Starten wir an der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät. Ulrike Lucke, Sie sind Professorin für Komplexe Multimediale Anwendungsarchitekturen. Welchen Stellenwert hat Open Science in Ihrem Bereich?
Ulrike Lucke: Ganz klar einen großen. Gerade läuft eine Umfrage zum Thema Open Science an der Fakultät. Darin können wir eine sehr positive Haltung unserer Forschenden gegenüber Open Science feststellen. Die sonst häufig genannten Barrieren wie Datenschutz werden bei uns selten als dominant wahrgenommen. Vielmehr wird die gesellschaftliche Bedeutung gesehen. Es gibt allerdings leichte Unterschiede zwischen den Fächern. Die Fakultät ist groß. Was man deutlich sieht, dass in der Mathematik der Bezug zu Daten- und Softwaremanagement nicht so ausgeprägt ist wie in den anderen naturwissenschaftlichen Fächern.
Gab es bei Ihnen einen Schlüsselmoment für Open Science?
Lucke: Ja, einen solchen Moment gab es, er schwappte aus dem Bildungsbereich rüber. Als ich gemerkt habe, dass die Werkzeuge, die wir für offene Bildung brauchen, am Ende die gleichen sind wie für Open Science – da wurde ein Schalter im Kopf umgelegt.
Professorin Annette Gerstenberg, wie bewerten Sie als Romanistin den Stellenwert von Open Science in der Philosophischen Fakultät?
Annette Gerstenberg: In der Fakultät sind wir inzwischen vor allem im Bereich „Open Citizenship“ sehr gut aufgestellt, durch zahlreiche Projekte, die im Netzwerk Digitale Geisteswissenschaften verbunden sind, und wir engagieren uns auch in der Lehre. Tatsächlich denke ich, dass früh für das komplexe Thema sensibilisiert werden muss. Wenn ich meine Forschungsdaten transparent darstellen möchte, ohne dass ich eine Autorisierung dafür habe, geht das nicht. Auch Skripte und Annotationen sollten breiter publiziert und dann als Forschungsleisten anerkannt werden. Das gilt es zu vermitteln, hier haben wir noch viel zu tun.
Professor Martin Fischer, wie verbreitet ist Open Science an der Humanwissenschaftlichen Fakultät?
Martin Fischer: In den Kognitionswissenschaften hat sich eine lange Tradition erstklassiger Forschung etabliert, in der die Open-Science-Praktiken früh aufgenommen wurden. Workshops und Projekte haben die Kenntnisse inzwischen verfestigt. Insofern sehe ich meine Aufgabe weniger darin, für Open Science zu werben. Vielmehr suche ich nach Verstärkung und habe drei Kolleginnen gefunden, die mir als „Dinosaurier“ vielleicht noch Dinge beibringen können. In der Ausbildung der Studierenden sind viele Praktiken verankert, so lernen sie in der Psychologie z. B. Experimente zu planen. Sie müssen Hypothesen formulieren und festlegen. Das heißt heute „preregistration“, ist aber in unseren Fächern schon lange geübte Praxis.
Dr. Felix Rebitschek arbeitet an der Fakultät für Gesundheitswissenschaften bzw. am Potsdamer Harding-Zentrum für Risikokompetenz. Wie nutzen Sie Open Science und wo wäre noch mehr möglich?
Felix Rebitschek: Keine ganz einfache Frage, weil unsere Fakultät in stetiger Veränderung ist und vor allem so viele verschiedene Disziplinen unter einem Dach vereint. Wir haben Forschende der Ethik, der Molekularbiologie, aber auch der Psychologie und der Public Health. Die Open-Access-Praxis variiert daher. Open Access wird in vier von fünf Fällen praktiziert, legt man die Publikationsdatenbank der FGW zugrunde. Open Data hingegen ist hiernach noch nicht so verbreitet. Ein Grund liegt darin, dass die Daten auf- und vorbereitet werden müssen, damit auch andere sie nutzen können. Wie viel Aufwand nimmt die Forscherin bzw. der Forscher in Kauf, um die Metadaten für Externe verständlich bereit zu halten? An der Stelle bleibe ich zurückhaltend. Das veranlasst mich auch zu der Frage, ob wir in Open Science nicht mehr Leitfäden bräuchten, um den Forschenden eine Orientierung zu bieten? Zum Beispiel bei der Frage danach, für welches der vielen Repositorien sich zu entscheiden lohnt. Auch die frühzeitige Transparenz der geplanten Forschungsmethoden ist bei uns noch nicht so gegeben, wie es wünschenswert wäre. Hier könnten Guidelines ebenfalls helfen, wie Doktorandinnen und Doktoranden disziplin- und methoden-spezifisch bis zu welcher Tiefe, ihre Hypothesen, Analysen präregistrieren?
Leitfäden sowie Unterstützung bei der Aufbereitung von Daten wurden genannt, um Open Science weiter zu entwickeln. Wie kann die Universität Potsdam dabei noch unterstützen?
Lucke: Guidance ist ein gutes Stichwort. Wir haben in dem Workshop gesehen, dass es in der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät zwei große Hemmnisse gibt, die Forschende davon abhalten, ihre Daten zu veröffentlichen: Das eine ist schlicht die Zeit. Es macht großen Aufwand, die Daten so aufzubereiten, dass sie für andere lesbar, verständlich und benutzbar sind. Deswegen ist es prima, dass wir schon zentrale Support-Strukturen an der Universität Potsdam haben. Damit auch Forschende in frühen Karrierephasen Unterstützung finden, sollten Beratung und Support ausgebaut werden. Nach dem Motto: Ich darf mir da helfen lassen, ich muss nicht alles selber machen. Die zweite Barriere, die wir in der Umfrage identifiziert haben, ist die große Sorge davor, dass die Daten, die veröffentlicht werden, fehlinterpretiert oder zu anderen Zwecken missbraucht werden. Ich denke, hier müssen wir deutlich mehr investieren, um die Daten mit passenden Nutzungsbedingungen zu versehen.
Gerstenberg: Das finde ich auch einen wichtigen Punkt – bestimmte Zugangsbeschränkungen zu unterscheiden. Wir haben eine Ethikkommission an der Universität, die schon bei Masterarbeiten relevant wird. So entsteht ein richtiges Nadelöhr. Hier würde ich mir Vorlagen oder modularisierte Elemente wünschen, um diese Prüfungen zu automatisieren und zu beschleunigen. Insgesamt helfen Standards dabei, Workflows und Prozesse flüssiger zu gestalten und alle Beteiligten zu entlasten.
Gibt es schon jetzt Anreize, um diese Prozesse und Workflows zu optimieren?
Peter Kostädt: Bei großen Sonderforschungsbereichen haben wir den Vorteil, dass zusätzliche, drittmittelfinanzierte Stellen z. B. für das Forschungsdatenmanagement eingeworben werden können, die die genannten Aufgaben übernehmen. Das können Bibliothek und ZIM als Service- und Infrastrukturanbieter nicht leisten, weil der fachspezifische Hintergrund fehlt. Natürlich muss auf den verschiedenen Ebenen weiter Kompetenz aufgebaut werden, in der Zentrale wie auch in den Fakultäten.
Rebitschek: An der Fakultät für Gesundheitswissenschaften haben wir eine Fülle von Drittmittelprojekten, die jeweils in der Förderung deutlich unter einer Million Euro liegen. Zusätzliche Stellen zur Unterstützung von Open Science werden also aus den Projekten im Regelfall nicht finanziert. Aber auch wir benötigen einen ordnungsgemäßen Rahmen für Open Science.
Lucke: Die Publikationen und Zitationen bieten die Anreizstruktur schlechthin - das kann gar nicht oft genug gesagt werden. Publikationen mit offen hinterlegten Daten werden viel häufiger zitiert, sind statistisch ein signifikanter „boost“ – da frage ich mich, warum das nicht jeder macht.
Wo stehen wir mit Open Science in fünf Jahren?
Lucke: Alle Masterabsolventinnen und -absolventen der Uni haben Know-How im Forschungsdaten- und Softwaremanagement. Alle Ph.Ds machen selbstverständlich Pläne für das Management ihrer Daten und Software, damit am Ende auch dafür genug Zeit dafür ist. Und alle PIs werben in ihren Projekten die Mittel dafür ein, die nötig sind, damit Studierende und Ph.Ds auch das Forschungsdatenmanagement mit berücksichtigen können.
Fischer: Ich könnte noch dazu wünschen, dass die ganzen Formulare dazu erst einmal auf Englisch geschrieben werden. Das erleichtert auch die internationalen Kooperationen mit anderen Universitäten.
Gerstenberg: Forschungsdaten sind mehrsprachig und in unterschiedlichen Schriftsystemen verfügbar, dies sollte auch bei den Metadaten mitgedacht werden. Und wir brauchen mehr Standards, um die Workflows zu optimieren und die Forschenden zu entlasten. Transparenz bei der Erhebung, Aufbereitung und Publikation von Daten wird den jüngeren Forschenden selbstverständlich. Dazu entwickeln wir gemeinsam Standards, auf denen andere aufbauen können.
Rebitschek: Da schließe ich mich an. Für uns in Potsdam ist zudem die regionale Vernetzung wichtig, um die Nutzung von Forschungserkenntnissen den Brandenburger Landesbehörden, den kleinen und mittelständischen Unternehmen oder öffentlichen Kliniken zur Verfügung zu stellen. Wer kann hier als Ansprechperson auftreten? Wie können die Daten vorbereitet und zugeführt werden?
Herr Kostädt, was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Kostädt: Fünf Jahre sind keine lange Zeit. Als CIO wünsche ich mir in erster Linie zusätzliche Ressourcen für die Zentralen Einrichtungen. Durch die Open-Science-Praktiken und -Technologien ergeben sich neue Anforderungen, auf die wir reagieren müssen. Zum Teil können wir dafür vorhandene Ressourcen freisetzen, indem wir Aufgaben neu priorisieren und alte Zöpfe abschneiden. Wir benötigen perspektivisch aber auch einen personellen Aufwuchs für die Unterstützung von Open Science.
Weitere Informationen zu Open Science an der Universität Potsdam: https://www.uni-potsdam.de/de/openscience