Heute ist ihr Produkt nicht nur marktreif, sondern wird auch schon erfolgreich eingesetzt: Deutschlandweit nutzen 35 Pflegeeinrichtungen die App, viele weitere haben Interesse daran. „Das Start-up wächst schnell“, betont die Medienwissenschaftlerin Lena Langer, die für die Öffentlichkeitsarbeit bei „voize“ zuständig ist. „Inzwischen haben wir schon 15 Angestellte.“ Betrachtet man die Zahlen in der Pflegebranche, wundert das kaum: Mehr als vier Millionen Menschen waren 2022 pflegebedürftig. Diese Zahl wird in den kommenden Jahren steigen, denn die Gesellschaft altert. Für das Jahr 2050 geht das Gesundheitsministerium von 6,5 Millionen Menschen mit Pflegebedarf aus. Demgegenüber stehen viele offene Stellen, eine hohe Arbeitsbelastung und ein ausgeprägter Fachkräftemangel. Ideen für eine Entlastung der Pflegenden sind deshalb sehr gefragt.
„Bis zu 30 Prozent ihrer Arbeitszeit verbringen Pflegekräfte mit der Dokumentation“, sagt Lena Langer. Mit der App lässt sich diese Zeit erheblich verkürzen: „Das Handy haben sie immer bei sich, drücken einen Knopf und sprechen hinein. Eine KI mit Spracherkennung wandelt das Gesprochene in Text um und überträgt es automatisch in das vorhandene Dokumentationssystem“, beschreibt sie das Prinzip der „voize“-App. Damit entfallen die Laufwege zum Stations-PC und die Eintragungen per Hand. „Die App wird sehr gut angenommen, die Entlastung ist deutlich spürbar“, fasst Lena Langer das bisherige Feedback zusammen. Nach einem Schulungstag und ein bis zwei Wochen in der Praxis verwenden auch die weniger Technikaffinen die App routiniert. Dass sie alle Pflegedaten stets griffbereit auf dem Handy haben und diese – etwa bei einem medizinischen Notfall – sofort abrufen können, sei ein weiterer Pluspunkt. Gegenwärtig untersucht eine vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte Wirksamkeitsstudie, an der unter anderem die Berliner Charité beteiligt ist, welchen Unterschied die „voize“-Technologie in der Pflege tatsächlich macht.
Zu Beginn mussten sich die IT-Experten erst einmal mit dem Arbeitsfeld der Pflege vertraut machen. Wie sieht der Alltag der Pflegenden aus? Welche Bedürfnisse und Wünsche haben sie an ihre Arbeit? Und wie könnte eine App sie optimal unterstützen? Dazu hospitierte das Team in Heimen, begleitete die Beschäftigten und sprach mit den Leitungen, lernte Fachbegriffe wie Dekubitus – Wundliegen – kennen oder was eine Wunddokumentation enthalten muss. „Am Ende stand die Erkenntnis, dass wir ein intuitives, leicht verständliches Produkt brauchen, das einfach zu handhaben und in den Pflegealltag integrierbar sein muss“, erklärt Lena Langer. Da in der Pflege häufig Menschen arbeiten, die keine deutschen Muttersprachler sind, muss die Spracherkennung zudem Akzente gut erkennen können.
2022 erhielt „voize“ den mit 10.000 Euro dotierten Innovationspreis Berlin Brandenburg, der markt- und zukunftsfähige Start-ups würdigt. Unterstützung erfährt das junge Unternehmen auch durch Y Combinator – ein kalifornisches Gründungszentrum, das vielversprechenden Startups mit Geld, Kontakten und Ratschlägen zur Seite steht. „Ein sehr großer Meilenstein, denn deutsche Start-ups werden sehr selten in dieses Programm aufgenommen“, betont Lena Langer.
Das Produkt läuft, die Kundinnen und Kunden sind zufrieden und die Nachfrage ist groß. Die Arbeitstage bei „voize“ werden deshalb allerdings keineswegs kürzer und ruhiger. „So eine App ist nie ganz fertig“, sagt Langer lachend. Der Austausch mit den Pflegekräften und ihr Feedback seien für die Weiterentwicklung enorm wichtig. Zudem strecken die Gründer ihre Fühler schon nach anderen möglichen Anwendungsgebieten ihres Produkts aus – etwa für die Mängeldokumentation des TÜV. Die App absolviert hierfür aktuell die Pilotphase. Neben ihrem Start-up haben Fabio und Marcel Schmidberger in den kommenden Monaten außerdem noch eine weitere große Aufgabe zu meistern: Die beiden 25 Jahre alten Gründer schreiben nämlich noch an ihrer Masterarbeit am HPI – ihr Mitgründer Erik Ziegler ist damit schon fertig.
Das Unternehmen im Internet: www.voize.de
Dieser Text erschien im Universitätsmagazin Portal - Eins 2023 „Zukunft“ (PDF).