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Von Potsdam nach Paris – Wie die Hochschulambulanz Spitzensport begleitet

Prof. Dr. Frank Mayer, Ärztlicher Direktor der Hochschulambulanz der Universität Potsdam.
PD Dr. Michael Cassel, Leitender Oberarzt der Hochschulambulanz der Universität Potsdam und Verbandsarzt des deutschen Kanuverbands.
Foto : Thomas Roese
Prof. Dr. Frank Mayer, Ärztlicher Direktor der Hochschulambulanz der Universität Potsdam. Foto: Thomas Roese
Foto : Thomas Roese
PD Dr. Michael Cassel, Leitender Oberarzt der Hochschulambulanz der Universität Potsdam und Verbandsarzt des deutschen Kanuverbands. Foto: Thomas Roese

Wenn am 26. Juli in Paris die 33. Olympischen Spiele starten, fahren mit dem Team Deutschland auch Athletinnen und Athleten über die Seine durch Paris, die in den vergangenen Monaten und Jahren immer mal wieder auf dem Campus Am Neuen Palais der Universität Potsdam vorbeigeschaut haben. Denn die hier ansässige Hochschulambulanz ist medizinisches Untersuchungszentrum für die Sportlerinnen und Sportler des Olympiastützpunktes Brandenburg – und betreut auch die brandenburgischen Sportschulen. Und es geht sogar ein Arzt der Ambulanz mit an Bord: PD Dr. Michael Cassel, der die deutschen Kanuten als Verbandsarzt begleitet. Matthias Zimmermann sprach mit dem Ärztlichen Direktor der Hochschulambulanz Prof. Dr. Frank Mayer und deren Oberarzt Michael Cassel über eine sinnvolle medizinische Betreuung für Nachwuchs und Spitzensport, den Wert eines guten Netzwerks und die Chancen des deutschen Kanu-Teams in Paris.

Die Hochschulambulanz der Universität Potsdam betreut Athleten in ganz Brandenburg – von den Sportschulen bis zum Olympiastützpunkt (OSP). Wie funktioniert das?
Mayer: Tatsächlich betreuen wir sowohl die Schülerinnen und Schüler der Sportschulen Brandenburgs als auch die Spitzenathletinnen und -athleten des Olympiastützpunktes im Land. Grundlage dafür ist die Zertifizierung der Hochschulambulanz als Medizinisches Untersuchungszentrum durch den Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB). 2008 hat der OSP beschlossen, die Sportmedizin in die Hände der Universität Potsdam zu legen. Damit sind wir zum einen zuständig für das Gesundheitsmonitoring, also vor allem die Jahresgrunduntersuchungen, zum anderen aber auch für die Akutbetreuung der Athletinnen und Athleten. Dasselbe gilt für die Sportschülerinnen und -schüler im Land, von denen alle einmal im Jahr zu einem Gesundheitscheck kommen und von verschiedenen lokalen Teams an den Trainingsstandorten betreut werden. Insgesamt sind das mehr als 1.250 Athletinnen und Athleten jährlich, von denen  rund 1.000 Schülerinnen und Schüler sind, der Rest Spitzenkader. Auf diese Weise sieht man alle Athletinnen und Athleten mindestens einmal pro Jahr und weiß, wer gesund ist, wer behandelt werden muss.

Welche Sportschulen im Land Brandenburg werden betreut?
Cassel: Potsdam, Cottbus, Frankfurt/Oder, Luckenwalde und Neustadt/Dosse.

Für manche Schülerinnen und Schüler ein weiter Weg bis nach Potsdam …
Mayer: Das stimmt. Alle kommen mindestens einmal im Jahr zu den Grunduntersuchungen hierher. Dafür bekommen sie aber, so hat es das Land Brandenburg festgelegt, dieselbe wie die SpitzenathletInnen.

Was umfasst diese Betreuung?
Cassel: Zur sportmedizinischen Betreuung und Versorgung zählen neben den Gesundheitsuntersuchungen auch die ärztliche Versorgung, Physiotherapie und Trainingstherapie sowie Ernährungsberatung und -versorgung.

Wie werden die Athletinnen und Athleten vor Ort betreut?
Mayer: Dafür haben wir lokale Teams und Partner an jedem Standort, mit denen wir zusammenarbeiten. Es gibt jeweils einen verantwortlichen Arzt, der die Betreuung mit uns abstimmt und koordiniert: durch weitere Ärzte, Physiotherapeuten, Ernährungsberater usw.

Und dieses Netzwerk wird von Potsdam aus koordiniert?
Cassel: Genau. Wir haben – aufbauend auf der DOSB-Konzeption – eine sogenannte Landesleitlinie für die sportmedizinische Betreuung entwickelt, an der sich die Standortteams orientieren, ansonsten aber relativ selbstständig arbeiten. Zusätzlich fahren wir alle sechs Wochen alle Standorte ab, tauschen uns über Anstehendes aus und gehen offene Fragen durch.

Und wie funktioniert die Betreuung der Leistungssportlerinnen und -sportler?
Mayer: Für jede Sportart gibt es einen sogenannten Bundesstützpunktleiter, mit dem wir uns alle vier Jahre – zum Beginn des olympischen Zyklus – zusammensetzen und abfragen, mit wem sie medizinisch zusammenarbeiten. Es gibt also für jede Sportart Disziplin eine zuständige Ärztin bzw. einen zuständigen Arzt bzw. zuständige Physiotherapeutinnen und -therapeuten. Wir nehmen dann mit den zuständigen Kolleginnen und Kollegen Kontakt auf und holen sie ins sogenannte Landesteam Sportmedizin, in dem die Abläufe und Inhalte besprochen werden.

Welche Sportarten gehören dazu?
Cassel: Alle, die wir im Land an den Eliteschulen bzw. dem OSP haben: Bobsport, Boxen, Fußball, Gerätturnen, Gewichtheben, Handball, Judo, Kanurennsport, Leichtathletik, Moderner Fünfkampf, Radsport, Ringen, Rudern, Schwimmen, Sportschießen, Trampolinturnen, Triathlon, Volleyball, Wasserball, und die paralympischen Disziplinen im Kanurennsport, Radsport, Schwimmen und Triathlon.

Gibt es in der Betreuung sportartspezifische Unterschiede?
Mayer: Medizinisch gesehen nein. Wir arbeiten daran, dass alle die maximale Versorgung bekommen. Natürlich sind die Beschwerdebilder zwischen den Disziplinen verschieden: In der Leichtathletik und den Ballsportarten sind häufig die Gelenke der unteren Extremität betroffen, während beim Kanu oder Rudern meist der untere Rücken Probleme macht. Die Analyse unserer Betreuung zeigt, dass die Überlastungsbeschwerden zunehmen – vor allem im Vergleich zu Verletzungen. Für  diesen Mehrwert der wissenschaftlichen Begleitung hat der Olympiastützpunkt uns die medizinische Betreuung übertragen. Wir ziehen daraus die nötigen Schlüsse, publizieren die Ergebnisse und setzen sie im Land direkt um.
In der täglichen Arbeit bestehen durchaus Unterschiede, was die Behandlung von Krankheiten und Verletzungen angeht. Dafür ist unser Team breit aufgestellt, u.a. mit Allgemeinmedizinern, Internisten, Kardiologen, Orthopäden und Chirurgen

Für die Spitzenathletinnen und -athleten wird es in wenigen Tagen ernst: Die Olympischen Spiele 2024 in Paris stehen an. Und Sie, Herr Cassel, sind dabei. Wie das?
Cassel: In der Verbandsbetreuung des Kanurennsports bin ich schon seit 2010 aktiv, ab 2016 als leitender Verbandsarzt. Bei einer Mannschaftsstärke von 18 Athletinnen und Athleten (sechs davon aus Potsdam!) reist auch der betreuende Arzt mit zu den Olympischen Spielen, um die medizinische Betreuung sicherzustellen. Ich hatte schon in Tokio das Glück dabei sein zu können.

Wie wurden Sie Verbandsarzt?
Cassel: Als Arzt der Hochschulambulanz bin ich bereits seit 2007 in der Betreuung der Sportschulen und des OSP Brandenburg tätig. Die – zusätzliche – Aufgabe als Verbandsarzt des Kanurennsports hat sich aus unserer engen Zusammenarbeit mit dem Olympiastützpunkt Potsdam ergeben. Für die Kanutinnen und Kanuten ist Potsdam der größte Stützpunkt in Deutschland und überdies auch für die trainingswissenschaftliche Diagnostik besonders wichtig, da es hier die einzige Gegenstromanlage Deutschlands für Kanurennboote gibt. Das bedeutet, dass alle Athletinnen und Athleten ein bis zweimal pro Jahr nach Potsdam kommen, um spezifisch getestet zu werden. Da ist es naheliegend, dass auch die medizinische Betreuung von hier aus koordiniert wird.

Was ist Ihre Aufgabe als Verbandsarzt?
Cassel: Ich muss alle Bundeskaderathletinnen und -athleten im Blick haben, ihre „Beschwerdebilder“ so frühzeitig wie möglich diagnostizieren, damit sie so wenig wie möglich ausfallen, sich nicht verletzen – und zugleich nur dann Sport treiben, wenn es gesundheitlich zulässig ist. Sollten sie aufgrund einer Erkrankung oder Verletzung pausieren müssen, ist unsere Aufgabe sie bestmöglich wieder an den Leistungssport heranzuführen. Kanutinnen und Kanuten fallen den Bewegungsapparat betreffend in etwa 80 bis 90% der Fälle aufgrund von orthopädischen Überlastungen aus. Beim Handball ist beispielsweise jeder zweite Ausfall hingegen einer Verletzung zuzuschreiben. Das muss man berücksichtigen und entsprechend auch präventiv tätig werden. Auf der anderen Seite sind besonders für die Kanutinnen und Kanuten die banalen Infekte ein Problem – zum einen, weil sie zu jeder Jahreszeit raus aufs Wasser müssen, zum anderen ist die Anfälligkeit für Infekte durch das häufig hohe Trainingspensum gegeben. Um Folgeprobleme wie Herzmuskelentzündungen zu vermeiden, müssen wir wachsam sein und wenn nötig die Reißleine ziehen.

Aber nicht alle AthletInnen des Verbandes trainieren in Potsdam …
Cassel: Genau. Es gibt knapp 100 Bundeskaderathletinnen und -athleten, fast alle verteilt auf die sieben Bundesstützpunkte Berlin, Essen, Karlsruhe, Magdeburg, Neubrandenburg, Potsdam und Leipzig, von denen rund 40 in Potsdam/Berlin sind. Die anderen betreue ich in Abstimmung mit Medizinerinnen und Medizinern an den anderen Standorten. Außerdem bin ich regelmäßig in Trainingslagern und bei Wettkämpfen vor Ort, durchschnittlich bei etwa sechs bis acht Maßnahmen im Jahr. Sei es ein Trainingslager im brandenburgischen Kienbaum oder eine Regatta in Duisburg am Wochenende. Dort können wir dann viele medizinische Fragen klären. Diese Termine sind auch wichtig, um einen persönlichen Draht zu den AthletInnen aufzubauen. Wer den betreuenden Arzt nicht oder kaum kennt, wird auch wenig Vertrauen zu ihm haben.

Stichwort Vertrauen: Steigen Sie auch selbst ins Boot?
Cassel: In ein breiteres „Wanderkanu“ kann ich mich schon setzen, ohne zu kentern. Aber die Rennkanus sind so schnittig konstruiert und so schwer zu fahren, dass nur wenige Menschen, die das nicht als Kinder oder Jugendliche gelernt haben, die nötige Rumpfstabilisierung aufbringen. Da hab ich keine Chance. Aber das tut dem Zugang zu den Athleten glücklicherweise keinen Abbruch.

Was macht der Verbandsarzt bei den Olympischen Spielen in Paris?
Cassel: Grundsätzlich ständig wachsam sein. Man muss seine AthletInnen kennen. Natürlich auf Anzeichen von Infekten oder Überlastung schauen, um dafür sorgen zu können, dass sie zum Wettkampfhöhepunkt topfit sind. Gleichzeitig bin ich Ansprechpartner zu jeder Zeit, wenn irgendwo was klemmt. Neben uns Verbandsärztinnen und -ärzten sowie den Physiotherapeutinnen und -therapeuten ist nur wenig medizinisches Fachpersonal dabei. Da steht man schon die ganze Zeit ein wenig unter Strom. Aber das macht es ja auch aus.

Zum Schluss ein kleiner Blick auf die sportliche Perspektive. Wie schätzen Sie denn die Chancen der deutschen Kanuten und Kanutinnen ein?
Cassel: Ich würde sagen, dass wir – wie in den vergangenen Jahrzehnten immer – mit Erwartungen hinreisen, von denen nicht wenige von außen kommen. Immerhin ist der deutsche Kanuverband bislang traditionell einer der erfolgreichsten Mannschaftsteile der deutschen Olympiamannschaft. Auch in diesem Jahr zählen wir in manchen Disziplingruppen zu den Favoriten. Kanurennsport wird mittlerweile aber in sehr vielen Ländern professionell betrieben, was dazu geführt hat, dass die internationale Leistungsdichte sehr hoch geworden. Die Boote kommen mit Abständen zueinander ins Ziel, die teils denen von Sprintdisziplinen in der Leichtathletik entsprechen – und das bei Rennen über 200 bis 1.000 Meter! Deshalb will ich keine Prognosen über Medaillen abgeben, sondern sagen: Wir sind gut aufgestellt und es ist großes Potenzial in dieser Truppe! Ich freue mich für jeden, der dort seine Bestleistung erreichen kann und damit vielleicht sogar die erhoffte Medaille schafft. Für mich steht im Vordergrund, dass sie alle gesund sind.

Mehr zur Hochschulambulanz der Universität Potsdam:
www.uni-potsdam.de/de/sportmedizin/

Mehr zum Kanurennsport bei den Olympischen Spielen in Paris:
www.kanu.de/OLYMPIA/Kanu-Rennsport-52144.html

Text: Matthias Zimmermann / matthias.zimmermann@uni-potsdam.de