Forschung im Unendlichen. Ist das möglich? Wie können sich Menschen etwas nähern, das kein Ende hat? Es untersuchen, beschreiben, analysieren? Die Mathematik kann, sagen Mathematiker. „Die Stärke der Mathematik besteht darin, dass sich damit Dinge beschreiben lassen, die sich unserer Vorstellungskraft völlig entziehen“, sagt Christian Bär. Es sei aber erlaubt, mit Hilfsvorstellungen zu arbeiten: „Nimmt man beispielsweise ein Teilchen in der Ebene an, das sich zufällig bewegt, so kehrt dieses Teilchen immer wieder an seinen Ausgangspunkt zurück.“ Im unbegrenzten, dreidimensionalen Raum würde das nicht passieren, sondern das Teilchen wird sich gewissermaßen im Unendlichen verlieren. Aber nicht nur der Raum, auch die Zeit kann ins Unendliche laufen. „Wir untersuchen, was dann mit den Lösungen wichtiger Gleichungen passiert“, beschreibt Christian Bär. Dabei arbeiten die Mathematiker mit Beweisen. „Das ist natürlich das Handwerkszeug eines jeden Mathematikers, unser täglich Brot“, sagt er. Ein Beweis ist eine mathematische Herleitung um zu entscheiden, ob eine Aussage richtig oder falsch ist. „Nehmen wir an, wir wollen herausfinden, ob eine gewisse Fläche so verformt werden kann, dass sie überall positiv gekrümmt ist. Wenn ich es nicht hinbekomme, heißt das ja noch nicht, dass es nicht geht.“ Christian Bär strahlt Enthusiasmus aus: „Und jetzt wird es wirklich erstaunlich: Die Lösungen der Dirac-Gleichung aus der Physik können uns helfen, diese rein geometrische Frage zu beantworten.“
Ob es Lösungen für solche geometrischen Fragen gibt und wie diese gegebenenfalls aussehen, wird im SPP 2026 analysiert. Das auf sechs Jahre angelegte Schwerpunktprogramm umfasst 80 Einzelprojekte an mehr als 20 Universitäten in Deutschland und der Schweiz und führt Experten aus den Disziplinen der Differentialgeometrie, geometrischen Topologie und globalen Analysis zur fachübergreifenden Behandlung aktueller Fragestellungen zusammen.
Wellen auf gekrümmten Raumzeiten
In seinem eigenen Projekt der ersten Förderperiode 2017–20 mit dem Titel „Indextheorie auf Lorentzmannigfaltigkeiten“ hat Christian Bär Lösungen von Wellengleichungen auf gekrümmten Raumzeiten untersucht. „In der allgemeinen Relativitätstheorie hat man zum Beispiel eine vierdimensionale gekrümmte Raumzeit. Wir schauen dann, wie sich Wellen darauf verhalten. Diese Lösungen beschreiben, wie ein physikalisches System in Zukunft aussehen wird.“
Aktuell bearbeiten Christian Bär und sein Team das Projekt „Randwertprobleme und Indextheorie auf Riemannschen und Lorentz-Mannigfaltigkeiten“. Hier kommt ein neuer Aspekt dazu. „Wir studieren mathematisch die Frage: Was passiert am Rand des Raumes? Verhalten sich die Lösungen der Gleichungen dort schön oder werden sie wild, je mehr wir uns dem Rand nähern“, so der Mathematiker.
An der Universität Potsdam werden innerhalb der aktuellen Förderperiode 2020–23 zwei weitere Projekte gefördert. So widmet sich Prof. Dr. Jan Metzger gemeinsam mit Prof. Dr. Carla Cederbaum von der Universität Tübingen dem Thema „Geometrisch definierte asymptotische Koordinaten in der allgemeinen Relativitätstheorie“ und Prof. Dr. Matthias Keller untersucht gemeinsam mit Prof. Dr. Daniel Lenz und Dr. Marcel Schmidt von der Friedrich-Schiller-Universität Jena „Laplace-Operatoren, Metriken und Grenzen von vereinfachten Komplexen und Dirichlet-Räumen“.
Schwerpunkt: wissenschaftliche Nachwuchsförderung
Als Vizesprecher des SPP 2026 bildet Christian Bär gemeinsam mit dem Sprecher Prof. Dr. Bernhard Hanke (Universität Augsburg) und Prof. Dr. Anna Wienhard (Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg) das derzeitige Programmkomitee. In der ersten Förderperiode war außerdem noch Prof. Dr. Burkhard Wilking (Westfälische Wilhelms-Universität Münster) dabei. „Wir vier haben damals den Antrag an die DFG gestellt“, erinnert er sich. „Die einzelnen Projekte haben ihre Budgets und es gibt einen Extra-Topf für die Finanzierung von Workshops und Konferenzen, über den das Programmkomitee verfügen kann.“ Diese Mittel seien sehr flexibel verwendbar.
Unser Gespräch findet Ende Oktober 2021 statt, kurz vor dem SPP 2026 Kick-Off-Meeting, bei dem alle Projektleiter ihre bewilligten Projekte für die zweite Förderperiode in Nürnberg vorstellen. Er freue sich sehr darauf: „Kontakte entstehen oft zufällig, in den Pausen, beim Kaffee, das kann man nicht online simulieren. Solche Netzwerk-Events sind vor allem für junge Leute sehr wertvoll. Etliche der Projektleiter sind noch auf dem Postdoc-Level.“ Das Schwerpunktprogramm unterstützt sowohl individuelle Forschungsprojekte als auch übergreifende Forschungsaktivitäten wie Seminare, Konferenzen und die Einladung von Kooperationspartnern aus dem Ausland. Außerdem organisiert Christian Bär einmal im Jahr gemeinsam mit der Arbeitsgruppe von Bernhard Hanke an der Universität Augsburg ein Blockseminar, an dem sich sein gesamtes Team beteiligt. „Daran können auch Bachelor- und Masterstudierende teilnehmen und erste Kontakte knüpfen.“ Unendliche Möglichkeiten also für den wissenschaftlichen Nachwuchs in der Mathematik, der im Rahmen des SPP 2026 besonders gefördert wird.
Das Projekt
„Randwertprobleme und Indextheorie auf Riemannschen und Lorentz-Mannigfaltigkeiten“ im Rahmen des Schwerpunktprogramms 2026 „Geometrie im Unendlichen“
Beteiligt: Prof. Dr. Christian Bär (Projektleiter), Dr. Lashi Bandara (bis Juli 2021), Dr. Mehran Seyedhosseini, Penelope Gehring, Rubens Longhi, Sebastian Hannes
Förderung: Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG)
Laufzeit: 09/2020–09/2023
Der Forscher
Prof. Dr. Christian Bär studierte Mathematik an den Universitäten Kaiserslautern und Bonn. Seit 2003 ist er Professor für Geometrie an der Universität Potsdam und seit 2017 Vizesprecher des SPP 2026 „Geometrie im Unendlichen“. 2011/12 war er Präsident der Deutschen Mathematiker- Vereinigung.
E-Mail: cbaeruuni-potsdampde
Dieser Text erschien im Universitätsmagazin Portal Wissen - Eins 2022 „Zusammen“.