Ein Traktor fährt über einen Acker – und sammelt Daten. Muss der Boden bewässert werden? Wann ist der beste Zeitpunkt zur Aussaat? Wo sollte gedüngt werden? Mithilfe von Sensoren können Landmaschinen heute unterschiedlichste Parameter erfassen, deren Auswertung Landwirtinnen und -wirten dabei helfen kann, ihre Erträge zu steigern oder nachhaltiger zu wirtschaften. Das sogenannte Smart Farming ist ein Beispiel für datengetriebene Ökonomie, deren rechtliche Grundlagen jedoch noch im Vagen liegen. Hat die Bäuerin überhaupt Zugriff auf die Daten, die der Traktor erfasst? Oder stehen sie allein dem Hersteller zur Verfügung? Kann ein Dritter, der eine Bewässerungsanlage für den besagten Acker bauen will, die Daten nutzen?
Mit Problemen wie diesen beschäftigen sich Christian Czychowski, Tobias Lettl und Björn Steinrötter in der neuen Forschungsstelle. Bislang gibt es kein Gesetz zur Rechtsnatur von Daten. Stattdessen existiert ein Wirrwarr unterschiedlicher Regelungen, die sich teils überschneiden und widersprechen. „Der Gesetzgeber regelt den Umgang mit Rohdaten bislang im Prinzip nicht“, sagt Björn Steinrötter. Als unkörperliche Gegenstände existiert für sie in Deutschland kein Dateneigentum. Ebenso wenig gelten sie als geistiges Eigentum wie etwa ein Musikstück oder ein Roman. Und doch gibt es laut Christian Czychowski „eine überbordende Flut an Regelungen“, die greifen können, wenn es um Daten geht: wie etwa die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO), die sich auf den Schutz der Privatsphäre von natürlichen Personen bezieht, oder die Richtlinien zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen und zum Urheberrechtsschutz von Datenbanken, das Kartellrecht und vor allem den sogenannten Data Act, den die Europäische Kommission derzeit auf den Weg bringt. „Hier herrscht ein Rechtsquellenpluralismus, der Wahnsinn ist“, so Steinrötter. Genau deswegen wollen die drei Juristen ihre Kompetenzen bündeln. „Wir haben ein unheimlich schwieriges Feld zu beackern. Und zusammen ist man weniger allein, auch in der Forschung.“
Daten als Informationsträger
Ein wesentliches Problem in der Diskussion ist, dass Daten im Rechtssinne bis vor Kurzem gar nicht definiert wurden. „In der DSGVO werden Daten und Informationen fälschlicherweise gleichgesetzt“, so der Jurist. Vor wenigen Monaten hat die Europäische Kommission jedoch ihren ersten Entwurf des Data Acts vorgestellt: Dieser soll den Umgang mit nichtpersonenbezogenen Daten in der Europäischen Union regeln. Und darin ist nun erstmals eine Definition enthalten, die aus Steinrötters Sicht „sehr gelungen ist“. Demnach sind digitale Daten binär kodierte Informationen. Das Entscheidende dabei: Daten werden nicht als die Information definiert, sondern nur als ihr Träger. „Wenn man so will, sind Daten die Syntax und Informationen die Semantik.“
„Der Data Act ist in der Tat sehr, sehr relevant“, sagt Christian Czychowski, der zu den wenigen gehört, die sich bereits wissenschaftlich mit Datenlizenzverträgen auseinandergesetzt haben. Ziel des geplanten Rechtsakts ist es, einen allgemeinen Zugangsanspruch zu verschiedensten Daten zu etablieren: So sollen zum Beispiel Nutzende auf die von ihnen erzeugten Daten zugreifen dürfen. Das klingt zunächst einmal ganz plausibel – „führt jedoch zu einer unglaublich aufgeregten Diskussion in der deutschen Industrie“, so der Rechtsanwalt. „Damit hätte etwa eine Autofahrerin einen Anspruch gegenüber dem Autohersteller, die Nutzungsdaten des rechten Außenspiegels zu erhalten.“ An solche Daten heranzukommen, würde jedoch Arbeit und Kosten verursachen. Zumal es sich in der Regel um Rohdaten handelt, die ungeprüft, unbearbeitet sowie unkomprimiert sind und fehlerhaft sein können. Wenn es um personenbezogene Daten geht, die aber in der Wirtschaft entstehen, ist außerdem in bestimmten Fällen unklar, inwieweit der Data Act oder die DSGVO oder gar beide Rechtsakte nebeneinander greifen, so Steinrötter. „Es ist die Aufgabe von Gerichten und Forschenden, diesen gordischen Knoten zu durchschlagen.“
Daten, Wertschöpfung und Monopole
„Eigentum, Digitalisierung und Wettbewerb sind drei Begriffe, die man nicht isoliert voneinander betrachten kann“, sagt Tobias Lettl. „Die besondere Würze bekommen sie in der Überschneidung.“ Die Europäische Kommission und das Bundeskartellamt behaupten sich derzeit weltweit als Vorreiter im Umgang mit digitalen Unternehmen. So hat die Europäische Kommission jüngst einen Entwurf für ein Gesetz über digitale Märkte vorgelegt, das die Monopolstellung digitaler Unternehmen auf europäischer Ebene regulieren soll. Auch das Bundeskartellamt befasst sich immer häufiger mit der Datenmacht von Unternehmen. Eine Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen von 2021 adressiert OnlinePlattformen und deren Umgang mit den persönlichen Daten von Nutzerinnen und Nutzern – wie etwa Facebook.
Schon 2019 gab es ein großes Verfahren des Bundeskartellamts gegen das Unternehmen, weil es seine gesammelten Daten mit denen der Konzerntöchter Instagram und WhatsApp zusammengeführt hatte – ohne dafür die Einwilligung der Nutzenden einzuholen. „Das ist mittlerweile ein riesiges Verfahren vor dem Bundesgerichtshof. Facebook beansprucht den alleinigen Zugang zu den personenbezogenen Daten“, erklärt der Jurist. „Aus wettbewerblicher Sicht ist das problematisch, weil kein anderes Unternehmen in dieser Fülle Daten gesammelt hat und sie für andere Wirtschaftsteilnehmer von größtem Interesse wären.“ Laut Lettl entsteht gerade durch Daten wirtschaftliche Macht, die begrenzt werden muss. „Sonst könnten Internetkonzerne machen, was sie wollen. Die zentrale Frage ist hier, wie ihre wirtschaftliche Macht zu begrenzen ist – und ob gesetzliche Regelungen überhaupt noch ausreichen.“
Welch großen Wert Daten heutzutage besitzen, hebt Christian Czychowski hervor. „Es wird ja immer wieder davon gesprochen, dass sie das Öl des 21. Jahrhunderts seien. Aus meiner Sicht eine unglückliche Formulierung, die aber zeigt, wie wichtig Daten geworden sind: sei es im Hinblick auf Monopole, die globale wirtschaftliche Entwicklung oder den Schutz der Ideen.“ Der Austausch von Daten ist aus Sicht der drei Forscher für den Wettbewerb förderlich. Doch in der Praxis werden Daten kaum freiwillig hergegeben. „Der Bauer, dem das Feld gehört, hat wahrscheinlich gar keinen Zugriff auf die Daten, die sein Traktor gewinnt“, erläutert Tobias Lettl. „Und genauso wenig ein Drittanbieter, der vielleicht eine Software für eine Bewässerungsanlage entwickeln möchte und das nicht kann, weil der Traktorhersteller die Daten nicht herausgibt.“ Um Innovationen breiter nutzen zu können, den Wettbewerb zu fördern und damit mehr gute Produkte am Markt zu haben, braucht es laut Lettl Regelungen zur Nutzung von Daten. Hier habe das deutsche Kartellrecht einen ersten Schritt gemacht und auf EUEbene soll der Data Act ein allgemeines Zugangsrecht bringen. Noch gebe es aber viele Unwägbarkeiten.
Daten im „Age of Access“
So ist der Datenaustausch zwischen Unternehmen bisher noch wenig verbreitet, obwohl sie davon profitieren könnten. „Die kleinen und mittelständischen Unternehmen fürchten Wettbewerbsnachteile ebenso wie die großen Konzerne“, sagt Björn Steinrötter. Google beispielsweise würde seine Trainingsdaten für das maschinelle Lernen sicherlich ungern offenlegen, weil andere Anbieter damit ihre eigenen Suchmaschinen füttern könnten. Denn je mehr Daten ein Unternehmen gesammelt hat, desto mehr bringen diese auch als Handelsware ein. Doch für den wirtschaftlichen Progress sei der Austausch von Daten wichtig, sagt Lettl. „Monopole verhindern Wettbewerb und Entwicklung. Je mehr Unternehmen bei ihrer Arbeit auf bestimmte Daten zugreifen dürfen, umso mehr Konkurrenz entsteht auch.“ Diese wiederum ist ein Motor für Innovation. Damit Unternehmen bereit sind, Daten zugänglich zu machen, ist laut Czychowski ein Wechsel des Mindsets nötig. In der Illusion eines Dateneigentums zu verharren, ist nicht zeitgemäß. „Wir leben nicht mehr im Zuordnungszeitalter, sondern im Zugangszeitalter: im ‚Age of Access‘. Datenaustauch fördert Innovation und dient damit dem Gemeinwohl.“
Das Projekt
Seit Ende 2021 arbeiten Christian Czychowski, Tobias Lettl und Björn Steinrötter in der Forschungsstelle Geistiges Eigentum – Digitalisierung – Wettbewerb zusammen. Im Sinne einer forschungsbasierten Lehre soll die wissenschaftliche Arbeit zu Datenwirtschaft und Datenrecht auch in die Lehre einfließen. Hierzu soll ein eigener namensgleicher Schwerpunkt für das Studium der Rechtswissenschaften gebildet werden. Die Juristen stehen außerdem in Kontakt mit Kolleginnen und Kollegen vom Institut für Informatik und der Digital Engineering Fakultät. Mit der jährlichen Konferenz „Potsdamer Gespräche zur Datenwirtschaft“ schafft die Forschungsstelle ein internationales Forum zum Austausch über das Datenrecht. Bei der ersten Veranstaltung im Februar 2022 stellten Vortragende aus der ganzen Welt die Rechtsnatur von Daten in China, Japan oder den USA vor.
www.uni-potsdam.de/de/geidigwett
Dieser Text erschien im Universitätsmagazin Portal Wissen - Zwei 2022 „Mensch“ (PDF).