Was zeichnet die Neue Rechte aus?
„Neue Rechte“ hat sich als Sammelbezeichnung für eine Modernisierungsbewegung der äußersten Rechten eingebürgert, die in den 1960er Jahren begann. Nach der Niederlage des Nationalsozialismus wollte man im Hinblick auf Ansprache und Taktik neue Wege gehen. Die Köpfe wandten sich von einer allein auf Parteien fokussierten Strategie ab und füllten den Begriff des Konservatismus neu: So ist für die meisten Anhängerinnen und Anhänger der Neuen Rechten der Nationalismus ein wichtiger Bestandteil. Sie richten sich gegen die „Westernisierung“ Deutschlands, denn sie gehen davon aus, dass das Nationalbewusstsein durch eine „Charakterwäsche“ der USA zerstört werde. Die Neue Rechte will Demokratisierungs- und Liberalisierungsprozesse bremsen und rückgängig machen. Das heißt, sie verteidigt Ungleichheit und legitimiert Rassismus oder Sexismus. Und das macht sie vielen Leuten schmackhaft.
Die Mehrheit der Neuen Rechten ist rechtsintellektuell und arbeitet in einer demokratischen Öffentlichkeit gegen diese. Teilweise spielen aber auch militante Gruppen eine Rolle, die durchaus politische Gewalt befürworten und unterstützen. Dennoch sind Neue Rechte in der Regel nicht diejenigen, die gewalttätig werden. Sie kümmern sich vielmehr um die Bewusstseinsarbeit – denn es braucht Kader, die Begriffe prägen und eine Ideologie so framen, dass sich damit Akzeptanz gewinnen lässt.
In Ihrer Dissertation geht es um das Verhältnis der Neuen Rechten zum Islam. Wie haben Sie das erforscht?
In meiner Dissertation befasse ich mich mit der zwischen 1970 und 2005 erschienen Zeitschrift „Criticón“. Die Zeitschrift bezeichnete sich selbst als konservativ, versammelte dabei teilweise extrem rechte Stimmen. Ich untersuche Beiträge über den Islam und Länder, die muslimisch geprägt sind oder in Deutschland so wahrgenommen werden. Dabei schaue ich mir die jeweiligen Positionen, aber auch das größere ideologische Konzept an, in das die Artikel eingeflochten waren. Deswegen habe ich auch zu den prägenden Figuren recherchiert, die die Zeitschrift 1970 gründeten: Caspar von Schrenck-Notzing und Armin Mohler. In der neurechten „Bibliothek des Konservatismus“ in der Berliner Fasanenstraße stellte man mir Teile des Nachlasses von Casper von Schrenck-Notzing zur Verfügung. Er kam aus einer Münchner Patrizier-Familie und war im Grunde Privatier mit einem schönen Haus am Starnberger See. Im Literaturarchiv Marbach erfuhr ich mehr über Armin Mohler, Hauptvertreter der Neuen Rechten, der 1950 zur sogenannten „Konservativen Revolution“ in der Weimarer Republik promoviert hatte und zeitweise Berater und Redenschreiber des CSU-Politikers Franz Josef Strauß war.
Was haben Sie herausgefunden – welches Verhältnis zum Islam zeichnet sich in „Criticón“ ab?
Im Grunde wurde hier die Frage nationaler Identität nach 1945 mitverhandelt. Dabei habe ich verschiedene Konjunkturen im Sprechen über den Islam ausgemacht. In den 1970er Jahren herrschte unter den Neuen Rechten die Idee vor, Deutschland werde kolonialisiert und beherrscht. Die Neue Rechte positionierte sich zwischen Ost und West, war dabei aber sehr ambivalent. In dieser Wahrnehmung zeigten autoritäre Staaten wie der Iran Modelle eines dritten Weges auf. Bis heute gibt es im Hinblick auf den Iran sehr unterschiedliche Positionen.
In den 1990er Jahren begann zudem Migration eine große Rolle in der Auseinandersetzung mit dem Islam zu spielen. Damals wurde die Migration aus Südwestasien zunehmend als muslimisch wahrgenommen. Hier zeigt sich eine große Ambivalenz, die typisch für die Neue Rechte ist: Einerseits hieß es, der ursprüngliche Charakter des deutschen Volkes gehe nun verloren. Andererseits hielt man viele Einwanderer für viel „identitätsstärker“ als die Bundesdeutschen. Es lässt sich also eine Mischung aus Ablehnung und Bewunderung beobachten. Erst in den frühen 2000er Jahren entstand eine klar antimuslimische Position. Rassismus gegen Einwanderinnen und Einwanderer gab es natürlich schon vorher, er war bis dahin aber kaum antiislamisch gelabelt gewesen.
Wie blickt die Neue Rechte heute auf den Islam?
Viele Rechte sagen, sie hätten kein Problem mit dem Islam, solange er woanders stattfinde. Geprägt ist dieses Verständnis von den historischen Bündnissen und militärischen Kooperationen zwischen Berlin und dem Osmanischen Reich seit dem 18. Jahrhundert. Die Nationalsozialisten machten proislamische Propaganda und kollaborierten mit bekannten muslimischen Politikern. Der Islam galt als Bündnispartner gegen den Westalliierten, die Sowjetunion, das Judentum und den Zionismus.
In rechtsintellektuellen Zirkeln gibt es deswegen heute Menschen, die sagen, gläubige Muslime seien ihnen näher als viele Deutsche. Einige gehen noch weiter: Sie meinen, dass man sich mit muslimischen Migrantinnen und Migranten arrangieren müsse, da diese das Land nicht mehr verlassen würden. Hier verbindet sich eine geopolitische Perspektive, wonach islamische Regimes und konservative islamische Länder Partner sein können, mit einer innerpolitischen: Einwanderer und Einheimische sollen nebeneinander existieren, sich aber nicht mischen. Ideologisch zeigen sich hier auch Verbindungen zur zweitgrößten rechtsextremen Organisation in Deutschland, den „Grauen Wölfen“. Diese Organisation wurde 1968 in der Türkei gegründet und von Franz Josef Strauß beim Aufbau in der Bundesrepublik unterstützt. Das „neue deutsche Volk“ könnte für manche auch autoritäre Muslime einschließen. So sieht es der rechtsextreme Autor Frederic Höfer in seinem gleichnamigen Buch „Feindbild Islam als Sackgasse“, das innerhalb der Neuen Rechten die Islamkontroverse befeuert hat.
Außenpolitisch gibt es noch weniger Berührungsängste: Der AfD-Kandidat für das Europäische Parlament Maximilian Krah freute sich darüber, dass die Taliban kurz nach dem Pride Month Afghanistan zurückeroberten und ein brutales Regime errichteten. Die AfD pflegt Kontakte zum Assad-Regime und zur Islamischen Republik Iran, die für die Flüchtlingsströme nach Europa mitverantwortlich sind. Inhaltlich gibt es Schnittmengen im Nationalismus, Antifeminismus und Antisemitismus. Das Proisraelische, das die Partei vor sich herträgt, schleift sich dann hier und da ab.
Es gibt einen Streit um den Umgang mit dem Islam. Aber Neue Rechte wollen sich immer vom liberalen Mainstream distanzieren. Sie wollen keinesfalls auf der Seite der LGBTQ+-Community stehen und den Islam im Namen liberaler Werte kritisieren.
Wie nah sind sich AfD und Neue Rechte?
Sie sind nicht identisch, aber die personellen und intellektuellen Beziehungen sind eng. Knotenpunkte der Neuen Rechten sind die Zeitschrift „Sezession“, die Zeitung „Junge Freiheit“, die Bibliothek des Konservatismus sowie das vor Kurzem aufgelöste Institut für Staatspolitik. Und sie alle sind gleichzeitig die Denkfabriken und Diskussionsforen der AfD geworden. Die Partei ist von der Neuen Rechten mit Ideen und Personal versorgt werden. Viele, die im Institut für Staatspolitik Seminare organisiert oder besucht haben, arbeiten heute für die AfD im Bundestag. Lange Zeit werkelten die Neuen Rechten eher am Rand vor sich hin, aber mit einem finanzstarken Parteiapparat können sie ihre Ideen zu Politik machen. Auch eine Regierungsbeteiligung ist in Reichweite – aus einer politischen Subkultur ist ein Teil der politischen Kultur geworden.
Viele Menschen haben dieses Jahr zum ersten Mal von dem Begriff „Remigration“ gehört. Können Sie ihn einordnen?
„Der große Austausch“ ist ein zentrales Narrativ der Neuen Rechten und der AfD. Dieser Migrationsverschwörungstheorie zufolge soll die weiße Bevölkerung in Europa ausgetauscht werden. Liberale Eliten – das „Regenbogenimperium“ – lenken demnach Migrationsströme in die EU und ersetzen die ursprüngliche Bevölkerung. Die Wendung geht auf den französischen Autoren Renaud Camus zurück, Vordenker der Identitären Bewegung. „Remigration“ ist die gewaltsame Antwort auf diesen vermeintlichen Austausch. Dabei heißt es aus rechten Kreisen oftmals: „Wir sind für Differenz und kulturelle Vielfalt, aber zwischen den Nationen und nicht innerhalb eines Landes.“ Vielmehr ginge es ihnen um „Ethnopluralismus“, was nach friedlichem Multikulturalismus klingt, aber ein Code für globale Apartheid und rassistische Massenvertreibung ist. Demokratisch denkende Menschen müssen sich angesichts solcher Diskurs-Piraterien fragen, ob ihre Begrifflichkeiten scharf genug sind. Konzepte wie Pluralismus und Diversität sind leicht von rechts zu kapern.
Was ist von den Neuen Rechten in Zukunft zu erwarten?
Eine Menge Schaden auf Kosten anderer. Es ist möglich, dass die AfD und die Neue Rechte weiterhin die in Potsdam diskutierte Maximalstrategie der ethnischen Säuberung verfolgt. Möglich ist auch, dass das rechte Lager verstärkt auf rechte postmigrantische Milieus zugeht, darunter konservative und rechtsnationalistische Muslime. Denkbar ist außerdem eine weitere Annäherung an den Iran, Russland und China. Das noch vor einigen Jahren beschworene christliche „Abendland“ wird wohl eher keine zentrale Rolle spielen: Die meisten Neuen Rechten wissen, dass man eine deutsche nationalistische Gemeinschaft nicht allein auf dem Christentum aufbauen kann.
Was glauben Sie persönlich: Welche Gründe hat das Erstarken der Rechten in den vergangenen Jahren?
Viele Menschen arbeiten acht Stunden am Tag, können über ihre Arbeitskonditionen nicht mitbestimmen und erleben sich als ohnmächtig gegenüber den Bedingungen, in denen sie leben. Sie machen die Erfahrung, in vielen Bereichen nichts ändern zu können. Für manche von ihnen ist es eine Lösung, als Teil des deutschen Volkes symbolisch an Macht teilzuhaben. Das scheint vielen Menschen offensichtlich einfacher, als für bessere Arbeits- und Lebensbedingungen zu kämpfen. Natürlich wird die Mehrheit derer, die solche Ohnmachtserfahrungen machen, nicht rechtsextrem. Aber sie sind aus meiner Sicht eine Bedingung dafür. Und es muss Menschen geben, die ihnen solche ideologischen Angebote machen. Es ist wichtig zu verstehen, dass unsere Demokratie sehr ausbaufähig ist. Wer erfährt Demokratie im Alltag? Für wen lohnt sich liberale Demokratie?
Nun zu etwas Erfreulichem: Sie führen mit der Theaterwissenschaftlerin Lara Wenzel ein Stück über Benjamin Blümchen auf – witzig! Gibt es Verbindungen zu Ihrem Forschungsthema?
Benjamin Blümchen ist Ende der 1970er Jahre als ökologische Figur aufgetreten, die sich über den Unsinn der Erwachsenen lustig gemacht hat. Er ist für seine Dickköpfigkeit und Sturheit bekannt. Wir wollten ihn in eine Situation bringen, aus der er nicht so leicht herauskommt wie sonst: Die Belegschaft im Zoo ist mit den Arbeitsbedingungen unzufrieden. Sie wollen den Zoo vergesellschaften, sodass er in den Händen der Mitarbeiter*innen liegt. Als es zum Streik kommt, schlägt Benjamin Blümchen eine Bürgerabstimmung über die Kommunalisierung vor, sodass der Zoo der Stadt Neustadt gehören würde. Die Mehrheit will die Enteignung, aber die Politik – allen voran der Bürgermeister– verschleppt das Ganze. Die Pointe: Eine Reform von unten ist zwar rechtlich möglich, aber in der Praxis nicht realisierbar. Womit wir wieder bei der Ohnmacht in der liberalen Demokratie sind.
Inzwischen sind wir mit dem Stück schon einige Male aufgetreten. Das Schöne ist, dass diese Art Auftritt nichts mit der Arbeit eines seriösen Wissenschaftlers zu tun hat. Und zugleich kann ich auf diesem Wege mit dem Publikum ernsthaft über Politik diskutieren.
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Matheus Hagedorny
studierte Philosophie, Neuere Geschichte, Verfassungs-, Sozial und Wirtschaftsgeschichte in Bonn. In seiner Magisterarbeit ging es um den Staats- und Verfassungsrechtler Carl Schmitt, dessen antidemokratisches und antisemitisches Denken die Neue Rechte stark beeinflusst. 2019 schrieb er ein viel beachtetes Buch über den kommunistischen Widerstandskämpfer Georg Elser. Auch als Journalist, etwa für die Wochenzeitung „Jungle World“, setzt sich Hagedorny mit der Neuen Rechten auseinander. Als die AfD ab 2016 Wahlerfolg um Wahlerfolg feierte, sich zunehmend radikalisierte und als Rechtsaußenpartei etablierte, hielt er zudem Vorträge über diese politische Bewegung. Daraus entwickelte sich sein Promotionsthema „Islambilder der Neuen Rechten in der Bundesrepublik“ beim Rechtsextremismus-Experten Prof. Dr. Gideon Botsch vom Moses Mendelssohn Zentrum für europäisch-jüdische Studien an der Universität Potsdam und Prof. Dr. Lars Rensmann von der Universität Passau. Matheus Hagedorny erhielt Stipendien von der Hans-Böckler-Stiftung und der Graduiertenförderung des Landes Brandenburg.