idee der Frauenbewegung war, sie zu bezahlen. Doch Anerkennung kann sich auch symbolisch äußern, das halte ich ebenfalls für sehr wichtig. Es ist kein Zufall, dass die Jobs in der Reinigungs- und Pflegebranche wenig sichtbar und schlecht bezahlt sind – es gibt einen Zusammenhang zwischen der unbezahlten Care Arbeit in den Haushalten und den niedrigen Löhnen bei Pflege und Reinigungsarbeit.
So zu tun, als hätten Beschäftigte keine Pflege, Betreuungs- oder Hausarbeit zu bewältigen, schafft auch auf Organisationsebene Ungleichheiten. Ebenso lässt sich auf sozialstaatlich-gesetzlicher Ebene noch vieles gestalten, was etwa Elternzeit oder die Möglichkeiten der Arbeitszeitverkürzung betrifft – und auch die Diskussion darüber schafft einiges an Bewusstsein.
Bei der Erwerbsarbeit können wir ungleichen Chancen mit Quoten begegnen, und in den Tarifverträgen müssen ungleiche Interpretationen aufgedeckt werden, die zu versteckten Ungleichbehandlungen bei Lohneinstufungen führen. Denn die Bereiche, in denen vor allem Frauen tätig sind, werden strukturell schlechter bezahlt.
Haben Sie hierfür eine Erklärung?
In der Geschichte der Erwerbsarbeit können wir eine interessante Dynamik beobachten: Wenn Tätigkeiten häufiger von Frauen ausgeübt wurden, waren sie schlechter bezahlt. Und umgekehrt sehen wir, dass die Gehälter in einer Branche steigen, wenn zunehmend Männer dorthin wechseln. Ähnlich ist es bei Wirtschaftszweigen, in denen bislang vor allem Migrant*innen gearbeitet hatten, und in die dann Personen ohne Migrationsgeschichte gehen. Frauen wiederum sind wegen ihrer unbezahlten Arbeit gezwungen, in Bereichen zu tätig zu sein, in denen es üblich ist, Kinder zu haben, und die Teilzeit und flexibles Arbeiten ermöglichen. Dafür sind diese Jobs schlechter bezahlt.
Wie kamen Sie zu der Gastprofessur an der UP und was haben Sie noch vor, bevor es im Frühjahr 2025 zurück an die Wirtschaftsuniversität Wien geht?
Die Ausschreibung hat mich sofort angesprochen, weil sie außerordentlich gut zu meinen Schwerpunkten gepasst hat. Ich beschäftige mich seit vielen Jahren mit dem Verhältnis von Arbeit und Geschlecht. Ich möchte nun diesen Schwerpunkt in die Lehre bringen und die Studierenden anregen, aus einer anderen Perspektive auf die Arbeitssoziologie zu schauen. Im Rahmen der Gastprofessur ist es mir ein Anliegen, zur Sichtbarkeit von Geschlechterforschung an der UP beizutragen und Vernetzung zu fördern. Gleichzeitig forsche ich weiter zu geteilten Diensten und Arbeitszeiten, aber auch zu Klima- und Umweltkrisen, zu deren Verständnis die Geschlechterforschung sehr viel beizutragen hat. Auch in der Lehre befasse ich mich mit nachhaltiger Arbeit und dem großen Thema Zeit. Dazu organisiere ich eine Ringvorlesung mit Gastvortragenden.
Privat bin ich Berlin-Fan und war auch schon als Vertretungsprofessorin an der Humboldt-Universität. Damals habe ich die Stadt sehr schätzen gelernt. Nun genieße ich beides, das schöne Potsdam und das quirlige Berlin.
Weitere Informationen
Als Soziologin geht Karin Sardadvar davon aus, dass die Kategorien „Frauen“ und „Männer“ sozial konstruiert werden. Oft stehen ausschließlich Daten zur Verfügung, in denen nur diese beiden Kategorien einbezogen werden. Geschlecht strukturiert Gesellschaft stark. Aus ihrer fachlichen Perspektive gibt es aber mehr als zwei Geschlechter. Gleichzeitig ist ihr Blick auf Geschlecht intersektional, das heißt, sie betrachtet es in Verbindung mit anderen Ungleichheitsdimensionen wie Herkunft, Alter oder sexueller Orientierung.
Zum Sommersemester 2024 wurde am Bereich Organisations- und Verwaltungssoziologie erstmals die Gertrud-Feiertag-Gastprofessur mit dem Schwerpunkt interdisziplinäre Geschlechterforschung ausgeschrieben. Die international ausgerichtete Gastprofessur soll jährlich an herausragende Wissenschaftler*innen auf dem Gebiet der Frauen- und Geschlechterforschung vergeben werden. Sie wird aus den Mitteln des Professorinnenprogramms III finanziert. Geplant ist, die Gastprofessur in den kommenden Jahren an wechselnden Fachbereichen der UP anzusiedeln.
Im Wintersemester 2024/25 organisiert Karin Sardadvar im Rahmen der Gastprofessur für interdisziplinäre Geschlechterforschung die Ringvorlesung „Zeitfragen: Zeitkonzepte – Arbeitszeiten – Zeit und Geschlecht“. Dienstags von 16 bis 18 Uhr finden am Campus Griebnitzsee (sowie teilweise online) Vorträge mit wechselnden Gastvortragenden zu unterschiedlichen Aspekten des Themas „Zeit“ statt: etwa zu Arbeitszeit und Geschlecht, zu queeren Temporalitäten oder zur Zeitlichkeit von Care. Die Vorlesungsreihe steht allen Interessierten offen.
Nähere Informationen unter: https://www.uni-potsdam.de/de/gleichstellung/veranstaltungen-und-aktionen/vorlesungsreihe-zeitfragen-zeitkonzepte-arbeitszeiten-zeit-und-geschlecht