Das Seminar „Lengua y Turismo“ führte Studentinnen und Studenten zweier Regionen zusammen, die sich auf Mallorca sonst als Gäste und Einheimische begegnen. Im Sommersemester 2022 startete das Pilotprojekt: Neben dem normalen Seminarablauf hatten die Studierenden der Universität Potsdam die Gelegenheit, sich in fünf Online-Sitzungen mit den Kommilitoninnen und Kommilitonen der Balearen-Uni auszutauschen und zu fragen, wie es um die Sprache auf der Mittelmeerinsel bestellt ist.
Für Mallorca und viele andere beliebte Ferienziele der Welt gilt: „Die Bevölkerung leidet in der Regel deutlich unter dem Ansturm. Es ist massiv, was den Menschen zugemutet wird. Durch den Tourismus werden Kulturschätze bedroht oder gehen verloren“, sagt Melanie Uth. Die Potsdamer Professorin für Romanische Sprachwissenschaft kooperiert mit ihrer Kollegin Maria del Mar Vanrell bereits seit Längerem: Sie erarbeiten soziolinguistische Analysen im Hinblick auf entsprechende Gemeinsamkeiten und Unterschiede verschiedener Urlaubsorte. Melanie Uth kennt sich mit der Lage in Südmexiko aus, Vanrell hat sich auf Mallorca fokussiert. Die ansässigen Kulturen haben mit Verdrängung und Exotisierung zu kämpfen. Auf Mallorca ist vor allem ersteres das Problem.
Die Teilnehmenden diskutierten deshalb während der Lehrkooperation über die fehlende Präsenz des Katalanischen auf der Insel. „In den Restaurantnamen zeigt sich die Sprache noch vereinzelt“, sagt Iñaki Cano, der in Potsdam Spanische Philologie und Linguistik studiert und das Seminar als Mitarbeiter unterstützte. „Die Artikel unterscheiden sich vom Spanischen und sogar vom Katalanischen der Halbinsel: la taula, der Tisch’ wird zu sa taula im mallorquinischen Dialekt.“ Melanie Uth ergänzt: „Bei Namen gelten katalanische Elemente als schick und authentisch. Üblicherweise aber wird das Katalanische als dörflich empfunden. Ihm haftet das Stigma des Ärmlichen oder Rückständigen an. In der Tourismusindustrie wird es geradezu vermieden, weil man weltoffen sein möchte. Das ist gefährlich in puncto sprachlicher Diversität.“
Für 40 Prozent der Inselbevölkerung ist Katalanisch die Erstsprache. Aber nur rund elf Prozent der wiederkehrenden deutschen Urlauberinnen und Urlauber wissen, dass es die heimische Sprache des „17. Bundeslandes“ ist, so eine Umfrage aus dem Jahr 2008. Die Unkenntnis der Gäste befördert das Verdrängen. „Das Katalanische ist im öffentlichen Leben, im Handel, in der Verwaltung und im Dienstleistungssektor nie die am häufigsten verwendete Sprache, auch nicht bei denjenigen, die sie zu Hause sprechen“, sagt Maria del Mar Vanrell. Spanisch und Englisch sind einfach zu dominant.
Einige Insulaner wehren sich dagegen mit kreativ-künstlerischem Aktivismus. Mercè Picornell analysierte mit den Teilnehmenden fiktive Postkarten. „Der Tourismus wird häufig in lokalen, musikalischen und künstlerischen Werken verhandelt, mehr oder weniger ironisch, parodistisch oder direkt kämpferisch“, erzählt sie. Die künstlerischen Darstellungen sind oft komplex: Kritische Botschaften werden in traditionelle Motive eingebettet. Die Referenzen zu verstehen, sei für die deutschen Studierenden zunächst schwierig gewesen, doch im Seminar lieferten die Dozentinnen aus Mallorca das nötige Hintergrundwissen über die Insel.
Die Lehrveranstaltung war als Argumentationsseminar angelegt und ermutigte dazu, nicht nur eine Meinung zu äußern. Die Teilnehmenden lernten auch, diese systematisch zu begründen, um schließlich zu einer differenzierten Haltung zu gelangen und diese auch prägnant präsentieren zu können. Melanie Uth war es wichtig, ein lebhaftes Seminargespräch anzuregen. „Wir haben immer versucht darauf zu achten, dass genug Zeit und Anreize zum Diskutieren bleiben“, sagt die Wissenschaftlerin.
In Gruppen bearbeiteten die Studierenden unterschiedliche Fragen. Sollte die Sprache, die Literatur, die Kultur der Balearen-Inseln präsenter in Reiseführern sein? Ist die Bevölkerung, die in touristischen Gebieten lebt, mehrsprachiger und multikultureller? In den Gesprächen mit den mallorquinischen Kommilitoninnen und Kommilitonen konnten die deutschen Studierenden ihr Spanisch anwenden. Ihre Recherche- und Diskussionsergebnisse stellten sie während Seminarsitzungen vor. Nach der Lehrkooperation wendeten sich die deutschen Studierenden im Seminar von Melanie Uth auch anderen Urlaubsregionen zu und verglichen diese mit Mallorca.
Alle Beteiligten schätzten den internationalen Austausch. „Es freut mich, dass es Menschen gibt, die sich wie wir für die Situation der Katalanen und ihrer Sprache interessieren“, sagt Àngel Exojo, Austauschstudent auf Mallorca. Masterstudentin Lisa Arndt aus Potsdam hofft, „dass vielleicht weitere gemeinsame Projekte entstehen.“ Genau das plant Melanie Uth. Neben weiteren Lehrveranstaltungen, die sie geben möchte, vergleicht sie zusammen mit Kolleginnen und Kollegen anderer Universitäten in einer Forschungsgruppe weitere touristische Regionen. Auch Ausstellungen zur sprachlichen Situation auf Mallorca und anderen touristisch geprägten Inselregionen kann sich die Linguistin für die Zukunft vorstellen.
Katalanisch – Català
Das Katalanische unterscheidet sich in vielerlei Hinsicht vom Spanischen, denn es ist nicht nur ein Dialekt – wie viele glauben. Die romanische Sprache verwendet zum Beispiel einen zusätzlichen Akzent und teilweise andere Buchstaben zur Darstellung unterschiedlicher Vokal- und Konsonantenlaute. Auch der Wortschatz des Katalanischen unterscheidet sich zum Teil: So heißt etwa dt. kalt „fred“ statt Spanisch „frío“, dt. Käse „formatge“ statt Spanisch „queso“, oder dt. sprechen „parlar“ statt Spanischen „hablar“. Die mallorquinischen Katalanischsprechenden nutzen außerdem ein Slangwort, „guiri“, das ungefähr die Bedeutung ‚besitzergreifender Eindringling‘ hat und auf der Insel zur negativen Bezugnahme auf Touristen verwendet wird.
Dieser Text erschien im Universitätsmagazin Portal - Zwei 2022 „Artensterben“ (PDF).