Zum Hauptinhalt springen

Was kommt nach Kant? – Am Center for Post-Kantian Philosophy vernetzen sich Forschende aus der ganzen Welt, um große philosophische Fragen zu diskutieren

Prof. Karen Ng (l.) und Prof. Dr. Thomas Khurana.
Foto : Heike Kampe
Prof. Karen Ng (l.) und Prof. Dr. Thomas Khurana.

Friedrich Nietzsche, Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Karl Marx oder Hannah Ahrendt: In philosophischen Kreisen, aber auch darüber hinaus, sind diese Namen sehr bekannt. Sie gehören zu den großen Denkerinnen und Denkern des 19. und 20. Jahrhunderts, der sogenannten post-Kantischen Ära. Die Philosophie nach Immanuel Kant, der von 1724 bis 1804 lebte, hat besonders in Europa eine vielseitige Tradition. Thomas Khurana, Professor für Philosophische Anthropologie und Philosophie des Geistes, beschäftigt sich als Wissenschaftler mit dieser Epoche und erklärt ihr Fundament so: „Die wesentlichen Probleme der Philosophie können für die post-Kantische Tradition nur von Kant her verstanden werden. Er hat unseren Blick darauf neu eingestellt und sie neu definiert. Aber zugleich überzeugen seine Lösungen für diese Probleme die meisten Denkerinnen und Denker nach ihm nicht. Um sie zu beantworten, müssen wir in gewisser Weise über ihn hinausgehen.“

Das tut Khurana gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen am Center for Post-Kantian Philosophy, das er 2021 an der Philosophischen Fakultät gründete, um den Austausch in diesem Forschungsfeld zu fördern. Das Center ist Teil eines weit gespannten internationalen Netzwerks von Einrichtungen und lädt regelmäßig Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus der ganzen Welt als Fellows ein. Eine von ihnen ist Prof. Karen Ng, Philosophieprofessorin an der Vanderbilt University in Nashville, USA, die im vergangenen Frühling und Sommer ein halbes Jahr mit einem Forschungsstipendium der Alexander von Humboldt-Stiftung nach Potsdam kam.

„Hier ist der perfekte Platz für meine Forschung“, sagt die Wissenschaftlerin, die sich auf die Arbeiten von Hegel und das Konzept des „Gattungswesens“ spezialisiert hat. Dabei geht es etwa um die Frage, ob der Mensch nur eine von vielen Gattungen auf dieser Erde ist, oder ob Menschen auf eine ganz besondere, selbstbewusste Weise auf ihre eigene Gattung bezogen sind und sich dadurch von anderen Lebewesen unterscheiden. Hegel gilt als der letzte Vertreter des deutschen Idealismus und hat etwa Marx und viele weitere Philosophen stark geprägt. Vor allem in der Naturphilosophie, die sich mit der Deutung und Erklärung von Natur befasst, waren Vertreter des deutschen Idealismus sehr innovativ und ihrer Zeit voraus, erklärt sie. Freiheit, Selbstbestimmtheit und die Verbindung des Menschen zur Natur – all diesen Themen geht sie in ihrer Forschung nach und ergründet, wie sie miteinander verknüpft sind.

Karen Ng war bereits 2022 zu Gast in Potsdam und wird in den nächsten beiden Jahren erneut kommen, um an einem Buchprojekt zu arbeiten, das sich mit dem philosophischen Begriff des „Gattungswesens“ beschäftigt. In diesen Forschungssemestern erlebt sie einen anderen beruflichen Alltag als zuhause an der Vanderbilt University, wo sie forscht und lehrt. Dazu gehören Workshops, Konferenzen und Kolloquien mit anderen Forschenden, aber auch Gespräche in kleinen Gruppen am Lehrstuhl und der Austausch mit jenen, die ähnliche Forschungsthemen haben. „Hier in Potsdam kann ich mich voll und ganz auf die Forschung konzentrieren, zumal Deutschland und besonders der Berliner Raum ein Hotspot der weltweiten post-Kantischen Forschung ist“, sagt sie.

Die meiste Zeit verbringt sie aber allein in der Bibliothek oder am Schreibtisch und liest die philosophischen Abhandlungen der Vergangenheit. Was können wir heute aus diesen Texten lernen? Welche Fragen bleiben offen und wie könnte man diese lösen? Beim Lesen und Schreiben denkt sie darüber intensiv nach und entwickelt Forschungsideen. „Das klingt vielleicht langweilig, aber wir Philosophen genießen das“, sagt sie lachend.

„Philosophie ist Selbsterkenntnis“, erklärt Thomas Khurana. „Das, was wir untersuchen, steckt in uns selbst.“ Doch der philosophische Austausch mit anderen ist auch für ihn enorm wichtig. „Natürlich sehen wir uns ab und zu mal auf Konferenzen, wo man sich kurz über ein Thema unterhalten kann. Aber hier im Center ist der Austausch langfristiger und nachhaltiger.“ Philosophische Diskussionen zu einem bestimmten Thema könnten sich schon im Studium über mehrere Semester oder sogar Jahre hinziehen, wenn man mit der Seminargruppe tief in philosophische Texte eintaucht, erzählt er. Als Hochschullehrer fehlten ihm diese Gelegenheiten. „Dazu hat man im Alltag ganz wenig Zeit.“ Nun füllt das von ihm gegründete Center diese Lücke und schafft Räume für Begegnungen, Gesprächsrunden, Kolloquien und Anregungen.

Manchmal – wie bei Karen Ng und Thomas Khurana – sind die Forschungsthemen derjenigen, die sich im Center begegnen, ganz nah beieinander: „Wir untersuchen beide die Werke von Kant und Hegel und den Begriff des Gattungswesens“, erklärt Khurana. „Einen Gesprächspartner zu haben, mit dem man sich intensiv – und auch kontrovers – über diese Texte verständigen kann, ist natürlich toll.“ In anderen Fällen bringen die Gäste ganz neue Themen mit nach Potsdam – und davon profitieren beide Seiten. „Weil wir länger und immer wieder miteinander sprechen können, verstehen wir die jeweiligen Gesichtspunkte immer besser. Das erweitert den Horizont“, sagt der Philosoph.

 

Dieser Text erschien im Universitätsmagazin Portal - Zwei 2023 „Mentale Gesundheit“ (PDF).

Veröffentlicht

Online-Redaktion

Sabine Schwarz