Herr Schladebach, Sie interessieren sich sehr für den Weltraum. Warum haben Sie Jura studiert?
Meine Hauptrichtung ist die Rechtswissenschaft. Nach meinem ersten Staatsexamen habe ich mich mit internationalen und europarechtlichen Fragen beschäftigt. Zur internationalen Rechtsordnung gehören unter anderem auch das Luft-, See- oder Weltraumrecht.
Vor fast 20 Jahren war es für mich eine „juristische Neulandentdeckung“, dass der Bereich des Weltraums Regelungen aufweist, die in Deutschland noch wenig erforscht sind. So habe ich darauf einen meiner wissenschaftlichen Schwerpunkte gelegt.
Warum ist das Weltraumrecht an deutschen Universitäten nicht so stark vertreten?
Das kann ich mir offen gestanden nicht erklären. International stehen Fragen des Weltraumrechts viel mehr im Fokus, und das bereits in den Grundzügen der Völkerrechtsausbildung. In Deutschland wird sich eher vereinzelt damit beschäftigt. Seit nunmehr zwei Jahrzehnten setze ich mich für die stärkere Verankerung in der Lehre ein.
Die rechtliche Auseinandersetzung zu Fragen des Weltraummülls oder des Rohstoffabbaus im Weltraum ist essenziell. Gerade in einem wirtschaftsstarken Staat wie Deutschland sollte eine Beschäftigung mit dem Weltraumrecht zunehmen.
Auch im Hinblick auf unsere Raumfahrtgeschichte – ich bezeichne Deutschland als Erfindungsnation der Raumfahrt – scheint es verwunderlich, dass das Weltraumrecht und die Raumfahrtwissenschaft hier generell ein Schattendasein fristen.
Wie kam es zur Idee für die Reihe „Space Lectures“?
Die Idee besteht schon seit ein paar Jahren und es ist einfach Zeit, die Universität Potsdam in den Raumfahrt-Fokus zu rücken. Als Gastprofessor habe ich an der TU Berlin und in Wien viele interessante Personen, die sich mit dem Weltraum beschäftigen, kennengelernt. Einige möchte ich jetzt gern einladen. In Potsdam wird viel zu Astronomie und Raumfahrt geforscht. Die Vortragsreihe ist deshalb interdisziplinär angelegt. Wie ich es mir gewünscht habe, kann ich sie mit dem Interview eines echten Astronauten beginnen – jemandem, der den Mut aufbringt, sich von Tausenden Litern Kerosin in einen ungewissen Raum schießen zu lassen.
Es ist Ihnen gelungen, Prof. Dr. Reinhold Ewald als Astronautenkoryphäe für die erste „Lecture“ zu gewinnen. Worüber werden Sie mit ihm sprechen?
Nicht mit einem Theoretiker zu beginnen, hat den Vorteil, einen unmittelbaren Einblick in die Materie zu ermöglichen. Reinhold Ewald ist seinerzeit auf die russische Raumstation Mir geflogen und hat damit gezeigt, dass der Weltraum auch ein bisher wenig erkanntes Potenzial an Völkerverständigung hat. Darüber werden wir reden, aber auch über die Gefahren der Raumfahrt. Mit einer Wahrscheinlichkeit von nur eins zu drei musste Juri Gagarin 1961 beim ersten Flug ins All davon ausgehen, dass er lebend zurückkommt. Mittlerweile sind die Fahrten natürlich sicherer. Aber nach wie vor können durchaus Havarien wie das Feuer, das bei Ewalds Mir-Besuch ausbrach, auftreten. Die Raumfahrt wird immer als „Erfolgsgeschichte“ verkauft. Dass die jetzige Stabilität aber ihren Preis hatte, muss angesprochen werden. An diejenigen, die bei Raumfahrtunglücken ihr Leben gelassen haben, erinnere ich deshalb auch in meinem Lehrbuch „Weltraumrecht“.
Ein weiteres großes Thema für mich ist die Diskussion über den Mondeffekt, der – meiner Meinung nach – eine Erweiterung des „Overview Effects“ bildet. Es ist auffällig, dass neun von zwölf Menschen, die den Mond betreten haben, sich bei ihrer Rückkehr nicht mehr in ihr vorheriges Leben einfinden konnten.
Welche weiteren Gastredner erwarten Sie und Ihre Zuhörer?
Der Astrophysiker Harald Lesch, den man aus seiner wissenschaftlichen TV-Sendung kennt, wird im April zu Gast sein.
Außerdem lade ich jemanden aus der Weltraummedizin ein. Diese Thematik hat bisher noch zu wenig Aufmerksamkeit bekommen. Sehr oft hört man, dass es in zehn bis 20 Jahren einfach möglich sein wird, im Weltraum Urlaub zu machen. Welche Einwirkungen auf den Körper bestehen und inwiefern Nachwirkungen zu erwarten sind, bleibt zu diskutieren.
Die aktuellen Parabelflüge der Raumfahrtunternehmer Musk, Bezos und Branson rechne ich dabei eher nicht zum Weltraumtourismus; sie sind vielmehr als „Eventflüge“ zu betrachten.
Apropos Weltraumtourismus: Er steht in der Kritik, aber welche Vorteile bietet er?
Derzeit sind die Bemühungen noch in der „Aufmerksamkeitsindustrie“ angesiedelt. Aber der Wettlauf der Unternehmer zeigt auch: Der Mensch ist neugierig; die Neugier wiederum befeuert den Fortschritt. Die Möglichkeiten des Weltraumtourismus spiegeln den wissenschaftlich-technischen Stand der Dinge wider.
Dass es zum Beispiel Elon Musks hochprofessionellen Ingenieuren gelungen ist, eine wiederverwendbare Trägerrakete, die nicht verglüht und zudem wieder an ihre Abschussposition zurückkehren kann, zu entwickeln, zeigt, dass Raumfahrt und Nachhaltigkeit zusammenkommen können. Wenn es allerdings um die Inszenierung eines Fluges auf Social Media geht, ist das Aufwand-Nutzen-Verhältnis nur untergeordnet für die Weltraumwissenschaft.
Ebenso kritisch wird über den Müll im Weltraum diskutiert. Wie kann man ihn nicht nur bergen, sondern möglichst vermeiden?
Die Forschung ist schon so weit, dass man beim Bau von Weltraumgegenständen darauf achtet, in gewissem Maße abbaubare Materialien zu verwenden. Eine Grundstabilität dieser Stoffe muss natürlich unter den Bedingungen großer Hitze und Strahlung vorhanden sein. Einerseits versucht man also, Weltraummüll schon bei der Produktion auf der Erde zu vermeiden.
Die mittlerweile funktionslosen Weltraumgegenstände, die uns bereits seit den 1960er-Jahren umkreisen, sind mit einer Massivität hergestellt, die aus der zeitgeschichtlichen Perspektive absolut verständlich ist. Deshalb muss man sich andererseits mit dem Status Quo beschäftigen und eine Lösung für den Umgang mit diesen massiven Metallteilen finden.
Und wie kann diese aussehen?
Es gibt die interessante Idee des Schweizer „Weltraumstaubsaugers“ Clean Space I, der den Schrott verschluckt. Im Anschluss wird der „Staubsauger“ kontrolliert zum Absturz gebracht und verglüht mit seinem Inhalt in der Erdatmosphäre. Zum jetzigen Zeitpunkt ist der Clean Space I so nur einmal einsetzbar. Besser wäre es natürlich, wenn sich Weltraumstaubsauger mehrfach nutzen ließen, sie länger im Weltraum verbleiben könnten, um mehr einzusammeln, und ihre Ladekapazität erhöht wird.
Bis wir den Müll im Weltraum einsammeln, ihn auf der Erde abladen und dann zur nächsten Bergungsfahrt aufbrechen können, wird es aus umwelttechnischen Gründen noch eine Weile dauern.
Warum müssen wir uns um die Beseitigung von Weltraumschrott bemühen?
Er ist eine Gefahr für die aktive Raumfahrt. Kleinste Teilchen von nur zehn Zentimetern können eine Geschwindigkeit aufnehmen, mit der Wände einfach durchschlagen werden. Bei einem Einschlag können in Raumstationen oder Space Shuttles Löcher gerissen werden, die das Sauerstoffsystem angreifen oder Hitzeschutzkacheln beschädigen. Damit werden sie verwundbar – ähnlich wie beim Lindenblatt im Nibelungenlied.
Der Weltraum ist als Ökosystem zu betrachten. Schon seit dem Weltraumvertrag von 1967 gilt es, seine Verschmutzung zu vermeiden. Auch ohne akute Gefahr ist Weltraummüll per se eine Belastung.
In Deutschland gibt es eine große Weltraumwirtschaft. Sie ist daran interessiert, bei Flügen ins All freie Fahrt und Wege zu haben. Erst in den letzten Jahren bemüht man sich, den Weltraum nicht nur wirtschaftlich zu nutzen, sondern ihn dafür auch zu säubern.
Wir haben in Europa seit den 1970er-Jahren so viel Umweltbewusstsein entwickelt, dass ich es mir nicht erklären kann, warum wir zulassen, dass sich über uns ein Weltraumfriedhof bildet und wir beim Umweltschutz außerhalb der Erde so nachlässig sind.
Mit zunehmender Rohstoffknappheit auf der Erde, wächst das Interesse an anderen Regionen wie dem Mond. Wie kann man den Rohstoffabbau künftig regeln?
Zwei Thematiken sind dabei in Einklang zu bringen: Der Mond gilt – wie der Weltraum auch – als Gemeinschaftsraum für alle. Aber einzelne Unternehmen aus den USA, Russland und China sind weit fortgeschritten in ihren Überlegungen, wie der Bergbau auf dem Mond funktionieren kann. Trotz der individuellen Bestrebungen müsste gesichert sein, dass alle etwas von den Bodenschätzen des „Gemeinschaftsraums“ abbekommen. So wurde beispielsweise das mitgebrachte Gestein der ersten Mondlandung von Neil Armstrong und Buzz Aldrin auch als Geschenk verteilt.
Deutlich wird hier, dass der derzeitige Status des Mondes nicht passt. Solch ein Verteilungssystem verhindert den Weltraumbergbau. Forschergruppen und der UN-Weltraumausschuss beschäftigen sich deshalb rechtlich und technisch mit der Frage, sich eventuell vom aktuellen Mondstatus, der alle zur gemeinschaftlichen Verteilung der Ressourcen verpflichtet, zu lösen.
Alle diese Regelungen wurden im Weltraumvertrag der Vereinten Nationen festgehalten, der die Vertragsstaaten verpflichtet, für private Raumfahrtunternehmen nationale Gesetze zu schaffen. Obwohl schon lange geplant, hat Deutschland bisher immer noch kein eigenes. Wie viel Hoffnung besteht bei Ihnen, dass die neue Ampelregierung es auf den Weg bringt?
Das wichtige Ziel, ein deutsches Weltraumgesetz zu erlassen, steht nicht ausdrücklich im Koalitionsvertrag. Allerdings bekennt sich die Regierung dazu, den „New Space“ zu fördern. Darunter ist ein Wirtschaftskonzept zu verstehen, das auf die Kommerzialisierung der Raumfahrt setzt, also günstige Bedingungen für private Unternehmen schaffen will. Diese Bedingungen müssen in einem deutschen Weltraumgesetz geregelt werden, um Rechtssicherheit und – angesichts der immensen Kosten – Investitionssicherheit zu garantieren. Ich bin zuversichtlich, dass sich die neue Bundesregierung dieser rechtlichen Verantwortung bewusst ist und dieses für die deutsche Raumfahrtwirtschaft erforderliche Gesetz auf den Weg bringen wird.
Link zur Veranstaltung: https://www.uni-potsdam.de/de/veranstaltungen/detail/2022-01-28-space-lecture-start-ins-weltall-ausblick-auf-das-turbulente-raumfahrtjahr-2022