Als Professorin für Pädagogische Psychologie an der Universität Potsdam befasst sich Hanna Dumont inzwischen beruflich mit schulischen Lehr- und Lernprozessen und mit der Frage, wie der Unterricht den unterschiedlichen Lernvoraussetzungen der Kinder gerecht werden kann. Sie untersucht, wie sich die Zusammensetzung einer Klasse auf die Entwicklung Einzelner auswirkt und was Lehrkräfte tun können, um individuelle und soziale Benachteiligungen auszugleichen.
Die zunehmende Heterogenität in den Schulklassen sieht Hanna Dumont nicht als Problem, sondern als Chance. „Man muss sie nur zu nutzen wissen“, sagt die Wissenschaftlerin. An geeigneten Theorien, Methoden und Konzepten mangelt es nicht. Doch die Umsetzung in die Schulpraxis ist schwieriger als gedacht. In einem aktuellen Projekt widmet sich die Professorin deshalb verstärkt dem Transfer, der wie bei der Entwicklung neuer Technologien für die Industrie auch in der Pädagogik und Didaktik von Anfang an mitgedacht werden müsse. In der Bund- Länder-Initiative „Schule macht stark“ (SchuMaS) verantwortet sie gemeinsam mit ihren Kolleginnen Karina Karst in Mannheim und Anne Sliwka in Heidelberg das Teilprojekt „Verzahnung und Transfer“. Das Projekt, an dem bundesweit 200 Schulen und 13 Forschungseinrichtungen beteiligt sind, soll Schulen in sozial schwierigen Lagen langfristig unterstützen. Über einen Zeitraum von zehn Jahren!
Von- und miteinander lernen
Erschwerte Bedingungen wie ein erhöhter Sprachförderbedarf, große Personalfluktuation und armutsgefährdete Elternhäuser haben in den betroffenen Schulen dazu beigetragen, dass die Leistungen ihrer Schülerinnen und Schüler vergleichsweise schlechter ausfallen. Um das zu ändern, sollen im SchuMaS-Projekt die sprachlichen und mathematischen Grundfähigkeiten verbessert, die Lernmotivation erhöht und die sozialen Kompetenzen erweitert werden. Konkret heißt das, den Unterricht gemeinsam weiterzuentwickeln, besonders in Mathe und Deutsch, und die Lehrkräfte gezielt zu qualifizieren. Die gesamte Schulkultur und die Vernetzung mit dem Sozialraum – also dem Stadtteil oder der Gemeinde – sollen so gestaltet werden, dass auch außerhalb des Unterrichts viel gelernt werden kann.
Damit den Schulen dabei nicht der Atem ausgeht, sie Erfahrungen austauschen und sich gegenseitig stärken können, arbeiten alle Projektbeteiligten in sogenannten Schulnetzwerken zusammen. „Sie sollen spüren, dass sie keine Einzelkämpfer sind, sondern andere Schulen sich mit ganz ähnlichen Problemen herumschlagen. Von- und miteinander zu lernen, ist manchmal überzeugender, als die Lösungen von Dritten vorgesetzt zu bekommen“, sagt Hanna Dumont, die hier ein Umdenken fordert, „eine kulturelle Veränderung im wissenschaftlichen Herangehen“. Lehrkräfte würden oft beklagen, dass sie andauernd etwas Neues ausprobieren sollen, weiß sie aus vielen Gesprächen. So funktioniere das aber nicht. Transfer sei keine Einbahnstraße, sondern eher als Dialog zwischen Wissenschaft und Praxis zu verstehen. „Wir wollen die Expertise und die Erfahrungen der Lehrkräfte nutzen und mit ihnen gemeinsam an Maßnahmen arbeiten, die dann auch eine größere Chance haben, umgesetzt zu werden.“ Ko-konstruktiv nennt sie das. Ein Begriff, der sich im Glossar findet, das ihr wissenschaftlicher Mitarbeiter Simon Ohl für die Internetseite des Verbundprojekts erstellt hat. Sich verständlich zu machen, damit beginne der Dialog.
Zentrales Interesse im Forschungsverbund ist herauszufinden, wo vor Ort die größten Probleme liegen und was sich konkret ändern soll, damit die Schulen in schwieriger Lage die Kinder und Jugendlichen tatsächlich „stark machen“ können. „Einzelne Maßnahmen verpuffen oft, wenn sie am Bedarf vorbeigehen oder nicht verstanden werden“, weiß Hanna Dumont. Es sei deshalb wichtig, alles noch einmal durch die Brille der Schule zu sehen und sich zu fragen, ob die geplanten Interventionen aus deren Logik überhaupt einen Sinn ergeben.
Den angestoßenen Veränderungsprozess langfristig sichern
Im deutschlandweiten Verbundprojekt wurden vier Regionalzentren eingerichtet, in denen die Lehrkräfte zuverlässig wissenschaftliche Ansprechpartner finden. Für die ostdeutschen Schulen ist dies das DIPF | Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation in Berlin. Hier wird gemeinsam mit den Schulen entschieden, welche konkreten Maßnahmen sie umsetzen möchten. Auch fünf brandenburgische Schulen sind dabei, in Schwedt und Prenzlau, in Eberswalde und Bernau. Sie sollen darin unterstützt werden, ihre Angebote so zu gestalten, dass die Schülerinnen und Schüler trotz ihrer herausfordernden Ausgangsbedingungen ihren Weg ins Leben finden und sich genau das Wissen aneignen und die Fähigkeiten entwickeln, mit denen sie ihre soziale Situation spürbar verbessern können.
Um die dafür erforderlichen Neuerungen nachhaltig in der Praxis zu verankern, sucht Hanna Dumont im Forschungsverbund nach den passenden Strukturen und einer gemeinsamen Strategie. „Alle Maßnahmen sollten ineinandergreifen, um ihre Wirkung maximal entfalten zu können. Das Ganze ist so viel mehr als die Summe seiner Teile“, ist sich die Wissenschaftlerin sicher. Kohärenz gehöre deshalb zu den Leitprinzipien, die sie sich in ihrem Teilprojekt „Verzahnung und Transfer“ gegeben haben. Ebenso notwendig sei es, Kapazitäten aufzubauen, die den angestoßenen Veränderungsprozess an den Schulen langfristig sichern. Das heißt, nicht nur Lehrkräfte und Schulleitungen zu qualifizieren, sondern auch die Prozesse und Strukturen innerhalb der Schule und in der Zusammenarbeit mit der Bildungsverwaltung nachhaltig zu verbessern. Letztlich sollte sich das gesamte Unterstützungssystem für die aus sozial schwieriger Lage kommenden Schülerinnen und Schüler ändern. Hanna Dumont und ihre Kolleginnen in Mannheim und Heidelberg streben deshalb nichts Geringeres an als eine „Theorie der Veränderung“.
„Im Grunde geht das weit über klassische Bildungsforschung hinaus. Dazu gehört eine ordentliche Portion Idealismus“, sagt die Professorin auch in Richtung ihres wissenschaftlichen Mitarbeiters. Simon Ohl versteht das Ganze als gemeinsames Entwicklungsprojekt von Wissenschaft und Praxis und als große Lerngelegenheit für sich selbst. Für seine kurz vor dem Abschluss stehende Dissertation hat er sich Schulen angeschaut, die den Deutschen Schulpreis gewonnen haben. Welche Antworten haben sie auf die zunehmende Heterogenität in den Klassen gefunden? Und wie stand das individuelle Lernen im Verhältnis zum gemeinschaftlichen? Die Analyse bester Beispiele hilft ihm jetzt, gemeinsam mit den Schulen in schwieriger sozialer Lage Verbesserungen in Gang zu setzen. Er ist sich sicher, dass die wissenschaftliche Honorierung dieser Arbeit zunehmen wird, je mehr sich ein anderes Verständnis von Transfer durchsetzt. „Wir wissen nicht alles besser“, sagt er mit Blick auf die eigene Zunft. „Den Weg zu Veränderungen können wir nur gemeinsam mit den Schulleitungen und Lehrkräften gehen, in jeder einzelnen Schule.“
Das Projekt
Teilprojekt „Verzahnung und Transfer“ im Forschungsverbund „Schule macht stark – SchuMaS“ unter der Gesamtkoordination des DIPF | Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation. Am Verbund beteiligt sind 13 Forschungseinrichtungen, deren Kompetenzen und Erfahrungen in der Schul- und Unterrichtsentwicklung gebündelt werden.
Laufzeit 1. Förderphase: 2021–2025
Gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF)
Die Forschenden
Prof. Dr. Hanna Dumont studierte Psychologie in Trier und promovierte in Tübingen. Nach der Habilitation an der Freien Universität Berlin wurde sie 2021 Professorin für Pädagogische Psychologie mit dem Schwerpunkt schulische Lehr-Lern-Prozesse an der Universität Potsdam.
E-Mail: hanna.dumontuuni-potsdampde
Simon Ohl studierte in Gießen und Berlin Erziehungs- und Bildungswissenschaften. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Professur für Pädagogische Psychologie mit dem Schwerpunkt schulische Lehr-Lern-Prozesse der Universität Potsdam.
E-Mail: simon.ohluuni-potsdampde
Dieser Text erschien im Universitätsmagazin Portal Wissen - Zwei 2022 „Mensch“ (PDF).