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Der Portal-Fragebogen – 15 Fragen an Die Wissenschaftlerin Cornelia Klettke

Prof. Dr. Cornelia Klettke steht neben dem Schild der Universität Potsdam, Campus am Neuen Palais
Foto : Dr. Magdalena Kasberger
Prof. Dr. Cornelia Klettke

Die Wissenschaftlerin Cornelia Klettke studierte Romanische Philologie, Germanistik, Kunstgeschichte und Philosophie an den Universitäten Kiel, Montpellier, Northampton und Perugia. Nach Forschungsaufenthalten in Paris, Florenz und Lissabon habilitierte sie sich an der Universität Rostock, war Professorin an der Universität zu Köln und kam 2006 als Professorin für Romanische Literaturwissenschaft an die Universität Potsdam.

Wozu brauchen wir Literatur?

Literatur verhilft uns dazu, das Wesen des Menschen und die Verschiedenheit der Kulturen über Zeit und Raum zu reflektieren, um ein Verständnis für uns selbst und die Welt zu gewinnen. Die Beschäftigung mit literarischen Texten ist „Seelennahrung“, sie kann dem Leben Struktur und Halt geben.

In einem Satz – was ist ein Simulakrum?

Das Simulakrum, ein von der Wirklichkeit verselbstständigtes Trugbild, ist heute der eigentliche Gegenstand der Literatur. Mein Ansatz ist eine neue Art der Literaturgeschichtsschreibung, die nicht von der Widerspiegelung der Wirklichkeit ausgeht, sondern von Literatur als einem medialen Phänomen. In einer digitalen Welt ist alles Trugbild: Bildreflex, Sinnreflex, Echo im Labyrinth der unendlichen (medialen) Reproduktion von Bildern, die wirklichkeitsautonom sind.

Sie haben sich auch mit Naturphänomenen wie der Wolke in der Literatur befasst. Warum interessiert sich die Forschung für sie?

Als Forscherin des Simulakrums musste ich früher oder später bei der Wolke landen: Sie ist eine wunderbare Metapher für den Text als Trugbild. Die Wolke ist in ständiger Transformation, sie gibt dem Betrachter Anlass zu flüchtigen Bildassoziationen, vergleichbar den Sinnreflexen, die der Leser in den Text einschreibt. Die Wolke ist auch eine Metapher für unser Gehirn sowie für die Speicherung digitalen Wissens. Und sie ist eine Globalisierungsmetapher: Wolken kennen keine Grenzen. In der Chaostheorie bildet sie ein Beispiel für unregelmäßige geometrische Formen.

Sie sind unter anderem Spezialistin für Dantes „Commedia“. Was macht diesen Text bis heute spannend?

Dantes Sicht des Kosmos hat im 20. Jahrhundert im Gefolge von Gauss, Riemann und Einstein große Beachtung gefunden. Dante hat bereits die 3-Sphäre und den Big Bang vorweggenommen. Er war weiter als die Aufklärung und erlaubt zu zeigen, wie sich die geistes- und die naturwissenschaftliche Kultur heute wieder begegnen können. Das haben auch Autoren wie Italo Calvino, Daniele Del Giudice oder Daniel Kehlmann erkannt. Darüber hinaus beschäftigt mich die Umsetzung der Commedia in die bildende Kunst, besonders der im Kupferstichkabinett Berlin aufbewahrte Zeichenzyklus von Sandro Botticelli.

Sie selbst haben vier Fächer studiert – das ist seit der Bologna-Reform nicht mehr üblich. Verlieren die heutigen Studierenden dadurch etwas?

Ja, die Universalität war ein international bewundertes Merkmal deutscher Geisteswissenschaften. Leider ist heute Schmalspur angesagt.

2026 sind Sie bereits seit 20 Jahren an der Universität Potsdam. Wie blicken Sie auf diese Zeit zurück?

Als eine erfüllte Zeit voller Entwicklungs- und Gestaltungsspielräume.

Gibt es jemanden, den Sie bewundern?

Madame de Staël. Sie hat in prekärer Zeit neue Impulse gesetzt und Vernetzungen in Europa ermöglicht.

Gab es einen besonderen Moment, der Ihr Interesse an der romanischen Literatur weckte?

Die Lektüre von Madame Bovary.

Was gefällt Ihnen an Ihrem Beruf am besten?

Die Interdisziplinarität: Ich bin eine Komparatistin. Ich liebe es, Bezüge zu anderen Literaturen herzustellen, aber auch zu Philosophie und Anthropologie sowie zur bildenden Kunst. Für mich ergibt sich daraus auch eine Vereinbarkeit von Wissenschaft und Liebhaberei.

Was gar nicht?

Bürokratische Zwänge.

Wenn Sie den Wissenschaftsbetrieb ändern könnten, würden Sie …

... die starren Vorschriften im Modulsystem aufheben.

Was würden Sie gerne können?

Kunstwerke schaffen oder Klavierkonzerte geben.

Worüber haben Sie sich zuletzt gefreut?

Über das Lächeln meiner fast 99-jährigen Mutter.

Haben Sie ein Lebensmotto?

Schafe scheren – unerschütterlich wie die Hirten.

Berge oder Meer?

Das Meer, wozu ich gerade ein Kolloquium plane.

 

Dieser Text erschien im Universitätsmagazin Portal - Eins 2024 „Welt retten“ (PDF).

Veröffentlicht

Online-Redaktion

Sabine Schwarz