Ich fange mal ganz vorne an. Ich komme aus Vietnam und habe dort Medizin studiert. Nach meiner Approbation bin ich nach Deutschland gekommen. Der Liebe wegen. Mein Mann ist Deutscher. Hier habe ich mich zur Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie qualifiziert. In Vietnam kannte ich unter diesem Begriff nur die Beschäftigung mit Schizophrenie oder schweren Depressionen. Aber hier in Deutschland fand ich in der Psychiatrie ein viel weiteres und sehr interessantes Feld. So habe ich am Berliner Institut für Verhaltenstherapie eine Weiterbildung absolviert und danach eine Fortbildung für traumaspezifische Psychotherapie. Ich mochte es schon immer, viel zu lernen und unterschiedliche Strategien zu nutzen, um Menschen zu helfen. Das muss man bei mir auch im Kontext mit Vietnam sehen, wo die Psychotherapie nicht weit verbreitet ist und die psychiatrische Behandlung häufig nur medikamentös stattfindet. Neben meiner Arbeit an der Charité pflege ich darum auch eine Kooperation mit der medizinischen Universität von Hanoi. Was ich lerne, versuche ich in adaptierter Form nach Vietnam weiterzugeben, damit es dort angewendet werden kann. Das ist meine Motivation, so viele Kurse zu machen. Ich möchte mein Repertoire ständig erweitern.
Als unsere Klinikleitung an der Charité vor zwei Jahren einen Flyer für eine Fortbildung in Schmerzpsychotherapie an der Universität Potsdam zirkulieren ließ, griff ich erneut zu. Ich bin in der Kognitiven Verhaltenstherapie zu Hause. Die Schmerzpsychotherapie basiert darauf. Ich dachte, das passt ausgezeichnet, und habe mich angemeldet. Der theoretische Teil des Kurses fand auf dem Potsdamer Unicampus Am Neuen Palais statt, alle zwei bis drei Monate von Donnerstagnachmittag bis Sonntag. Das war sehr gut zu schaffen neben dem Klinikbetrieb. In meiner Gruppe waren wir zu acht: Ärzte, Psychologinnen, Psychiater und Psychotherapeutinnen. Wir fanden sofort eine gemeinsame Sprache. In den Pausen sind wir oft im Park Sanssouci spazieren gegangen, haben diskutiert und uns ausgetauscht.
Unsere Dozenten kamen übrigens nicht nur aus der Medizin und der Psychologie, sondern auch aus den Sportwissenschaften und der Soziologie. Alle waren sehr kompetent und strukturiert. Der Gedanke einer interdisziplinären Therapie – das war eine absolute Bereicherung für mich. Es ist ja wichtig, als Psychotherapeutin zu wissen, wann Schmerzen psychosomatisch sind und wann sie körperliche Komponenten haben, bei denen eine zusätzliche Behandlung hilfreich ist.
Der praktische Teil der Qualifizierung findet im eigenen Arbeitsumfeld und im persönlichen Tempo statt. Man benötigt zehn Fälle von Einzel- und Gruppentherapie, die sorgfältig dokumentiert werden müssen. Bei jeder dritten Sitzung kommt eine Supervision dazu. Diesen Teil des Kurses habe ich noch nicht abgeschlossen. Viele unserer Therapiesitzungen mussten wegen der Pandemie ausfallen und es fehlen noch Supervisoren. Sehr lehrreich und gut für die fachliche Vernetzung ist die Teilnahme an interdisziplinären Schmerzkonferenzen, in denen jeweils ein Fall vorgestellt und aus der Perspektive der verschiedenen Fachrichtungen diskutiert wird.
Mein neu erworbenes Wissen kann ich an der Charité sofort anwenden, denn 80 Prozent meiner Patientinnen und Patienten, die unter einer Depression leiden, haben zusätzlich auch Schmerzen. Kopf- und Rückenschmerzen sind bei ihnen ein häufiges Thema. Manche werden sie nicht mehr los. Aber der Umgang damit kann sich verbessern. Das ist die Botschaft, die ich aus dem Kurs mitgenommen habe. Ich sage zu meinen Patienten: „Die Schmerzen sind da, aber sie definieren Sie nicht. Sie sind mehr als Ihre Schmerzen.“ Und noch eine wichtige Lehre: Viele Menschen denken, bei Schmerz müsse man sich schonen. Das ist im akuten Fall richtig, aber bei chronischen Schmerzen gilt das Gegenteil. Das hat mir der Kurs sehr deutlich gemacht: gezielte Bewegung statt Vermeidungsstrategien. Denn wenn sich der Patient nicht bewegt, führt dies nur zu vermehrter Muskelverspannung. Ich wusste das schon. Aber ganz explizit die Unterscheidung von akuten und chronischen Schmerzen zu verstehen – das hat mir noch einmal mehr Sicherheit im Umgang mit den Betroffenen gegeben.
Für mich ist diese Qualifizierung eine wirklich gute Zusatzausbildung. Und ich denke, sie ist auch hilfreich für Ärztinnen und Ärzte anderer Fachdisziplinen, um Aspekte der Psychotherapie anwenden zu lernen. Für sie ist es vielleicht ein bisschen mehr Mühe, sich die Grundlagen der Psychotherapie zu erarbeiten, aber das ist absolut möglich. Ich selbst habe dieses Wissen für mich und meine Arbeit ganz neu sortieren können.
Zertifikatsstudium Schmerzpsychotherapie
„16 Millionen Menschen in Deutschland leiden unter chronischen Schmerzen. Und die Pandemie führt aktuell zu einer Verschlechterung der Situation. Knapp die Hälfte der Patienten wartet ein Jahr auf eine Diagnose. Ein Viertel fühlt sich nicht richtig behandelt und Hausärzte wünschen sich mehr Information“, sagt Prof. Dr. Pia-Maria Wippert. Die Professorin für Medizinische Soziologie und Psychobiologie an der Universität Potsdam hat ein berufsbegleitendes Zertifikatsstudium Schmerzpsychotherapie entwickelt, das jetzt von der UP Transfer GmbH in Kooperation dem Institut für Verhaltenstherapie Berlin angeboten wird. Es richtet sich an Diplom-Psychologen und Ärzte mit Approbation, die hier lernen, wie sie Schmerzstörungen diagnostizieren und besser behandeln können. Eine Teilnahme an den Lehrveranstaltungen und Modulen ist auch für Therapeuten unterschiedlicher Fachgruppen, Pflegekräfte sowie Ärzte ohne Approbation möglich.
www.up-transfer.de/weiterbildung/zertifikatsprogramme/ spezielle-schmerzpsychotherapie-sspt
Dieser Text erschien im Universitätsmagazin Portal Transfer 2021/22 (PDF).