Auch die Potsdamer Germanistin PD Dr. Judith Klinger konnte ihm nicht widerstehen, als Forscherin versteht sich. Sie hat eine der ersten deutschsprachigen Robin-Hood-Einführungen geschrieben. Ihr wissenschaftliches Interesse am englischen Outlaw erwachte schon während des Studiums, als die TV-Serie „Robin von Sherwood“ von Richard Carpenter herauskam: „Es ist eine sehr kluge, sehr nah an den mittelalterlichen Texten entlang erzählte und historisch gut recherchierte Fernsehserie gewesen. Das Besondere daran war, dass Robin Hood keine Person, sondern eine Rolle ist.“ Immerhin ist er seinen Fans auch als Meister der Maskerade bekannt.
Das Verkleiden hält Judith Klinger für einen der Faktoren, die die Anziehungskraft Robin Hoods ausmachen und damit seine besondere Stellung außerhalb der Ordnung begründen. Er ist mal Händler, mal Geistlicher, Kopfgeldjäger oder alte Frau, wenn er in die Welt jenseits des Sherwood Forest hinausgeht. Damit überschreite er unerkannt Grenzen. „Robins Identität besteht in räumlicher und sozialer Mobilität. Das setzt der Ständegesellschaft etwas Radikales entgegen, weil er Rollen annimmt, die sonst nur angeboren sind oder geerbt werden“, sagt die Wissenschaftlerin.
Neben der Maskerade hat der Meisterbogenschütze sich an einem charakteristischen Ort angesiedelt – dem Wald. Im Mittelalter war dieser rechtlich, sozial und ökonomisch ein komplexer Raum, zugleich aber auch mit mythischen Vorstellungen von einem undurchdringlichen Ort außerhalb der Gesellschaft verbunden. „Der Wald macht in seiner Urwüchsigkeit Robin Hood zum Vertreter von dessen Ordnung, die in der Natur sichtbar wird und die gegen die kulturell geschaffene zivilisatorische Ordnung steht“, sagt Judith Klinger. Robin tritt als alternativer König des Waldes auf – im Gegensatz zum echten Regenten, der per königlichem Forstrecht über den Wald der Wirklichkeit gebietet. Besonders ist, dass der „Greenwood“ als Gegenbild zur mittelalterlichen Realität als paradiesischer Ort des ewigen Sommers dargestellt wird. Das beschwerliche Leben als Outlaw und Außenseiter – beispielsweise im Winter – zeigten die Texte hingegen nicht.
Aber Robin Hood wäre nichts ohne seine Gefährten! Die eingefleischte Gemeinschaft der „merry men“ imponiert seinen Leser*innen durch Tugenden wie Treue und Loyalität. „Natürlich gibt es auch heftige Auseinandersetzungen. Aber sobald ein Konflikt von außen droht, raufen sie sich wieder zusammen“, sagt Judith Klinger. Mit jeder weiteren Geschichte um den Räuber kommen seine ebenso ikonischen Anhänger hinzu: Zunächst „Little John“, später „Much the Miller’s Son“ und „Friar Tuck“. Die Gefährten leben das Ideal einer gerechten Gemeinschaft außerhalb des Gesetzes, gängiger Hierarchien oder Verwandtschaftsordnungen. Ursprünglich war sie zugleich eine homosoziale Gemeinschaft, wie die Literaturwissenschaftlerin erzählt, denn „Maid Marian“ gehörte nicht von Beginn an zum Kernpersonal der Geschichten. Ihre Figur tauchte erst auf, als die Robin-Hood-Aufführungen bei den Mai-Spielen Einzug hielten. In den Geschichten um Robin ist sie eine Brückenfigur zur Mai- Königin der Spiele. „Interessant ist, dass Marian in den Theateraufführungen von Männern gespielt wurde. In einem Text des 17. Jahrhunderts, als sie das erste Mal auftritt, ist sie als Page verkleidet und damit an das homosoziale Muster angebunden“, so Judith Klinger.
Als Edelster unter den Räubern vereint Robin Hood einige Eigenschaften auf sich, die die Menschen in allen Zeiten anziehen. Weil das Gesetz nicht immer fair ist, nimmt er es selbst in die Hand und sorgt für Gerechtigkeit. Aber: „Dass Robin den Reichen nimmt und den Armen gibt, ist erst später zum Stoff hinzu- gekommen“, sagt die Germanistin. Und noch etwas hat sich erst im Laufe der Zeit entwickelt: Robin Hood war in den frühesten Texten noch nicht adlig. Erst Ende des 16. Jahrhunderts machte ihn Dramenautor Anthony Munday zum Edelmann. Laut Judith Klinger war dieser Wandel nicht verwunderlich, verkörperte die Figur doch viele adlige Werte. „Es war ein relativ kleiner Schritt, ihn zu einem Adligen zu erklären, dem Unrecht widerfahren ist und der sich vorübergehend in die Wälder zurückziehen muss. Das hat es in der Realität tatsächlich vielfach gegeben: Adlige, die aus welchen Gründen auch immer geächtet wurden, in die Wälder zogen und später wieder zurückkehrten.“
Gründe dafür, warum Robin Hood beliebt ist, gibt es viele. Aber wer war er und woher kam er? Einige Geschichtswissenschaftler*innen sind noch auf der Suche nach einem historischen Vorbild. Andere wiederum halten die Geschichten um ihn für reine Fiktion. Judith Klinger hingegen schlägt vor: „Wir sollten vielmehr die historischen Ereignisse und das Umfeld prüfen, um herauszufinden, was an den Geschichten den historischen Verhältnissen entspricht.“ Fakt ist: „Der frühe Robin Hood hat keinen belegbaren Ursprung.“ Er sei Stoff und erfülle Funktionen. Welche Bedeutung er für die begeisterten Robin-Hood- Anhänger*innen besitzt, ist eindeutig: Er fasziniert sie, und das seit Generationen.
Die Forschenden
PD Dr. Judith Klinger lehrt und forscht seit 1995 als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Germanistische Mediävistik des Instituts für Germanistik und habilitierte 2017 hier.
E-Mail: judith.klingeruuni-potsdampde
Zum Weiterlesen
Judith Klinger: Robin Hood: Auf der Suche nach einer Legende, Darmstadt 2015
Dieser Text erschien im Universitätsmagazin Portal Wissen - Eins 2024 „Bildung:digital“ (PDF).