Michael Lenhard weiß genau, wo er seine Pflanzen findet. Schon von Weitem leuchten ihm die hohen, gelben Blütenstände der Wachendorfia thyrsiflora hinter den Gewächshäusern des Botanischen Gartens entgegen. Hier, auf dem Versuchsgelände, wächst die Sumpf-Schmetterlingslilie zusammen mit Tausenden weiteren Arten zu Erhaltungs-, Vermehrungs- und Forschungszwecken. Am richtigen Versuchsbeet angekommen, schaut der Genetiker prüfend auf die Blüten. Sein geübter Blick erkennt sofort die Merkmale, auf die er es abgesehen hat. Die Sumpf-Schmetterlingslilie, deren Blütenform tatsächlich ein wenig an einen Schmetterling erinnert, hat drei Staubblätter und einen Griffel, an dessen Ende die Narbe sitzt. Für Michael Lenhard ist vor allem spannend, wie diese Blütenorgane angeordnet sind: Bei einigen Pflanzen sind zwei Staubblätter der Blüten nach links und ein weiteres zusammen mit dem Griffel nach rechts gebogen. Bei den anderen ist es genau umgekehrt. Der biologische Fachbegriff dafür lautet „Spiegelsymmetrie“.
Die Sumpf-Schmetterlingslilie unterscheidet streng zwischen rechts und links
Für die Bienen, die in der warmen Maisonne die leuchtend gelben Blüten umschwirren und hineinkrabbeln, um sich Nektar und Pollen zu holen, hat dieser feine Unterschied keine Bedeutung. Ihnen ist es egal, ob sie eine Blüte mit nach rechts oder nach links gebogenem Griffel besuchen. Doch die Pflanze – so vermutet das Team um Michael Lenhard – verfolgt mit dieser Links-Rechts-Strategie einen bestimmten Zweck: Sie möchte eine Selbstbefruchtung verhindern, um nicht genetisch zu verarmen. Der Pollen soll also nicht auf dem eigenen Griffel, sondern auf der Narbe der Blüte einer anderen Pflanze landen. Die räumliche Anordnung der Staubblätter und des Griffels soll die Fremdbestäubung fördern.
Auch von anderen Pflanzenarten ist bekannt, dass die Griffel von Blüte zu Blüte unterschiedlich gebogen sein können. Meistens sind auf einer Pflanze gemischte Blüten vorhanden, wie etwa beim Usambaraveilchen. Dass die Sumpf-Schmetterlingslilien ihren Griffel auf einer Pflanze streng ausschließlich nach links oder nach rechts gebogen tragen, ist aber eine Besonderheit, betont Michael Lenhard. „Das kennen wir so nur von insgesamt drei Gattungen – zwei aus Südafrika und einer aus Nordamerika.“ Bei diesen drei Gattungen ist das Blütenmerkmal also genetisch festgelegt und kann damit gut untersucht werden.
Genau das hat Michael Lenhard gemeinsam mit Forscherinnen und Forschern aus Südafrika, Kanada und den Niederlanden vor. Das Team möchte aufklären, wie die Pflanze auf der genetischen und auf der molekularen Ebene reguliert, auf welche Seite sich Staubblätter und Griffel biegen. Wie ist der Mechanismus evolutionär entstanden? Welche Gene und Proteine sind daran beteiligt? Was geschieht in den Zellwänden und ihrer unmittelbaren Umgebung? Und welche ökologische Bedeutung hat dieser feine Unterschied in der Blütenarchitektur schließlich für die Pflanzenart?
Welche Gene sind für die Unterschiede verantwortlich?
Ein genauer Blick in die Gene soll nun verraten, an welchen Stellen sich das Erbgut von links- und rechtsgriffligen Pflanzen unterscheidet. Damit können die Forschenden bestimmen, welche Gene für die Unterschiede verantwortlich sind. Außerdem soll eine Analyse der RNA in jungen Griffeln zeigen, welche Gene in der entscheidenden Entwicklungsphase aktiv sind, in der sich die Blütenorgane in die eine oder die andere Richtung wenden. „Wie schafft es die Pflanze, zwischen links und rechts zu unterscheiden? Das ist eine spannende Frage, weil sie sich dabei ja nicht auf stabile Unterschiede in der Umwelt beziehen kann, wie etwa mit oder gegen die Schwerkraft, sondern nur auf ihr internes Referenzsystem“, sagt Michael Lenhard.
Um eine Antwort darauf zu finden, werden die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Hunderte Pflanzen genetisch analysieren und einige auch mikroskopieren, um die zellulären Mikrostrukturen aufzuklären, die für die Biegungen verantwortlich sind. Eine Biophysikerin aus den Niederlanden wird zusätzlich die Drehung des Griffels am Computer simulieren und dabei helfen, die verantwortlichen Strukturen zu ermitteln und den Mechanismus zu verstehen. Außerdem wird ein Team in Südafrika aufwendige Feldversuche an den natürlichen Standorten der Art durchführen. Die drei Staubblätter einer Pflanze werden dazu mit drei unterschiedlichen Fluoreszenzfarbstoffen markiert. Die bestäubenden Insekten tragen diese von Pflanze zu Pflanze und legen so für jedes Staubblatt eine Pollenspur. Diese können die Forschenden nachverfolgen und analysieren.
Angepasst an große Bestäuber?
„In der Natur sind jeweils rund 50 Prozent aller Pflanzen rechtsgrifflig und 50 Prozent linksgrifflig“, erklärt Michael Lenhard. „Diese Zahlen sprechen dafür, dass das System recht stabil funktioniert.“ Im natürlichen Verbreitungsgebiet der Sumpf-Schmetterlingslilie übernehmen vor allem große Holzbienen die Bestäubung. Wenn die imposanten Insekten, die fast drei Zentimeter lang werden können, eine Blüte anfliegen, bleibt der Pollen auf den Unterseiten ihrer Flügel haften. Die Seite, auf der zwei Staubblätter sind, bekommt mehr Pollen ab als die andere Seite. Fliegt die Biene zur nächsten Pflanze und ist dort die Blüte genau umgekehrt aufgebaut, gibt es eine hohe Wahrscheinlichkeit für einen erfolgreichen Pollentransfer. Bei kleineren Insekten wie der Honigbiene scheint dieser Mechanismus aber weniger gut zu funktionieren: Bei ihnen vermischen sich die Pollenkörner aus den unterschiedlichen Staubblättern eher. Nun wollen die Forscherinnen und Forscher testen, ob es dort, wo viele Honigbienen sind, eher zu Bestäubungen innerhalb von Links- oder Rechtsgrifflern kommt und wie sich das auf ihre Nachkommen auswirkt.
Drei bis vier Jahre plant Michael Lenhard für seine Forschungen ein und möchte in dieser Zeit auch die anderen beiden Gattungen untersuchen, in denen diese strenge Form der Spiegelsymmetrie vorkommt. Dass mit Wachendorfia thyrsiflora eine dieser drei botanischen Besonderheiten bereits im Botanischen Garten der Universität Potsdam kultiviert worden war, machte seine Forschungen erst möglich. „Das war für uns ein Glücksfall“, betont er. Glücklich ist er aber auch über die entstandene Vier-Länder-Kooperation und die Gelegenheit, die Sumpf-Schmetterlingslilie an ihren natürlichen Standorten in Südafrika zu untersuchen.
Das Projekt
Die Erforschung der links-rechts-asymmetrischen Blüten von Wachendorfia thyrsiflora wird durch einen Research Grant der International Human Frontier Science Program Organization finanziert. Das Programm ermöglicht eine länderübergreifende, interkontinentale Forschungskooperation zwischen den Teams aus Deutschland, Kanada, Südafrika und den Niederlanden.
Der Wissenschaftler
Prof. Dr. Michael Lenhard studierte Biologie in München und Oxford. Seit 2010 ist er Professor für Genetik an der Universität Potsdam.
E-Mail: michael.lenharduuni-potsdampde
Dieser Text erschien im Universitätsmagazin Portal Wissen - Zwei 2022 „Mensch“ (PDF).