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Extreme verstehen – Das Graduiertenkolleg NatRiskChange entwickelt Methoden, um Naturgefahren und Risiken in einer Welt im Wandel zu analysieren und zu quantifizieren

Ötztal in Österreich
Ihre Feldarbeit führte Doktorandin Amalie Skålevåg ins Ötztal.
Amalie Skålevåg (links) und Lisa Luna (rechts) sitzen am Schreibtisch.
Foto : Amalie Skålevåg
Ötztal in Österreich
Foto : Amalie Skålevåg
Ihre Feldarbeit führte Doktorandin Amalie Skålevåg ins Ötztal.
Foto : Kevin Ryl
Amalie Skålevåg (links) und Lisa Luna (rechts) promovieren beide im Graduiertenkolleg „NatRiskChange“.

Sich ändernde Rahmenbedingungen, wie die Erderwärmung oder die Landnutzung, können das Auftreten von Naturereignissen und das von ihnen ausgehende Risiko stark beeinflussen. „Das Ziel von NatRiskChange (Natural Hazards and Risks in a Changing World) ist es, Methoden zur besseren Analyse der Häufigkeit, des Ausmaßes und der Konsequenzen von Naturgefahren zu entwickeln“, sagt die Sprecherin des Graduiertenkollegs Prof. Annegret Thieken.

„Eine Naturgefahr ist ein physischer Prozess, der die Gesellschaft für gewöhnlich negativ beeinflusst“, sagt Lisa Luna, Doktorandin in der 2018 gestarteten zweiten Kohorte von „NatRiskChange“. Einige der Doktorandinnen und Doktoranden befassen sich beispielsweise mit der Gefahr, die von Erdrutschen ausgeht. Andere untersuchen die Gefahr von Überschwemmungen, Dürren, Starkregen oder Erdbeben. Neben der Gefahrenabschätzung werden auch die Risiken, also mögliche Auswirkungen und Schäden von Naturereignissen erforscht. Hier geht es vorrangig um die Frage der Anfälligkeit: Wie widerstandsfähig ist die Gesellschaft gegenüber einer bestimmten Gefahr? „Wie könnte sich beispielsweise eine Überschwemmung in einem bestimmten Gebiet auf die Menschen und die Infrastruktur dort auswirken?“, fasst Lisa Luna zusammen. Ihr eigenes Projekt konzentriert sich darauf, wie man Erdrutsche besser vorhersagen kann. „Bisher habe ich mich mit der saisonalen Abhängigkeit von Erdrutschen befasst, also zu welchen Jahreszeiten sie wahrscheinlicher oder unwahrscheinlicher sind und wie viele zu erwarten sind.“

Der Wasseringenieur Joaquin Vicente Ferrer interessiert sich dagegen für die anthropogenen Auslöser von Erdrutschen, also ob Veränderungen in der Landnutzung durch den Menschen mehr Erdrutsche zur Folge haben. „So ist es durchaus denkbar, dass Unternehmen flussabwärts einen Damm errichten, ohne zu wissen, dass dies anderswo am Fluss einen großen Erdrutsch auslösen kann.“ In den vergangenen Jahren beschäftigte er sich bereits mit verschiedenen katastrophalen Naturereignissen wie Überschwemmungen, Taifunen und Tsunamis. „In meiner Doktorarbeit betrachte ich nun die größten Erdrutsche weltweit. Diese haben mich schon immer interessiert“, berichtet er. „Sie haben eine geringe Wahrscheinlichkeit, aber verheerende Auswirkungen.“

Genau wie Ferrer begann Amalie Skålevåg ihre Promotion 2021 mit der dritten Kohorte von „NatRiskChange“. Sie erforscht Veränderungen der Frost-Tau-Verhältnisse in alpinen Gebieten und die Auswirkungen der globalen Erwärmung auf den Gletscherrückgang und Erosionsprozesse. „Ich möchte wissen, wie sich der Temperaturwechsel in Hochgebirgsregionen auf die Sedimentproduktion auswirkt und die Dynamik im System beeinflusst“, sagt sie.

Mit Task Forces ganz nah dran

Damit die Doktorandinnen und Doktoranden im Graduiertenkolleg interdisziplinär zusammenarbeiten und auch zum Verständnis aktueller Schadensereignisse beitragen, wurden anwendungsbezogene Task Forces als integrativer Teil des Qualifikationsprogramms eingerichtet. „In einer Task Force kommen Promovierende und Betreuungspersonen zusammen, um gemeinsam an einer kürzlich aufgetretenen Naturgefahr zu arbeiten, auf die sie aufmerksam geworden sind“, fasst Lisa Luna zusammen. „Das war eines der Highlights meiner Doktorandenzeit.“ Amalie Skålevåg fügt hinzu: „Wer gerade Interesse und Zeit hat, kann einen Beitrag leisten. Am Ende muss ein Produkt wie ein Bericht, eine Veröffentlichung oder eine Webseite erstellt werden.“ Die Promovierenden müssen sich während ihrer Zeit im Kolleg an mindestens einer Task Force beteiligen. In den letzten Jahren wurden Task Forces unter anderem nach dem Eifelhochwasser in Deutschland im Sommer 2021 und den Waldbränden in Australien 2019/20 eingesetzt. In einer aktuellen Task Force untersucht Joaquin Vicente Ferrer Sturzfluten in Italien im Sommer 2022. „Zusammenzukommen, um zu sehen, was die anderen machen und welche Methoden sie anwenden, gibt mir wiederum Einblicke in mein eigenes Projekt“, erklärt er.

Für Lisa Luna ergab sich eine weitere Möglichkeit für angewandte Forschung, als sie zu einem Frühwarnsystem für Erdrutsche beitragen konnte. In einem gemeinsamen Projekt mit der University of Oregon wurde ihr Wissen über statistische Modellierung in ein Echtzeit-Online-Dashboard implementiert, das die Erdrutschgefahr in der Stadt Sitka im Südosten Alaskas auf der Grundlage von beobachteten Niederschlagsdaten und Wettervorhersagen abschätzt. „Der Anwendungsaspekt hat mir sehr gefallen“, sagt sie. „Ich dachte mir, wenn wir unsere Sache gut machen, können wir tatsächlich bessere Informationen zur Erdrutschgefahr in Sitka erhalten.“

Ein starker Zusammenhalt

Die Promovierenden sind sich darin einig, dass der wichtigste Aspekt im Graduiertenkolleg das unterstützende Netzwerk junger Forschender ist. „Das Gemeinschaftskonzept von NatRiskChange war eine große Motivation für mich, überhaupt zu promovieren“, sagt Amalie Skålevåg. „Wir haben das Glück, uns stets mit den Doktorandinnen und Doktoranden der beiden ersten Kohorten austauschen zu können“, fügt Joaquin Vicente Ferrer hinzu. „Durch diese Überschneidung fühlte ich mich in meinem ersten Jahr viel weniger verloren.“ Die Vernetzung unter den Promovierenden wird außerdem durch zwei- bis dreitägige Klausurtagungen gefördert, die zweimal pro Jahr stattfinden und auf denen alle Arbeiten mit den Betreuenden diskutiert werden. „Dies fördert nicht nur den Zusammenhalt, sondern auch ein fächerübergreifendes Verständnis und ein besseres Management von Naturgefahren“, ist Annegret Thieken überzeugt. Das in den vergangenen Jahren aufgebaute Netzwerk ist auch für die Zukunft der Naturgefahrenforschung weltweit ein großer Gewinn. Einige Alumni tragen die Ideen und Konzepte des Graduiertenkollegs weiter in internationale Unternehmen oder andere Forschungseinrichtungen. Unter anderem wurde auf diesem Wege die Zusammenarbeit mit dem Indian Institute of Technology Roorkee intensiviert und soll zukünftig in gemeinsamen Projekten fortgesetzt werden.

Die Forschenden

Prof. Dr. Annegret Thieken studierte Geoökologie an der TU Braunschweig und Umweltwissenschaften an der Universität von Amsterdam. Seit 2011 leitet sie die Arbeitsgruppe Geographie und Naturrisikenforschung an der Universität Potsdam. Sie ist Sprecherin von „Nat-RiskChange“.
E-Mail: annegret.thiekenuni-potsdamde

Lisa Luna studierte Geologie am Middlebury College (USA) und Geowissenschaften an der Universität Potsdam. Seit 2019 promoviert sie im Graduiertenkolleg „Nat-RiskChange“ zur Verbesserung von Erdrutschvorhersagen.
E-Mail: lisa.lunauni-potsdamde

Joaquin Vicente Ferrer studierte Wasserwissenschaft und –technik am Delft Institute for Water Education und Bauingenieurwesen an der University of the Philippines Diliman. Seit 2021 promoviert er im Graduiertenkolleg „NatRiskChange“ zur Vorhersage großer Erdrutsche in einer sich ändernden Welt.
E-Mail: joaquin.vicente.consunji.ferreruni-potsdamde

Amalie Skålevåg studierte Geoökologie an der Universität Potsdam und Umweltmodellierung am University College London. Seit 2021 promoviert sie im Graduiertenkolleg „NatRiskChange“ zu veränderten Wasser- und Energiebedingungen und deren Bedeutung für den Sedimenttransport in alpinen Gebieten.
E-Mail: amalie.skalevag.1uni-potsdamde

Das Projekt

Das Graduiertenkolleg „NatRiskChange“ erforscht Gefährdungen und Risiken von Naturereignissen angesichts sich verändernder Bedingungen in Umwelt und Gesellschaft.

Beteiligt: Potsdam-Institut fur Klimafolgenforschung (PIK), Helmholtz-Zentrum Potsdam/Deutsches Geo-ForschungsZentrum (GFZ), Freie Universität Berlin und das Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ)
Forderung: Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG)
Laufzeit: 2015–2024

www.uni-potsdam.de/en/natriskchange

 

Dieser Text erschien im Universitätsmagazin Portal Wissen - Eins 2023 „Lernen“ (PDF).