„Das Klima können wir nicht sehen“, sagt Prof. Birgit Schneider. Temperaturen, Wind, Luftdruck oder Luftfeuchtigkeit – all das bleibt unsichtbar. Auch Treibhausgase, deren steigende Konzentrationen den Klimawandel antreiben, wirken im Verborgenen. Wetterstationen liefern seit dem frühen 19. Jahrhundert Informationen über Niederschlagsmengen, Temperaturen und andere Wetterdaten und geben seitdem neue Einblicke ins Wettergeschehen und seine Entwicklung über die Zeit. In meist nüchternen Kurvengrafiken, Balkendiagrammen oder Isobarenkarten macht die Wissenschaft Klimaentwicklungen sichtbar. Erkennbar werden damit auch die Veränderungen der letzten Jahrzehnte – die zunehmenden Hitzewellen, der steigende Meeresspiegel oder die sich erwärmenden Ozeane.
Die wissenschaftlichen Fakten zum Klimawandel liegen längst auf dem Tisch. Es ist in erster Linie ein naturwissenschaftliches Problem, angetrieben von den Gesetzen der Physik. Doch Birgit Schneider, die Kultur- und Medienwissenschaftlerin ist, nähert sich diesem Thema aus einer zusätzlichen Perspektive. Sie fragt: „Wie wird der Klimawandel kommuniziert? Und was macht das mit den Menschen, mit ihren Gefühlen und ihrem Handeln?“
„Wir wissen alles, tun aber so wenig“
In ihrem Forschungsprojekt „Klimabilder“ hat sie sich damit mehr als zehn Jahre lang beschäftigt und naturwissenschaftliches Bildmaterial, Filme, künstlerische Arbeiten und Computerspiele vom frühen 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart angeschaut, historisch eingeordnet und analysiert. „Viele Bilder aus der Wissenschaft sind sehr nüchtern und abstrakt und ästhetisch dürftig“, erklärt sie. Was geschieht, wenn diese Bilder die Wissenschaft verlassen und in Politik, Kultur und Gesellschaft gelangen? Führen sie dazu, dass der Klimawandel als Gefahr wahrgenommen wird und folgen daraus die richtigen Entscheidungen?
Birgit Schneider bezweifelt, dass den bisherigen Kommunikationsformaten genau das gelingen kann. „Obwohl wir alles wissen, tun wir so wenig. Die Klimawissenschaft hat in den letzten Jahrzehnten ihre Arbeit getan und Ursachen und Folgen klar benannt. Aber dennoch führten all die Erkenntnisse bisher nicht zu einem effektiven Handeln“, erklärt sie. Hinzu kommt: Bei vielen Menschen löst das Thema inzwischen einen Abwehrreflex aus. Sie fühlen sich von der Informationsflut und der Komplexität des Themas überfordert und oft auch hilflos. „Wer ohnmächtig ist, hört auf, über das Thema zu reden. Das können wir uns nicht leisten“, sagt Birgit Schneider.
Wie also könnte man der Ohnmacht etwas entgegensetzen und andere Kommunikationsformen finden? Was könnte anders und besser laufen als bisher? Zu diesen Fragen hat Birgit Schneider mit ihrem Mitarbeiter Alexander Schindler Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus der Anthropologie, Medizin, Phänomenologie, Wissenschaftsphilosophie, Komplexitätsforschung, Geografie, Literatur- und Kommunikationswissenschaft und Rhetorik in Videointerviews befragt. Denn – davon sind beide überzeugt – es braucht neben dem naturwissenschaftlichen längst auch einen geistes- und sozialwissenschaftlichen Blick auf das Thema.
Ein Cartoon kann komplexe Probleme einfach kommunizieren
Ursprünglich sollte die jahrelange Forschung aus dem Projekt „Klimabilder“ ihren Abschluss in einer großen Konferenz in Potsdam mit allen beteiligten Forscherinnen und Forschern finden. Doch daraus wurde wegen der Corona-Pandemie nichts. Birgit Schneider und Alexander Schindler schufen kurzerhand die Plattform re-imagine-climate.com, um das erlangte Wissen dennoch zu teilen und zugänglich zu machen. Nun sind dort neun Videointerviews und Impulstexte der Forscherinnen und Forscher zu finden, die Ideen für eine etwas andere Klimawandelkommunikation vorstellen. Die indische Anthropologin Dr. Rita Brara, die an der Universität Delhi forscht, sammelt und analysiert etwa Cartoons über den Klimawandel. „Auf sehr einfache Weise kann man damit komplexe Probleme kommunizieren“, erklärt sie. „Wenn man zum Beispiel in einem Cartoon Rentiere sieht, die in der Sonne baden, erkennt man sofort die Botschaft: Hier läuft etwas falsch, die Dinge sind nicht so, wie sie sein sollten.“
Humor ist durchaus ein legitimes und bisher oft vernachlässigtes Mittel in der Klimawandelkommunikation, sagt auch Birgit Schneider. Denn Humor, Ironie oder Komik können dabei helfen, Emotionen wie Wut, Trauer oder Angst, die das Thema bei vielen auslöse, zu verarbeiten und in der Debatte voranzukommen. „Als ich 2009 mit meiner Forschung dazu begonnen habe, war es schwierig, überhaupt Gesprächspartner zu finden“, erzählt Birgit Schneider. „Aber das hat sich inzwischen stark geändert. Die Klimapsychologie ist ein wichtiges Forschungsfeld geworden.“
Persönliche Geschichten statt abstrakter Fakten
Der Klimawandel ist ein globales Problem, weltweit steigen die Temperaturen und der Meeresspiegel, verändern sich Wetterereignisse und Lebensräume. Dennoch sind die Folgen für einzelne Menschen rund um den Globus ganz verschieden. Diese lokalen Perspektiven – darin sind sich Birgit Schneider, Alexander Schindler und die interviewten Forschungspartnerinnen und -partner einig – kommen bisher viel zu kurz. Die individuellen Erfahrungen, die persönlichen Geschichten der Menschen und ihre Verluste werden kaum wahrgenommen. Dabei sind es gerade diese Erlebnisse, die den Weg für einen Dialog ebnen können, der nicht ausschließlich auf wissenschaftlichen Fakten aufbaut. „Für jede lokale Gemeinschaft muss man eigene Geschichten und Narrative finden, um ins Gespräch zu kommen“, erklärt Alexander Schindler. „Und dafür muss man den Menschen erst einmal zuhören.“
Rita Brara hat dies in ihrer indischen Heimat getan. „In Asien erleben die Menschen den Klimawandel sehr direkt“, erzählt sie. „Die Haut brennt, die Augen sind rot, es gibt Pflanzen, Tiere und Krankheiten, die es vorher nicht gab, im Himalaya schmelzen die Gletscher und die Trinkwasserversorgung ist in Gefahr.“ Demgegenüber stehen Erfahrungen aus Ländern wie Deutschland: „Klimawandel wird hier immer noch vor allem als Krise der Natur wahrgenommen“, erklärt Birgit Schneider. „Als eine Gefahr für die Biodiversität oder die Wälder. Erst in den letzten Jahren wird allmählich deutlich, dass auch wir direkt betroffen sind – Häuser werden durch Überflutungen zerstört, Ernten fallen durch Dürren geringer aus.“
Von der Einzelkämpferin zur weltweiten Bewegung
Das Jahr 2018 bedeutete für die Klimawandelkommunikation eine Zäsur. Eine 15-jährige Schwedin setzte sich mit einem selbstgemalten Plakat vor den Schwedischen Reichstag in Stockholm. „Schulstreik für das Klima“ stand auf dem Plakat, mit dem Greta Thunberg fortan jeden Freitag protestierte und damit eine weltweite Bewegung in Gang setzte. „Viele Menschen haben eigentlich erst seitdem begriffen, was das eigentlich ist – die Klimakrise“, sagt Birgit Schneider. Fridays for Future sei ein Beispiel dafür, wie Klimawandel auch aus einer ganz persönlichen Perspektive erzählt werden kann und dabei viele Menschen auf vielen Ebenen mobilisiere. „Seitdem ist das Thema viel stärker präsent, wird noch mehr in Filmen und Artikeln behandelt und auch von der Politik ernster genommen“, sagt Birgit Schneider.
Der Klimawandel wird die Medienwissenschaftlerin auch nach dem Abschluss der „Klimabilder“ weiter beschäftigen. „Es ist ein Thema, das mich nicht mehr loslässt.“ Denn wie der Klimawandel anders erzählt und anders gedacht werden kann, wird auch in der nahen Zukunft eine brisante und drängende Frage sein. „Es ist ein gesamtgesellschaftliches Thema und gehört in die Vereine, Theater, Rathäuser – in alle Bereiche unseres Alltags und auf alle Ebenen. Das ist die Arbeit, die jetzt ansteht.“ Wie das zu schaffen ist – darüber schreibt Birgit Schneider gerade ein Buch. „Der Anfang einer neuen Welt. Wie wir vom Klimawandel erzählen, ohne zu verstummen“ soll im kommenden Herbst erscheinen.
Die Plattform
Re-imagine-climate.com ist eine Online-Plattform, auf der Impulstexte und Interviews von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus verschiedenen Forschungsfeldern zur Klimawandelkommunikation vorgestellt werden. Die Videos und Texte klären über Probleme der bisherigen Kommunikation auf und ermutigen dazu, die Strategien neu zu überdenken.
Das Projekt wird von klimafakten.de als Medienpartner unterstützt. Finanzielle Förderung erhält es von der Fritz-Thyssen-Stiftung als Abschluss des Forschungsprojekts „Klimabilder“.
www.re-imagine-climate.com
www.youtube.com/channel/UCzoYkMsHAbtRq_t6yyVQqYg
Die Forschenden
Prof. Dr. Birgit Schneider studierte Kunst- und Medienwissenschaften sowie Medienkunst und Philosophie in Karlsruhe, London und Berlin.2009 kam sie mit einem Dilthey-Fellowship an die Universität Potsdam und forschte im Projekt „Klimabilder“ zur Klimawandelkommunikation. Seit 2016 lehrt sie als Professorin für Wissenskulturen und mediale Umgebungen am Institut für Kunst und Medien der Universität Potsdam.
E-Mail: birgit.schneideruuni-potsdampde
Alexander Schindler ist Medien- und Wissenschaftsforscher und studierte Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation an der Universität der Künste Berlin und Wissenschaftsphilosophie an der Technischen Universität Berlin. Er promoviert in Potsdam und arbeitet an den Schnittstellen von Medienwissenschaft, Philosophie und Wissenssoziologie.
E-Mail: alexander.schindleruuni-potsdampde
Dieser Text erschien im Universitätsmagazin Portal Wissen - Zwei 2022 „Mensch“ (PDF).