„Ich weiß, wie Unterricht funktioniert und wie die Schulstruktur aussieht“, sagt Winnie-Karen Giera, die inzwischen den Schulalltag als Lehrerin hinter sich gelassen und sich der Wissenschaft zugewandt hat. In ihrer Position als Juniorprofessorin für Deutschdidaktik im inklusiven Kontext an der Universität Potsdam möchte sie dieses Wissen nutzen, um ihre Forschung in die Schulen zu tragen. „In der Schulpraxis gibt es so viele offene Fragen“, erklärt sie: „Wie schafft man es, inklusiven Schulunterricht zu gestalten? Wie kann jede Schülerin und jeder Schüler gefördert werden? Es ist mir eine Herzensangelegenheit, das zu erforschen und das Wissen an angehende Lehrerinnen und Lehrer weiterzugeben.“
Aber auch als Forscherin möchte sie sich nicht gänzlich vom Klassenzimmer lösen. „Ich war Vollblutlehrerin und nun möchte ich Wissenschaft und Schule miteinander verknüpfen.“ Dazu plant sie ihre ersten Forschungsprojekte, mit denen sie noch in diesem Jahr startet und dabei auch selbst wieder unterrichten wird: „Ich gehe in die Schulen, führe mit meinem Team Unterrichtsreihen durch und evaluiere sie hinterher“, so Giera.
Ihr Ziel ist es, im Deutschunterricht Lesen, Schreiben und Debattieren so miteinander zu verknüpfen, dass diese drei Kompetenzen optimal gefördert werden. Mehr als 300 Schülerinnen und Schüler der neunten Klassenstufe aus Potsdam und Umgebung werden an dem Forschungs- und Unterrichtsprojekt „Fair Debattieren und Erörtern“ teilnehmen können. Ergänzt wird es durch ein außerschulisches Angebot, das Gieras Team gemeinsam mit der Stadt- und Landesbibliothek Potsdam, dem Landtag, dem Programm „Jugend debattiert“ und der Märkischen Allgemeinen Zeitung realisiert. Die Schülerinnen und Schüler werden die eigene Debattier-, Lese- und Erörterungskompetenz trainieren und gleichzeitig dafür sensibilisiert, wie Sprache und Kommunikation politische Teilhabe ermöglichen. Im zweiten Projekt „Stopp Mobbing! Ein Theaterprojekt“ möchte sie herausfinden, ob Theaterspielen ebenfalls die Lesekompetenz verbessern kann. Die Erkenntnisse wertet sie schließlich gemeinsam mit den Lehrkräften aus und entwickelt daraus dauerhafte Unterrichtsangebote.
Die Kompetenzen der Lernenden fördern und den Lehrenden die dafür geeigneten Instrumente an die Hand geben – aus diesen Zielen zieht Winnie-Karen Giera die Motivation für ihre Arbeit. Dass sie heute dafür als Professorin an der Universität sitzt, hat sie ihrer eigenen Hartnäckigkeit zu verdanken. Denn als Schülerin war es für sie keineswegs selbstverständlich, ein Abitur und anschließend ein Studium absolvieren zu können.
„Nach der zehnten Klasse habe ich das Gymnasium verlassen, um eine Ausbildung als Hotelfachfrau zu machen“, erzählt sie. „Ich habe mir immer geschworen: Wenn ich genug gearbeitet und gespart habe, mache ich mein Abitur nach.“ Der Weg zum Lehramtsstudium in Lüneburg führte dann doch noch über einige berufliche Umwege. Nach drei Jahren im Beruf qualifizierte sich Winnie-Karen Giera zur Betriebswirtin und bildete selbst Nachwuchs in der Hotellerie aus. Anschließend wagte sie den Sprung in die Selbstständigkeit als Beraterin und Trainerin für Bildungsträger, Unternehmen und Schülerinnen und Schüler, bevor sie sich fünf Jahre später schließlich fürs Studium entschloss.
„Das Realschullehramt habe ich ganz bewusst gewählt, um Schülerinnen und Schüler in ihrem beruflichen Werdegang beraten zu können“, sagt die Juniorprofessorin. „Schließlich habe ich das selbst alles durchlaufen.“ Ihre Promotion hat die Forscherin berufsbegleitend neben ihrer Vollzeittätigkeit als Lehrerin geschrieben. „Das war ein harter Weg, sechs Jahre lang gab es keinen Urlaub und keine Wochenenden“, sagt sie rückblickend. Dazu kam die Aufgabe, ein Kleinkind zu versorgen – ihr jüngster Sohn war damals gerade erst ein Jahr alt. „Der Wecker klingelte um 4:44 Uhr, damit ich morgens Zeit und Ruhe zum Schreiben hatte.“
Auch aus dieser Erfahrung heraus initiierte Winnie-Karen Giera sofort nach ihrer Berufung das Familiencafé an der Uni Potsdam. „Bei der Inklusion geht es immer auch um Teilhabe“, erklärt sie. „Mit Kind oder einem pflegebedürftigen Angehörigen zu studieren, kann da schon eine große Hürde bedeuten.“ Das Familiencafé möchte diese Hürden verkleinern. Immer freitags steht es Studierenden offen, die von kompetenten Ansprechpartnerinnen und -partnern über Nachteilsausgleiche, Beratungsangebote, effektive Prüfungsvorbereitung oder Möglichkeiten des Zeitmanagements informiert werden. Auch die „Schnelle Küche“ gehörte schon zu den Themen, die im Elternalltag hilfreich sein können. „Ich selbst hätte mir manches Mal auch so ein Angebot für den Austausch gewünscht“, sagt Giera. „Gerade in den intensiven Prüfungsphasen.“
Das Familiencafé findet derzeit freitags von 11 bis 12 Uhr online statt, Anmeldung unter: service-familienuuni-potsdampde
Dieser Text erschien im Universitätsmagazin Portal - Zwei 2021 „Familie und Beruf“ (PDF).