Zum Hauptinhalt springen

Opfer hier, Akteure dort – Lebogang Mokoena vergleicht die mediale Darstellung von Flutkatastrophen im globalen Süden und Norden

Nach der Flut im Ahrtal räumen freiwillige Helfer auf.
Zerstörte Wohnhäuser im südafrikanischen Kwazulu-Nata nach der Flut.
Potrait von Lebogang Mokoena
Foto : Wikimedia/Jean-Christophe Verhaegen/European Commission
Nach der Flut im Ahrtal 2021
Foto : flickr/GCIS
Nach der Flut 2022 im südafrikanischen Kwazulu-Nata
Foto : Ernst Kaczynski
Lebogang Mokoena

Schlamm und Schutt, eine verwüstete Straße und mittendrin eine Frau, die matschverschmiert, aber entschlossen mit einer Schippe gegen das Chaos angeht. Für dieses Foto, das im Juli 2021 auf dem Titel des Magazins „Stern“ zu sehen war, interessiert sich Lebogang Mokoena. An der Universität Potsdam erforscht dey (1), wie Menschen in der fotojournalistischen Berichterstattung nach Fluten in Deutschland und Südafrika dargestellt werden. Mokoena ist Journalist*in und Forscher*in aus Johannesburg, Südafrika, und erhält seit Oktober 2022 ein Bundeskanzler-Stipendium der Alexander von Humboldt-Stiftung. Zu Gast ist dey noch bis September 2023 bei Birgit Schneider, Professorin für Wissenskulturen und mediale Umgebungen in Potsdam, die Expertin für Visualisierungen des Klimawandels ist.

Bei der Flutkatastrophe im Ahrtal im Juli 2021 kamen über 180 Menschen ums Leben. Im April 2022 verunglückten in der südafrikanischen Provinz KwaZulu-Natal bei einer Flut 448 Menschen. „Da haben wir jetzt etwas gemeinsam“, sagt dey Südafrikaner*in Lebogang Mokoena. Fotografien dieser beiden Ereignisse liefern das Material für Mokoenas Forschungsarbeit, die während deys Aufenthalts in Potsdam entstehen soll. „Auf der ganzen Welt beobachten wir ähnliche Naturkatastrophen, die im Zusammenhang mit dem Klimawandel stehen. Sie treten immer häufiger auch im globalen Norden auf, wo man sich solche Ereignisse lange Zeit nicht vorstellen konnte“, sagt Mokoena. Dey forscht in Potsdam zur Visualisierung des Klimawandels und möchte herausfinden, welche Rollen Menschen in fotojournalistischen Beiträgen von Naturkatastrophen zugeschrieben werden. Dafür vergleicht dey die fotografische Berichterstattung in Deutschland und Südafrika mit dem Ziel, die Ikonografie von Klimabildern aus einer intersektionalen (2) und dekolonialen Perspektive zu entschlüsseln.

Sind die Menschen auf den Fotos aktiv oder passiv dargestellt? Wirken sie eher wie Opfer oder wie Akteure? Welche Rolle spielen dabei zum Beispiel ihre sozialen, ethnischen oder geschlechtlichen Identitäten? Um diese Fragen zu beantworten, analysiert dey die Körperhaltung und die Bewegungen der abgebildeten Menschen, aber auch die Bildkomposition. Dabei interessiert Mokoena ebenso die ideologische Bedeutung, die im Foto angelegt ist. Bedienen die Fotograf *innen zum Beispiel Stereotype, was Geschlecht oder ethnische Herkunft betrifft?

Einige Hypothesen haben sich bereits erhärtet: „Ich stelle fest, dass die Medien die Menschen im globalen Süden – nicht nur in Südafrika, sondern auch anderswo – oft als Opfer darstellen, während die Menschen im globalen Norden sehr aktiv gezeigt werden: als wüssten sie, was zu tun ist.“ Darüber hinaus würden Frauen eher als teilnahmslos dargestellt, während weiße Männer im mittleren Alter auf den untersuchten Bildern häufig in Aktion zu sehen seien. In anderen Worten: Wie verwundbar Menschen präsentiert werden, ist hochgradig unterschiedlich. Die aufkommenden Ungleichgewichte in fotojournalistischen Bildern sind angetrieben von globalen Ungleichheiten. Mokoena glaubt, dass auch deys eigener Hintergrund gewinnbringend für die Forschung sein kann.  „Lesbisch, nicht-binär und Schwarz zu sein – all das bringt eine neue Perspektive mit sich, wo sonst der westliche Blickwinkel vorherrscht. Ich versuche, diese westlich geprägte Sichtweise auf andere Menschen, vor allem auf dem afrikanischen Kontinent, aufzudecken und zu verändern.“ Dey hofft, mit der Arbeit mehr panafrikanische, dekoloniale und intersektionale Konzepte in die aktuelle Forschung zur Klimafotografie einzubringen.

In Johannesburg hat Mokoena Kommunikationswissenschaften und Journalismus studiert. Außerdem hat dey als Journalist*in gearbeitet – auch in Deutschland, zum Beispiel in der Medienagentur „JournAfrica“, durch die Mokoena in Kontakt mit Professorin Birgit Schneider kam. Mokoenas Forschung ist also auch von deys journalistischen Praxiserfahrungen geprägt: „Mein Interesse als Journalist*in bestand unter anderem darin zu hinterfragen, wie die Branche tatsächlich funktioniert.“ Mit dem Forschungsprojekt möchte dey nun dazu beitragen, dass sich Journalist*innen ihrer gesellschaftlichen Verantwortung bewusster werden. „Ihre Aufgabe besteht nicht nur darin, die Menschen zu informieren oder aufzuklären. Es geht auch darum, ausgewogen zu berichten, die Würde der Menschen zu wahren und keine Unwahrheiten zu verbreiten.“ Damit die   Forschungsarbeit möglichst viele erreichen kann, möchte dey besonders zugänglich formulieren, mit einer Sprache, die zwischen Journalismus und Wissenschaft liegt.

In Potsdam ist Lebogang Mokoena übrigens nicht das erste Mal. Vor einigen Jahren hat dey sich hier bereits ehrenamtlich im Bundesfreiwilligendienst engagiert. Dey spricht und versteht neben Englisch fünf weitere Sprachen aus Südafrika: Sesotho, Setswana, Sepedi, isiZulu, isiXhosa – und belegt inzwischen auch einen Deutschsprachkurs auf C1-Niveau. Mokoena kann sich vorstellen, nach dem Stipendium zu promovieren. Wo, das ist noch offen – interessante Möglichkeiten gebe es viele, sagt dey und lacht.

Das Bundeskanzler-Stipendium der Alexander von Humboldt-Stiftung richtet sich an Hochschulabsolvent*innen aus Brasilien, China, Indien, Südafrika oder den USA mit ersten Führungserfahrungen, die sich international vernetzen wollen. Mithilfe eines Stipendiums kann ein eigenes Projekt realisiert werden, das der Karriereentwicklung dient, gesellschaftlich relevant ist und nachhaltige öffentliche Wirkung hat.

 

(1) „Dey“ ist ein Neopronomen, das den Anspruch hat, genderneutral zu sein. Dabei handelt es sich um eine Eindeutschung des im Englischen üblichen „they“.
(2) Der Begriff Intersektionalität beschreibt das Zusammenwirken von verschiedenen Diskriminierungsformen.

 

Dieser Text erschien im Universitätsmagazin Portal - Eins 2023 „Zukunft“ (PDF).