Sie forschen zu Migration und Integration. Was interessiert Sie daran?
An dem Phänomen der Migration und Integration interessieren mich die Komplexität, die gesellschaftliche Relevanz und die Forschungslücken. Migration und Integration sind ganz vielschichtige Prozesse. Soziale, ökonomische, politische und rechtliche Faktoren spielen eine Rolle, was das Forschungsfeld sehr interdisziplinär und dynamisch macht. Gemessen am gesellschaftlichen Diskurs zu dem Thema bleiben viele Fragen jedoch empirisch relativ ungeklärt. Perfekte Bedingungen für angewandte Sozialwissenschaften.
Zu ihren Schwerpunkten zählen auch quantitative Forschungsmethoden. Welche Daten erheben Sie und wie kommen die in Ihrer Arbeit zum Einsatz?
Was die Datenquelle angeht, bin ich agnostisch. Solange die Daten meine Fragen beantworten können, versuche ich sie in meine Finger zu bekommen. Traditionell sind das Umfragedaten und amtliche Statistiken. Neuerdings arbeite ich aber auch viel mit digitalen Daten, wie zum Beispiel Facebook, LinkedIn, Google, WhatsApp oder Wikipedia. Computergestützte Verfahren wie das Web Scraping oder Zugang zu Unternehmensdaten von sozialen Internetplattformen zum Beispiel, bieten ganz neue Möglichkeiten für empirische Forschung.
Wo und wie sollten die Ergebnisse Ihrer Forschung wirksam werden?
In erster Linie geht es bei der Forschung natürlich darum, unser Wissen zu dem Thema zu erweitern. Dies geht aus meiner Sicht am besten über die Publikation von Expert*innen begutachteten Fachartikeln. Darüber hinaus bin ich aber auch sehr aktiv am gesellschaftlichen Transfer interessiert. Das Thema Migration erregt die Gemüter, entscheidet Wahlen und die Medien berichten täglich darüber. Ich versuche daher eine sachliche, unemotionale Perspektive beizusteuern. Und wer weiß, vielleicht lesen auch einige Politiker meine Studien, wenn neue Gesetzte formuliert werden.
Was bzw. wie kann die Soziologie dazu beitragen, den Menschen ihre Angst vor Migration bzw. Migrierenden zu nehmen?
Erstmal ist die Angst vor Migration und vor dem „Fremden“ wahrscheinlich so alt wie die Migration an sich. Neuankömmlinge in einer Gruppe werfen erstmal viele Fragen auf und betreffen direkt sehr tiefgehende Aspekte der kollektiven Identität, des Sozialmodells etc. Die Migrationsforschung kann eventuell ein Stück weit die Ängste reduzieren, wenn sie das Tempo aus der Debatte nimmt und einfache Wahrheiten betont. Migration ist in (fast) allen Gesellschaften Normalität und spielt eine zentrale Rolle bei der gesellschaftlichen und ökonomischen Entwicklung. Zuwander*innen integrieren sich im Generationenverlauf und viele Ängste entpuppen sich rückblickend als überzogen. In den USA, dem klassischen Zuwanderungsland, regt sich niemand über Iren, Griechen, Italiener, Polen oder Schweden auf. Sie alle sind Amerikaner. Anfangs gab es jedoch sehr starke Ablehnung gegenüber europäischer Migration in den USA. Wir sehen jetzt den gleichen Prozess mit Lateinamerikanern und Afrikanern. Die Integrationskräfte der Gesellschaft sind langfristig größer, als viele wahrnehmen. Man muss nur etwas Geduld mitbringen. Je schneller Integration passiert, desto niedriger die Temperatur in der Migrationsdebatte. Angewandte Sozialforschung kann hier auch eine Hilfe sein, indem sie Integrationsprogramme, -politiken,- und -projekte evaluiert. Deutschland hat bei der Integration der Gastarbeiter geschlafen. Seitdem hat sich viel getan, jedoch bleiben viele Fragen offen, wie Deutschland Integration besser gestalten kann. Hier möchte ich einen Beitrag leisten.
Der Forscher
Prof. Dr. Jasper Tjaden ist seit 2021 Professor für angewandte Sozialforschung und Public Policy an der Universität Potsdam.
E-Mail: socrespolicyuuni-potsdampde
Dieser Text erschien im Universitätsmagazin Portal Wissen - Eins 2024 „Bildung:digital“ (PDF).