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Auf dem Weg zum Doktortitel – Terrorismus und Geschlechterfragen

Am Ground Zero, dem ehemaligen Standort des World Trade Centers
Foto : Public Domain
Am Ground Zero, dem ehemaligen Standort des World Trade Centers

Spätestens seit den Anschlägen auf das World Trade Center am 11. September 2001 beschäftigen sich die Vereinten Nationen (UN) intensiv mit der Bekämpfung und der Prävention von Terror. Als die Politikwissenschaftlerin Ann-Kathrin Rothermel nach ihrem Master ein Praktikum beim UN Secretariat in New York absolvierte, fiel ihr auf, dass in den Reden und Berichten zu Terrorismus immer wieder über Geschlechterfragen diskutiert wurde. Sie fragte sich, wie Gender und politische Gewalt zusammenhängen, und entschied sich für eine Promotion zu dieser Frage.

Jihadistische Gruppen wie ISIS oder Al-Qaida und rassistisch motivierte Anschläge wie in Christchurch, Halle oder Utoya – was diese Extremismen gemeinsam haben, ist, dass sie auf starren Genderrollen beharren. Dieser Zusammenhang zwischen Gender und Extremismus ist auch bei den UN in den vergangenen Jahren immer mehr in Vordergrund gerückt und hat zu einer Vielzahl an Projekten und Resolutionen geführt, in denen Geschlechtergerechtigkeit mit Extremismusprävention in Verbindung gebracht wird. Hier setzte Ann-Kathrin Rothermel an: Fast 500 Dokumente der UN aus den Jahren 2006 bis 2021 untersuchte sie, um herauszufinden, wie Frauen und Gender im Kontext der Extremismusprävention konstruiert würden. Dafür arbeitete sie sich in ein ganz neues Feld ein: die Diskursanalyse mittels Natural-Language Processing. Sie absolvierte Kurse in Data Science und schrieb einen Algorithmus, mit dessen Hilfe sie Wörter wie „Gender“ oder „Frauen“ in ihrem jeweiligen semantischen Kontext erfassen konnte. In ihrer Datenanalyse fand sie heraus, dass Geschlecht in den drei UN-Säulen „Frieden und Sicherheit“, „Nachhaltige Entwicklung“ sowie „Menschenrechte und Humanitarismus“ im Kontext von Terror unterschiedlich aufgegriffen wird.

Der Sicherheitsdiskurs konzentriere sich auf Frauen als besonders vulnerable Gruppe. Wenn terroristische Gruppen die Macht ergreifen, seien sie besonders perfider Gewalt ausgesetzt. Laut Rothermel arbeitet der Diskurs stark mit Stereotypen – er geht davon aus, dass Frauen generell friedfertiger seien und es mehr „weibliche Friedensstifterinnen“ brauche. Der Entwicklungsdiskurs dagegen betrachtet Frauen als „unerschlossene Ressource“: Unternehmerinnen könnten die wirtschaftliche Entwicklung ihres Landes voranbringen, was das Risiko von Terror dezimiere. Auch als Müttern wird ihnen eine (zu) große Verantwortung zugesprochen, da sie angeblich einer Radikalisierung in ihren Familien entgegenwirken könnten. Der dritte Diskurs wiederum geht davon aus, dass der Schutz von Menschenrechten immer auch Frauen zugutekomme, da ihre Menschenrechte besonders durch terroristische und antiterroristische Gewalt gefährdet sind. Das Fazit der Politikwissenschaftlerin lautet, dass die unterschiedlichen Säulen der UN bei der Verbindung von Gender und Extremismus häufig nicht mitgedacht werden, sondern ein einheitlicher Gender-Begriff angenommen wird. Dabei werde außer Acht gelassen, dass die unterschiedlichen Annahmen über Frauen, Weiblichkeit und Männlichkeit zu gegensätzlichen Handlungsempfehlungen führen können. Um die Vielfältigkeit der Verknüpfung von Gender und Extremismus zu beleuchten, sei es daher wichtig, die unterschiedlichen in den UN institutionalisierten Diskurse zu Gender bewusster einzubeziehen.

Die Forscherin

Ann-Kathrin Rothermel promoviert bei Prof. Dr. Andrea Liese an der Universität Potsdam zum Thema „Gender and the governance of terrorism and violent extremism“. Inzwischen forscht Rothermel außerdem an der Universität Bern zur Antigendermobilisierung von rechten Parteien in Europa.
E-Mail: arothermuni-potsdamde

 

Dieser Text erschien im Universitätsmagazin Portal Wissen - Eins 2024 „Bildung:digital“ (PDF).