Klar ist: Die Digitalisierung des Klassenzimmers ist kein Allheilmittel und mit KI wird Unterricht nicht neu erfunden. „Diese können und sollen die Lehrer keineswegs ersetzen, sondern sie unterstützen“, erklärt Prof. Dr. Rebecca Lazarides. „Es ist auch längst klar, dass Lernende von digitalen Hilfsmitteln kaum profitieren, wenn sie stundenlang allein davorsitzen. Sie sollten den normalen Unterricht sinnvoll begleiten.“ Die Bildungswissenschaftlerin forscht zu sogenannten Intelligenten Assistenzsystemen, kurz ITS. Diese könnten den Lehrerinnen und Lehrern helfen, der Heterogenität ihrer Klassen noch besser gerecht zu werden. Beim individuellen Lernen klappt das schon: So gebe es bereits Programme, die beispielsweise bei Aufgabenserien, die am Tablet abgearbeitet werden, erkennen, wann ein Schüler Hilfe braucht – und dann Tipps geben. Aber die ITS können noch mehr, sind die Forschenden überzeugt. Gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen vom Berliner Exzellenzcluster „Science of Intelligence“ hat Rebecca Lazarides 2019 gleich mehrere Projekte auf den Weg gebracht, um das Potenzial der digitalen Helfer besser auszuschöpfen. Konkret haben sie untersucht, wie sich ITS so weiterentwickeln lassen, dass sie auch die Motivation und die emotionale Entwicklung von Lernenden befördern. „Wenn jemand im Unterricht gelangweilt ist, hilft ein ITS, das vor allem kognitiv aktivieren soll, wenig“, so die Forscherin. „Uns hat interessiert, ob und wie sich das auffangen lässt.“ In mehreren Versuchsreihen mit Schulklassen sind sie diesem Problem nachgegangen – mit Erfolg. „Viele können wir gut abholen und motivieren, wenn wir bei der Gestaltung der ITS nicht nur auf die Steigerung der Leistung setzen“, so die Forscherin. „Leistungsstarken hilft es, sich nicht zu langweilen.“ Das Projekt hat aber auch gezeigt: Es profitieren nicht alle gleichermaßen von solchen Systemen. Doch Rebecca Lazarides ist zuversichtlich, dass weitere Forschung dazu beitragen kann, dass alle etwas vom Einsatz der ITS haben. Inzwischen sind Anschlussprojekte angeschoben, etwa zu der Frage, ob es besser ist, wenn ein Lernroboter sich den Lernenden direkt zuwendet. Ein anderes Projekt untersucht, wie ITS beim Sprachenlernen am besten unterstützen können. Außerdem machen sich Rebecca Lazarides und ihr Team – mit den überzeugenden Ergebnissen im Rücken – daran, die Assistenzsysteme in die Schulen zu tragen. „Wir gehen direkt auf Schulleitungen und Lehrkräfte zu, zeigen ihnen in Workshops, wie man KI in Form von ITS im Unterricht gut einsetzen kann“, so die Forscherin. „Was sie davon dann nutzen, müssen sie selbst entscheiden.“ Und ChatGPT & Co.? Rebecca Lazarides empfiehlt Lehrerinnen und Lehrern, sich ihnen nicht zu verwehren. „Die Kinder nutzen sie zu Hause sowieso. Wer sie im Unterricht einsetzt, kann den Kindern helfen, die nötigen Kompetenzen zu entwickeln, um mit ihnen klug zu arbeiten.“
Die Forscherin
Prof. Dr. Rebecca Lazarides ist seit 2021 Professorin für Schulpädagogik/Empirische Unterrichtsforschung an der Universität Potsdam.
E-Mail: rebecca.lazaridesuuni-potsdampde
Zum Weiterlesen
Veröffentlichungen der Arbeitsgruppe zu Intelligenten Tutorsystemen: Prof. Rebecca Lazarides, Dr. Johann Chevalère, Artificial intelligence and education: Addressing the variability in learners’ emotion and motivation with adaptive teaching assistants, Bildung und Erziehung, Vol. 74, No. 3, 2021, https://doi.org/10.13109/buer.2021.74.3.264
Johann Chevalère et. al., Do instructional strategies considering activity emotions reduce students’ boredom in a computerized open-ended learning environment?, Computers & Education, Volume 196, April 2023, https://doi.org/10.1016/j.compedu.2023.104741
Wie das Projekt begann: https://www.uni-potsdam.de/de/nachrichten/detail/2020-06-09-lernen-mit-gutem-gefuehl-die-bildungswissenschaftlerin-rebecca-lazarides-will-roboter-zu
Dieser Text erschien im Universitätsmagazin Portal Wissen - Eins 2024 „Bildung:digital“ (PDF).