Mehr als 4000 junge Menschen beginnen in diesen Tagen ein Studium in Potsdam. Was erwartet sie hier an der Universität?
Ein vielfältiges Studienangebot und ein Umfeld, in dem sie nicht nur eine Immatrikulationsnummer sind. Die Uni ist trotz ihres enormen Wachstums nach wie vor überschaubar, man kennt sich untereinander und auch die Dozierenden. Unsere drei Standorte finde ich alle fantastisch, weil jeder seine eigene „Handschrift“ trägt: das technologisch anmutende Golm, der historische Campus Am Neuen Palais und Griebnitzsee an der Stadtgrenze zu Berlin. Für alle, denen in Potsdam etwas fehlt: die Metropole ist nebenan. Mit Blick auf das Studium selbst, können wir durchaus selbstbewusst sagen, dass wir sehr gute Studienbedingungen bieten und vor allem eine ganze Palette profilierter Master: von Astrophysik über IT-Systems Engineering und Jüdische Theologie bis zu Psychotherapie und Verwaltungswissenschaft. Insgesamt haben wir rund 100 Masterprogramme, 25 davon auf Englisch. Alles Gründe, nach Potsdam zu kommen.
Mit der Corona-Pandemie gingen die Studierendenzahlen überall im Land zurück. Erholen sie sich jetzt wieder?
Auch wenn die Studierendenzahlen für das Wintersemester noch nicht belastbar sind, da noch bis in den Oktober Einschreibungen möglich sind, sehe ich durchaus Hinweise darauf, dass der „Corona- Knick“ überwunden ist.
Die Pandemie war in vielerlei Hinsicht wie ein Katalysator in Sachen Digitalisierung. Was bleibt davon?
Zunächst einmal sind wir eine Präsenz-Universität und werden das auch bleiben. Neue digitale Lehrformate, mit denen wir während der Pandemie positive Erfahrungen gemacht haben, müssen jetzt didaktisch eingebunden werden. Das vorausgesetzt, können Instrumente dauerhaft etabliert und ausgebaut werden. Dabei handelt es sich aber um keine Einschränkung, sondern ein Grundprinzip, mit dem Digitalisierung an der Uni Potsdam vorangetrieben wurde – auch vor der Pandemie. Deshalb hat sie uns auch nicht vollends kalt erwischt: Vieles war bereits auf einem guten Weg und konnte kurzfristig großflächig ausgerollt werden.
Welche Vorteile sehen Sie? Was bleibt herausfordernd?
Gute Blended-Learning-Konzepte können verschiedene Lerntypen berücksichtigen und fördern. Insofern ist es naheliegend, ein Miteinander von Präsenz- und Digitalformaten zu verstetigen. Allerdings sind hybride Formate, die gleichzeitig in Präsenz und virtuell stattfinden, sehr herausfordernd. Dafür sind Lösungen gefragt, die sich im Kontext der hochschuldidaktischen Angebote, aber auch auf Eigeninitiative in den Fakultäten etabliert haben und weiter ausgebaut werden. Außerdem braucht es für erfolgreiche digitale Lehre die nötige technische Ausstattung. Hier gibt es bundesweit noch Luft nach oben. Eine Herausforderung bleibt auch der Datenschutz, der bei allem, was im digitalen Raum angeschoben wird, stets mitschwingt und nicht immer reibungslos umzusetzen ist. Trotzdem ist jüngst das Recht auf eine digitale Prüfung in der allgemeinen Studienordnung verankert worden. Zudem werden demnächst Abschlussarbeiten nur noch auf digitalem Weg eingereicht. Und auch die Studien- und Prüfungsverwaltung wird unaufhaltsam digitalisiert: Schon seit diesem Jahr gibt es die digitale Studierendenakte, die, der Name sagt es, alle Vorgänge rund ums Studium digital zusammen führt.
Seit 2018 baut die Universität die Lehramtsausbildung massiv aus. Wie geht es hier voran?
Inzwischen haben wir fast alle 20 Professuren besetzt, die für den Aufwuchs beschlossen wurden. Auch die gut 1000 Studienplätze sind geschaffen, wenngleich sie – was im bundesweiten Vergleich leider generell zu beobachten ist – bislang noch nicht voll ausgelastet sind. Das wird sich jetzt hoffentlich ändern. Ein großes Problem sind auch die dafür zugesagten, aber bislang fehlenden Gebäude. Darauf haben wir leider wenig Einfluss. Und obwohl noch nicht alle zusätzlichen Studierenden da sind, haben wir schon jetzt ein gravierendes Platzproblem. Und da möchte ich nicht einfach sagen: Macht doch digitale Lehre! Einen solchen Notnagel will ich nicht propagieren müssen.
Dennoch wollen Sie die Studienqualität erhöhen.
Wir haben den Anspruch, das Lehramtsstudium sowohl forschungsbasiert als auch professionsorientiert zu gestalten, also neue fachliche und fachdidaktische Erkenntnisse in die Curricula zu bringen und gleichzeitig frühzeitig den Zugang zur Praxis zu ermöglichen. Dafür nutzen wir Lehrformate, die beidem gerecht werden. Sehr gut gelungen ist das in der Mathematik, die dafür gern herangezogen und aufgrund alter Stigmata gleichzeitig oft kritisiert wird. Stichwort: Muss eine Grundschullehrkraft Differentialgleichungen lösen können? In der Grundschule müssen natürlich Differentialgleichungen nicht gelöst oder gar unterrichtet werden, und darum ist dies auch kein Teil des Studiums. Wir zeigen aber durchaus, welche mathematischen Grundvorstellungen aufgebaut werden müssen, damit die Schülerinnen und Schüler später Integralrechnung im Studium verstehen. Das Fach ist an der Uni Potsdam zu 100 Prozent professionsorientiert, alle Module sind genau aufs Lehramt zugeschnitten, damit die künftigen Lehrerinnen und Lehrer lernen, was sie für die Schule relevant ist. Die stets geforderte Praxisnähe finde ich in Potsdam immer schon gut gelöst: Es gibt in jedem Studienjahr mindestens ein Praktikum, von Beginn an.
Sollte das Praxissemester künftig vergütet werden?
Hier sollten wir der Realität ins Auge sehen: Viele Studierende arbeiten neben dem Studium schon im schulischen Kontext. Im Zehn-Punkte-Plan der Landesregierung ist die Idee eines vergüteten Praxissemesters ja auch schon angedacht, was ich grundsätzlich sehr begrüße. Dort finden sich zudem Überlegungen, ob es künftig sogenannte „Ein-Fach-Lehrer“ geben sollte, die nur ein Fach unterrichten. An all diesen Diskussionen wollen wir uns konstruktiv beteiligen. Aber nur, wenn sich solche Neuerungen mit bundesweiten Absprachen zusammenbringen lassen. Denn es erscheint mir nicht fair, ein Studium anzubieten, das nicht überall zum Lehrberuf führen kann.
Wie lässt sich dem Fachkräftemangel bei Lehrkräften noch begegnen? Kann die Universität Potsdam auch Quereinsteiger qualifizieren?
Absolut. Lieber gestern als heute. Die Schulen leben im Moment auch vom Quer- und Seiteneinstieg. Das ist per se nicht schlecht, diese Lehrpersonen bringen neue Perspektiven in den Unterricht ein. Aber es ist wichtig, dass sie eine wissenschaftlich fundierte, didaktische Basis bekommen. Und die muss vergleichbar sein mit dem, was Studierende in ihrem Studium lernen. Um das zu schaffen, sollten die Universität, die für das Referendariat zuständigen Studienseminare und die Schulen noch enger kooperieren. Und natürlich das Landesinstitut für Schule und Medien Berlin-Brandenburg, bei dessen Neuaufstellung die Universität Potsdam sich gerne einbringt.
Kann die Universität Potsdam über den Weg der Weiterbildung helfen, die Digitalisierung in den Schulen voranzubringen?
Gute Weiterbildungen gehören für mich generell dazu, wenn es darum geht, den Lehrberuf attraktiver zu machen. Insofern würde ich es begrüßen, wenn wir als Einrichtung, die Bildungsforschung betreibt, auch in die Lage versetzt werden, neueste Erkenntnisse an Lehrerinnen und Lehrer weiterzugeben. Aber dafür müssen noch die Rahmenbedingungen geschaffen werden.