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Diversität sorgt für Stabilität – Im Projekt „DynaTrait“ verknüpfen Biologinnen und Biologen mathematische Modelle, Freilanduntersuchungen und Laborexperimente

Die begehbare Probenkammer vom Projekt „DynaTrait“.
Algen im Glaskolben.
Prof. Ursula Gaedke
Dr. Toni Klauschies
Foto : Tobias Hopfgarten
Die begehbare Probenkammer vom Projekt „DynaTrait“.
Foto : Tobias Hopfgarten
Die Algen haben im Glaskolben perfekte Lebensbedingungen.
Foto : Tobias Hopfgarten
Prof. Ursula Gaedke
Foto : Tobias Hopfgarten
Dr. Toni Klauschies

Im Klimaschrank ist es angenehm warm und hell. Auf den ersten Blick sieht man nicht, dass es in den zahlreichen Glaskolben, die die beleuchteten Regale der begehbaren Kammer füllen, vor Leben wimmelt. Bei konstanten 20 Grad Celsius wachsen hier verschiedene Algenarten, Rädertierchen und Wasserflöhe, die von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Arbeitsgruppe für Ökologie und Ökosystemmodellierung gut versorgt werden. „Ein- bis zweimal in der Woche brauchen die Algen ein frisches Nährmedium und die Zooplankter werden mit Algen gefüttert“, erklärt der Biologe Dr. Toni Klauschies, der mit den Organismen arbeitet.

Algen und Zooplankton werden hier am Institut für Biologie und Biochemie nicht ohne Grund gehegt und gepflegt. Es sind wichtige Modellorganismen, die die Grundlage des Nahrungsnetzes in einem Gewässer abbilden. Die Forscherinnen und Forscher wollen mit ihrer Hilfe verstehen, wie verschiedene Arten in einem Ökosystem zusammenleben – wie sie sich gegenseitig fördern oder unterdrücken, fressen und gefressen werden oder wie sie sich vermehren. Im von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Schwerpunktprogramm „DynaTrait“ schauen sie sich vor allem die Eigenschaften der Organismen an – die sogenannten „Traits“ – die erstaunlich variabel sein können.

Lebensgemeinschaften wandeln sich ständig

Stark vereinfacht sieht das Nahrungsnetz in einem natürlichen See so aus: Auf der untersten Stufe wandeln Mikroalgen – das sogenannte Phytoplankton – Sonnenenergie durch Photosynthese in Biomasse um. Die Algen sind Nahrungsgrundlage des Zooplanktons, zu dem Wasserflöhe, Räder- und Wimpertierchen und weitere, meist weniger als einen Millimeter große Tierchen gehören. Das Zooplankton wird von kleinen Fischen gefressen, die wiederum Nahrung für große Fische sind.

Ein solches Nahrungsnetz ist allerdings kein statisches, sondern ein überaus dynamisches Gebilde. Je nach Jahreszeit, Temperatur, Nährstoffangebot und anderen Umweltbedingungen schwanken die Organismendichten stark, Arten konkurrieren miteinander um Ressourcen und passen sich permanent den verschiedenen Umweltbedingungen an. Auf jeder Ebene des Nahrungsnetzes interagieren zahlreiche Arten miteinander, die ganz verschiedene Eigenschaften und Fähigkeiten haben. Die Algen und Zooplankter im Klimaschrank sind nur ein kleiner, aber sehr wichtiger Baustein des gesamten aquatischen Nahrungsnetzes, mit deren Hilfe die Forschenden untersuchen, welche Mechanismen in so einem komplexen System wirken.

Toni Klauschies zeigt auf einen Glaskolben, der eine etwas trübe Flüssigkeit enthält. Würde man sich den Inhalt eines daraus entnommenen Wasserstropfens unter dem Mikroskop anschauen, würden viele kleine Punkte durch das Bild wuseln. Schaut man noch genauer hin, erkennt man das Rädertierchen Cephalodella: ein schlauchförmiges, durchsichtiges Tier mit einem Wimperkranz am oberen Ende, mit dem es seine Nahrung in den Schlund strudelt. In der Laborkultur führt Cephalodella ein sorgenfreies Leben. Es wird regelmäßig mit Algen versorgt, die genau die richtige Größe und Struktur haben. In der Natur sieht es ganz anders aus. Hier muss das Rädertier mit anderen Arten um Nahrung konkurrieren, es ist selbst Beute von größeren Organismen und hat nicht immer das perfekte Futter zur Verfügung.

Wenn die Bedingungen optimal sind, gibt es sehr viele Individuen dieser Art, wenn sie weniger gut sind, nimmt die Population ab. Diese Zyklen schaut sich Toni Klauschies genauer an. Zum einen am Computer, wo er mithilfe mathematischer Modelle die Lebenszyklen verschiedener Arten nachbildet. Und zum anderen experimentell im Labor, wo getestet wird, wie hoch die Wachstumsraten des Rädertierchens unter verschiedenen Temperaturen, Futterquellen und mit einem Konkurrenten sind.

Algen haben Verteidigungsstrategien

„In der klassischen ökologischen Theorie wird angenommen, dass Organismen feste Eigenschaften haben“, erklärt Arbeitsgruppenleiterin Ursula Gaedke. „Aber das stimmt so nicht, denn die einzelnen Arten sind in ihren Eigenschaften nicht so starr, wie oft angenommen wurde. Räuber und Beute passen sich aneinander an.“ Einige Algen können etwa lange, stachelähnliche Fortsätze ausbilden, um nicht gefressen zu werden. Sind viele Zooplankter wie das Rädertierchen vorhanden, die diese Algen gerne fressen, können sie dank ihrer Abwehrmechanismen trotzdem überleben. Die Strategie hat aber ihren Preis: Wer sich mit Stacheln oder anderen Mitteln der Verteidigung wehrt, kann sich langsamer fortpflanzen und hat weniger Nachkommen. Und auch die Räuber reagieren auf ihre Beute: Sie passen ihre Größe an, um größere Partikel fressen zu können. Räuber und Beute rüsten also permanent gegenseitig auf und sind mitunter sehr flexibel in ihren Strategien und Eigenschaften. Im „DynaTrait“-Programm sind die Forschenden den vielfältigen Anpassungsmechanismen auf der Spur und wollen herausfinden, wie sich diese Flexibilität auf Funktionen des Ökosystems und auf Populationsdynamiken auswirkt.

Seit 2014 arbeiten mehr als 60 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus ganz Deutschland in über 20 Teilprojekten an diesen Fragen. Sie werten Langzeitdaten aus dem Bodensee aus, lassen verschiedene Arten von Phyto- und Zooplankton in langen Laborversuchen gemeinsam wachsen, ermitteln Wachstumsraten einzelner Arten unter verschiedenen Bedingungen und modellieren Nahrungsnetze und ihre einzelnen Bausteine am Computer. Ihre Ergebnisse tauschen sie untereinander aus und nähern sich so Schritt für Schritt einem Gesamtbild. „Wir finden in der Natur so eine enorme Vielfalt von Arten. Wie kommt das eigentlich? Warum können so viele Arten parallel nebeneinander existieren?“ Diese grundlegenden Fragen stehen hinter den Forschungsarbeiten, erklärt Ursula Gaedke.

Wie gut sich ein Ökosystem an sich verändernde Bedingungen anpassen oder Störungen überstehen kann, hängt auch davon ab, wie viele Arten vorhanden sind. „Biodiversität führt zu Stabilität“, sagt die Wissenschaftlerin und beschreibt damit eine wichtige Erkenntnis aus der bisherigen Arbeit, die durch weitere Forschung noch genauer untersucht werden soll. Fallen etwa eine oder mehrere Arten aus – durch Krankheit, Hitze oder ein Starkregenereignis, das zu viele Nährstoffe in ein Gewässer spült –, kann das für ein artenarmes System zu einem großen Problem werden. Verluste am unteren Ende der Nahrungskette setzen sich dann rasch auf den oberen Ebenen fort: Gibt es etwa weniger Zooplankton, finden auch die Fische nicht mehr ausreichend Nahrung. Das Problem hat damit auch eine wirtschaftliche Dimension.

In intakten, diversen Ökosystemen gibt es diese starken Schwankungen nicht. Macht eine Art schlapp, springt hier sofort eine andere ein, die mit den Bedingungen besser zurechtkommt. In der Modellsimulation verglichen die Forschenden, wie eine sehr artenarme und eine artenreiche Gemeinschaft aus Algen und Zooplankton auf einen starken Nährstoffeintrag reagierten. Während sich in der artenarmen Gemeinschaft eine Algenblüte entwickelte, die in Gewässern Fischsterben und andere Probleme verursachen kann, blieb diese in der diversen Gemeinschaft aus. Hier konnten verschiedene Zooplanktonarten die Algen gut regulieren und eine Massenvermehrung verhindern.

Mit Modellorganismen werden grundlegende ökologische Fragen untersucht

Einzelne Ergebnisse aus der Modellierung wollen die Forschenden nun im Labor unter experimentellen Bedingungen nachprüfen. Die Versuche sollen außerdem zeigen, ob die im Modell gefundenen Mechanismen in natürlichen Systemen auftreten und dort relevant sind. Sie nutzen dabei den Vorteil, dass Phyto- und Zooplankton sehr gute Modellorganismen sind, die im Labor leicht kultiviert werden können und sich rasch fortpflanzen. Mit ihnen lassen sich grundlegende ökologische Fragestellungen untersuchen, die auch auf andere Ökosysteme übertragbar sind. In den Experimenten soll etwa getestet werden, ob Temperaturveränderungen das Miteinander von Organismen beeinflussen oder wie sich Salzstress auf das Wachstum einzelner Arten auswirkt. „Wie sehen die Populationsdynamiken aus? Wann können Arten miteinander koexistieren? Und wann werden die Systeme instabil?“ Diese Fragen möchte Toni Klauschies mit den Experimenten beantworten.

Der Forscher weiß aus eigener Erfahrung, dass es gar nicht so einfach ist, die Natur im Labor nachzubilden. Wachsen mehrere Arten gemeinsam in einem Versuch, verschwinden immer wieder einzelne Arten ungeplant. „Im Labor konkurrieren sich die Arten schneller aus. In der Natur wirken dagegen verschiedene Mechanismen zusammen, die eine Koexistenz ermöglichen“, erklärt er. Viel Fingerspitzengefühl und Geduld sind deshalb notwendig, um ein experimentelles Laborsystem mit mehreren Arten zu etablieren. Ebenso wichtig findet Toni Klauschies aber die enge Verzahnung mit der Modellierung: „Das hilft sehr dabei, andere Optionen durchzuspielen, die man im Labor nicht nachbilden kann.“

Die Forschenden

Prof. Dr. Ursula Gaedke studierte Biologie an der Universität Oldenburg und Angewandte Statistik an der Oxford University. Seit 1999 ist sie Professorin für Ökologie und Ökosystemmodellierung an der Universität Potsdam und leitet seit 2014 das DFG-Schwerpunktprogramm DynaTrait.
E-Mail: ursula.gaedkeuni-potsdamde

Dr. Toni Klauschies studierte Biologie und Mathematik auf Lehramt an der Universität Potsdam. Seit 2016 forscht er im Projekt „DynaTrait“ über Koexistenz in Räuber-Beute-Systemen und den Einfluss von globalen Veränderungen auf Lebensgemeinschaften.
E-Mail: toni.klauschiesuni-potsdamde

Das Projekt

DynaTrait (Flexibility matters: Interplay between trait diversity and ecological dynamics using aquatic communities as model systems) ist ein Schwerpunktprogramm der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG). Es untersucht, wie sich die Anpassungsfähigkeit von Organismen auf Nahrungsnetze und Ökosystemfunktionen auswirkt.

Beteiligt: Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel, Max-Planck-Institut für Evolutionsbiologie, Universität Potsdam, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, Ruhr-Universität Bochum, Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei, Technische Universität Dresden, Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung, Universität Konstanz, Universität Osnabrück, Universität zu Köln, Ludwig-Maximilians- Universität München, Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung, Universität Duisburg-Essen, Helmholtz-Zentrum Hereon, Leibniz-Zentrum für Marine Tropenforschung,

Laufzeit: 2014–2024

https://www.dynatrait.de

 

Dieser Text erschien im Universitätsmagazin Portal Wissen - Zwei 2023 „Exzellenz (PDF).